Lockdown für Ungeimpfte: Ein Aufbauprogramm für die Rechten
Die Regierung in Österreich hat angesichts der vierten Welle einen Lockdown für Ungeimpfte beschlossen. Im Kern handelt es sich jedoch, wie die 2G-Regelung, um eine Ausgangsbeschränkung für nicht geimpfte Menschen in bestimmten Bereichen. Wer keine Impfung hat, darf das Haus oder die Wohnung ab sofort nur noch aus »dringenden Gründen« verlassen – etwa für den Weg zur Arbeit, für Einkäufe des täglichen Bedarfs oder den Besuch bei Ärzt:innen.
Viel Tamtam für die falsche Maßnahme
Ein solcher Lockdown für Ungeimpfte ist falsch. Er wird die vierte Welle nicht brechen, weil dieser nur darauf ausgerichtet ist, Ungeimpfte unter Druck zu setzen. Die eigentliche Infektionsdynamik wird aufgrund dieser Maßnahme nicht ausreichend abgebremst. Bei dem ganzen Trubel bleibt völlig unklar, wo genau eigentlich der Unterschied zwischen der 2G-Regel, die seit 8. November in ganz Österreich gilt, und dem mit viel Tamtam verkündeten Lockdown für Ungeimpfte besteht. Denn Ungeimpfte sind durch die 2G-Regel in Österreich sowieso schon von diversen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Die Regierung verordnete die G-Regel und erlaubt nur noch geimpften und genesenen Menschen Zutritt zu Gastronomie, Theater, Kinos, Sport oder anderen Freizeiteinrichtungen. Die 2G-Regel gilt auch bei sogenannten körpernahen Dienstleistern wie Friseursalons oder Massagestudios. Anscheinend sind durch den Lockdown für Ungeimpfte jetzt auch Bekleidungsgeschäfte und Baumärkte dazu gekommen.
Lockdown für Ungeimpfte folgt der falschen Logik
Warum ausgerechnet dies den entscheidenden Unterschied machen soll, bleibt das Geheimnis der Regierung. Es ist ein ziemlicher Irrsinn, was sich in Österreich gerade abspielt. Denn anstatt die Infektionsketten in den Fokus der Pandemiebekämpfung zu rücken, werden nur die Ungeimpften ins Fadenkreuz genommen. Das wird nach hinten losgehen. Es ist Symbolpolitik im schlechtesten Sinne. Die Regierung in Österreich folgt bei all dem einer falschen Logik – sowohl was die Ursache der vierten Welle angeht, als auch bei der Frage, welche Gegenmaßnahmen überhaupt effektiv sind, um das exponentielle Wachstum des Virus zu stoppen.
Welche Aufgabe hat ein Lockdown?
Die Waffe des Lockdowns sollte gezielt als eine zeitlich begrenzte Notfallmaßnahme eingesetzt werden – kurz und effektiv. Er hat in der Pandemiebekämpfung die Aufgabe, das exponentielle Wachstum eines sich verbreitenden Virus zu brechen, um in eine erneute Phase der Kontrolle der Pandemie zurückzukommen. Ein Lockdown ist dann besonders effektiv, wenn jene gesellschaftlichen Bereiche geschlossen werden, in denen vermehrt Infektionsketten entstehen. Das sind besonders die Innenräume von Fabriken, Büros oder Schulen und Kitas. Um diese macht aber die Regierung einen großen Bogen.
Die Quelle jeder neuen Ansteckungswelle
Der Lockdown für Ungeimpfte hält jetzt ungeimpfte Menschen hingegen zwischen genau jenen Orten gefangen, an denen für die Mehrheit der Bevölkerung ein erhöhtes Risiko besteht, sich anzustecken: im Betrieb, der Schule, dem ÖPNV oder der eigenen kleinen Wohnung. Der Irrsinn #staythefuckathome, aber #gothefucktowork ist Quelle jeder neuen Ansteckungswelle und Ausgangssperren ändern daran wenig – das gilt für Geimpfte, wie für Ungeimpfte. Die hohe Inzidenz unter Ungeimpften sinkt nicht automatisch, weil sie keinen Kontakt mehr mit Geimpften haben. Die Kontakte werden sich nun ins Private verlagern, die Infektionsketten werden nicht gebrochen.
Polizeistaat? Nein, danke!
Gleichzeitig sind Ausgangssperren und Ausgangsbeschränkungen ein weitreichender Grundrechtseingriff, der die Bevölkerung empfindlich trifft. Der Blick in andere Länder zeigt, auf welch problematische Weise sie mitunter durchgesetzt werden: Spanien griff auf die Armee zurück und lies die Bevölkerung mit Drohnen überwachen. Israel hat seinem Geheimdienst Zugriff auf sämtliche Ortungsdaten der Mobiltelefone gewährt, um Ausgangssperren durchzusetzen. Alle Bewegungen der Bürgerinnen und Bürger werden überwacht. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Viele Regierungen nutzen die Pandemie, um ihre rassistische, unsoziale und undemokratische Politik zu verstetigen oder sogar auszubauen. Ein wirklicher Lockdown für Ungeimpfte ließe sich nur mit einem unverhältnismäßigen Polizei- und Überwachungsaufwand wirklichen durchsetzen. Dies ist ein Kennzeichen des aus den Fugen geratenen Katastrophenkapitalismus und nicht ein unabdingbares Feature der Seuchen-Prävention.
Warum ein Lockdown für Ungeimpfte so gefährlich ist
Ein Lockdown für Ungeimpfte ist zudem gefährlich, weil nicht geimpfte Menschen stigmatisiert werden. Statt die Impfquote nachhaltig zu erhöhen, wird die systematische Diskriminierung von Millionen von Ungeimpften das Risiko steigern, dass eine Minderheit weiter in die Arme von rechten Corona-Leuger:innen und Impfgegner_innen getrieben wird. Diese erhalten durch solche Maßnahmen nur weiteren Auftrieb. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich in Österreich nicht nur epidemiologisch, sondern auch politisch eine brandgefährliche Situation.
Corona-Leuger_innen und Impfgegner_innen werden gestärkt nicht geschwächt
Offene Nazis & die FPÖ mobilisieren natürlich gegen diesen »Corona-Wahnsinn«. Sie sprechen von »Impf-Apartheid« und gruppieren mit coronarelativierenden Parolen zehntausende Menschen um sich herum. In Innsbruck marschierten bereits Tausende unter dem Banner der FPÖ gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, ohne nennenswerten Widerstand von links. Die Stigmatisierung der Ungeimpften durch die türkis-grüne Regierung wird den Rechten weiter Auftrieb geben und einen Teil der Ungeimpften direkt in ihre Arme treiben. Für nächsten Samstag ruft die FPÖ zur Großdemonstration nach Wien. Ihr werden sicher Tausende folgen. Es wird ein Vorbild für die radikale Rechte in ganz Europa werden.
Wer ist Schuld an der vierten Welle?
Hass und Wut auf die Ungeimpften bringen uns nicht weiter. Es waren nicht die Ungeimpften, die die kostenfreien Tests oder die Maskenpflicht in Grundschulen abgeschafft haben, die alle Dämme zum Schutz vor dem Virus eingerissen haben. Das waren die Politiker_innen. Die Regierung wusste das wir Millionen Ungeimpfte haben und die Infektionsdynamik mit Delta im Herbst/Winter ein Problem wird. Sie ignorierten alle Warnungen der Wissenschaft. Sie haben es zu verantworten, dass die vierte Welle sich überhaupt aufbauen kann. Die vielen nicht-geimpften Menschen sind eine Folge der unfähigen und korrupten Regierungspolitik und nicht die Ursache der Probleme.
Wie sollte die Linke reagieren?
Eine Linke, die diese bankrotte Politik der Bürgerlichen und Linksliberalen nicht offensiv angreift und stattdessen ein stillschweigendes Bündnis mit der Regierung gegen die Ungeimpften eingeht, macht einen Fehler. Den Bürgerlichen und Linksliberalen fehlt das Verständnis für die Politikverdrossenheit vieler Menschen. Sie reden über Dummheit, Ignoranz und Strafen – auch in Deutschland fordert Grünen-Chef Habeck einen Lockdown für Ungeimpfte. Die Linke sollte dabei nicht mitmachen. Linke sollten Verständnis entwickeln, dass Menschen nach dem ganzen Corona Hin- und Her und der allgemeinen Korruption und den vielen Lügen von Politik und Konzernen wenig Vertrauen haben.
Die Linke darf keine Zugeständnisse an die Schwurbler:innen machen
Das bedeutet nicht, dass die Linke auch nur in den Verdacht kommen sollte, irgendein Zugeständnis an die Schwurbler_innen zu machen. Ebenso sollten wir keinerlei besonderen Anstrengungen unternehmen, Menschen, die sich bei den Querdenker_innen engagieren zu überzeugen. Das wäre reine Zeitverschwendung. Vor diesem Hintergrund: Der Kurs von Sahra Wagenknecht und anderen Linken, die mit der Querdenker_innen-Szene liebäugeln und sich opportunistisch Anpassen, ist eine Bankrotterklärung für linke Politik.
Gegen den Lockdown für Ungeimpfte
Es ist aber genauso falsch, die Gleichung »Ungeimpft = grundsätzliche Impfgegner_in = nicht mehr dialogbereit« zur Grundlage linker Intervention zu machen. So kommt die forsa-Umfrage »Befragung von nicht geimpften Personen zu den Gründen für die fehlende Inanspruchnahme der Corona-Schutzimpfung« zum Schluss: »Wenig bedeutsam scheinen hingegen die Beweggründe »klassischer« Impfgegner: Nur sehr wenige Nichtgeimpfte geben jeweils an, dass sie Impfungen allgemein ablehnen oder dass sie generell Angst vor Impfungen haben.«
Das die mediale Aufarbeitung der Forsa-Umfrage aber zumeist das Gegenteil behauptete, reiht sich ein, in eine Politik, die die Ungeimpften zum Sündenbock machen will. Doch die Pandemie wird nicht dadurch gestoppt, dass Ungeimpfte ausgeschlossen werden. Diese Individualisierung der Pandemiebekämpfung passt gut in das Dogma des Neoliberalismus. Natürlich sollte niemand ignorieren, dass es eine relevante Minderheit von ideologisch gefestigten Impfgegner_innen gibt, in deren Kern die faschistische Rechte agiert, welche sich zur Zeit dadurch aufbauen kann. Diese Bewegungen und Organisationen müssen von der gesamten Linken politisch bekämpft werden. Das gilt aber nicht für die Mehrheit der Ungeimpften. Das Abfeiern einer Impfpflicht, des Lockdown für Ungeimpfte oder das Regierungsprogramm mit 2G ist die schlechteste Antwort auf die aktuelle Situation – sowohl aus epidemiologischen, als auch aus politischen Gründen.
Impfvertrauen ist keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche und soziale Frage
Die Linke wird viele der Menschen, die gerade im rechten Lager schwimmen, nicht erreichen. Wir sollten aber die Kritik an den Pharmakonzernen und der unzureichenden Impfkampagne nicht den Rechten überlassen. Die Linke muss die Widersprüche in der Pandemiepolitik der Herrschenden offenlegen und auf der Grundlage einer antikapitalistischen Klassenpolitik angreifen.
Impfen hilft: Für eine solidarische Impfkampagne
Die Regierenden sind mit der 2G-Regel und einer Impfpflicht fein raus, weil sich alle auf die individuelle Ebene konzentrieren, anstatt über die sozialen Bedingungen zu sprechen, die hohe Impfquoten erreichen, die Fallzahlen nach unten bringen und die Pandemie nachhaltig bekämpfen können. Impfvertrauen ist keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche und soziale Frage. Klar wäre es wichtig, dass sich so viele wie möglich impfen lassen. Das geht aber ohne Zwang und Strafe besser als mit – Portugal und Spanien haben es vorgemacht. Statt immer mehr Druck und Zwang für Ungeimpfte braucht es mehr Aufklärung und einen verbesserten Zugang zu Impfungen, besonders in ländlichen Regionen. Dass die Regierenden zu Ausgangssperren, 2G oder einem Lockdown für Ungeimpfte als Mittel greifen, hat vor allem einen Grund: Sie wollen die Wirtschaftsbosse schonen. In den Innenräumen von Fabriken, Büros oder Logistikzentren sollen die Vielen weiter Profite für die Wenigen schaffen.
Solidarische Pause für alle statt Lockdown für Ungeimpfte
Bei der jetzigen Infektionsdynamik wird die vierte Welle nicht ohne einen effektiven Lockdown schnell gestoppt werden können. Statt alle Ungeimpften zum alleinigen Problem zu erklären, sollte an erster Stelle die Arbeitswelt, aber eben auch Schulen und Kitas in den Fokus genommen werden. Die Schulen und Kitas bei hohen und steigenden Fallzahlen offen zu halten, ist eine Gefahr für die Gesundheit der Beschäftigten, der Kinder und deren Eltern. Die effektivste Maßnahme in der jetzigen Situation ist eine dreiwöchige bezahlte Pause für alle. Also die Schließung aller gesellschaftlich nicht zwingend erforderlichen Dienstleistungs- und Produktionsbereiche, bei vollem Lohnausgleich für die Beschäftigten plus Schul- und Kitaschließungen. Diese solidarische Pause kann genutzt werden, um die ins Stocken geratene Impfkampagne so aufzubauen, dass durch Aufklärung und persönliche Ansprache die Impfquoten nachhaltig erhöht wird. Die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, ist nicht gebannt. Gesundheit statt Profite!