Mélanie Berger-Volle

Schon als junges Mädchen politisiert, kämpfte Mélanie Berger-Volle gegen den Austrofaschismus und das NS-Regime. Nach ihrer Flucht nach Frankreich wurde die Trotzkistin inhaftiert, konnte jedoch auf spektakuläre Weise fliehen und ist bis heute eine bedeutende Zeitzeugin.
11. Juni 2019 |

Die am 8. Oktober 1921 geborene Melanie Berger wuchs in einer jüdischen Familie in Wien-Leopoldstadt auf. Sie war zwölf, als in ihrem Bezirk Barrikaden errichtet wurden. Es war die Zeit des Austrofaschismus: Bundeskanzler Dollfuß erklärte erst die Kommunistische Partei, dann die Sozialdemokraten für illegal. In dieser Zeit begann Berger-Volles politisches Denken.

In einem Interview schilderte sie: „Ich war schon als Kind ein bisschen rebellisch. Ich konnte nicht verstehen, warum es Arme und Reiche gibt. Ich konnte nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die glauben, dass sie besser sind, weil sie eine andere Hautfarbe haben, oder eine andere Religion. Das habe ich nie verstehen wollen. Ich wollte immer die Welt verändern.“

Durch ihren Freundeskreis kam sie in Kontakt mit den verbotenen Revolutionären Sozialisten, der Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, und beteiligte sich mit 15 Jahren an illegalen Aktionen. Der Nacktbadestrand in der Wiener Lobau galt als Treffpunkt der Partei. „Und so habe ich meine erste politische Diskussion nackt erfahren.“

Die Revolutionären Sozialisten (R.S.) Österreichs

Die Revolutionären Sozialisten (R.S.) Österreichs

Anfangs hörte sie dort nur zu, bevor sie sich der trotzkistischen, antistalinistischen Widerstandsgruppe, den Revolutionären Kommunisten (RK), anschloss. Sie begann mit nächtlichen Mal- und Klebeaktionen, die sich erst gegen das austrofaschistische Regime, später gegen die Nationalsozialisten richteten, nachdem deren Einfluss in Österreich immer größer wurde. Die Situation wurde für sie gefährlicher, vor allem, da sie bereits für ihre Arbeit aktenkundig war. Ihre Eltern legten ihr die Flucht nahe.


Widerstand in Frankreich

Im Mai 1938 machte sie sich zusammen mit zwei älteren Genossen der RK per Anhalter über Deutschland auf den Weg nach Belgien. An der Grenze bei Aachen gab es Probleme mit einem unzuverlässigen Kontaktmann, ihre Gefährten wurden verhaftet und sie gelang durch ein Waldstück über die Grenze. Anschließend lebte sie in Antwerpen als illegale Ausländerin, arbeitete in einem Hotel und traf wieder auf einige ihrer Genossen.

Da die belgische Polizei Razzien durchführte und Menschen nach Deutschland auswies, ging sie 1939 mit kurzem Haar als Mann getarnt nach Paris. Dort schützte sie zunächst ihr Name, der sowohl deutsch als auch französisch verstanden werden konnte. Sobald aber im September 1939 der Krieg ausbrach, wurde sie, wie andere Antifaschist_innen als feindliche Ausländerin verhaftet und ins Camp de Gurs gebracht.

Ihr gelang die Flucht und sie versuchte, die Verbindungen der RK zwischen den Stützpunkten in Antwerpen, Les Milles, London, Zürich und New York aufrechtzuerhalten. Gemeinsam verbreiteten sie Flugblätter an deutsche Besatzungssoldaten, um sie über den Nationalsozialismus aufzuklären. 1942 wurde sie von der französischen Polizei verhaftet und vor einem Militärtribunal wegen „kommunistischer und anarchistischer Aktivität“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und in das Frauengefängnis in Marseille deportiert. Nun wurde es gefährlich für sie, denn die Gestapo forschte in den Gefängnissen des Vichy-Regimes nach politischen Häftlingen.

Spektakuläre Flucht

Im Oktober 1943 lag Berger-Volle mit schwerer Gelbsucht im Gefängnisspital, als plötzlich fünf Genoss_innen der RK im Krankenzimmer standen. Getarnt als Rotkreuzschwestern und Gestapo-Offiziere mit gefälschten Papieren, kamen sie unter dem Vorwand, sie für ein Verhör abzuholen.

Mit dabei war auch ein desertierter Wehrmachtssoldat in Uniform. Davor konnte sie die RK-Gruppe vom Krankenhaus aus heimlich kontaktieren und ihnen erklären, was sie zu tun hätten, um sie dort rauszuholen. Nur im Nachthemd bekleidet, wurde sie zum bereits wartenden Taxi gebracht. Die Hilfstruppen der Gestapo salutierten noch vor dem Krankenhaus. Nach ihrer Befreiung nahm Berger-Volle Kontakt mit der französischen Widerstandsbewegung auf und setzte mit neuem Namen und gefälschten Papieren ihre Aktivitäten in der Résistance fort.

Nach dem Krieg blieb sie in Frankreich, wo sie ihren Ehemann, den Journalisten Lucien Volle, kennenlernte, der ebenfalls in der Résistance war. Sie nannte sich von nun an Melanie Berger-Volle. Trotz ihres Alters von 97 ist sie weiterhin in Schulen als Zeitzeugin tätig.