Schluss mit der Mittäterschaft der Universitäten am Genozid!
Kannst du kurz erzählen, wie sich Students for Collective Liberation gegründet hat und was ihr erreichen wollt?
Students for Collective Liberation (SCL) hat sich im Zuge des letzten Jahres aus einer Studierendengruppe an der Universität Wien gegründet. Grund dafür war das nach dem 7. Oktober zunehmend feindliche und repressive Klima an den Universitäten. Lehrveranstaltungen wurden abgesagt, palästinensische oder solidarische Stimmen eingeschüchtert und entlassen und die Versuche, offene und kritische Diskussionsräume zu schaffen, noch stärker begrenzt. SCL ist unsere Antwort auf das Schweigen gegenüber einem Genozid, der sich in Echtzeit vor unseren Augen abspielt, auf die Repression gegen solidarische Stimmen und das systematische Ersticken jeder Debatte über Palästina an unseren Universitäten. Die anhaltende siedler-koloniale Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung muss beendet werden. Deutschland, Österreich und die EU müssen sich ihrer historischen und gegenwärtigen Verantwortung stellen – für das anhaltende Leid, das westliche politische, wirtschaftliche und militärische Interventionen in Palästina und dem gesamten arabischsprachigen Raum verursacht und mitgetragen haben.
Warum Palästina?
Für uns ist die Auseinandersetzung mit Palästina nicht nur eine Frage von Menschlichkeit und Solidarität, sondern vor allem eine zutiefst politische. Was hier geschieht, ist nicht nur der Versuch die palästinensische Gesellschaft zu zerstören, sondern fundamentaler Ausdruck westlicher, imperialer und kolonialer Herrschaftsverhältnisse. In Palästina verdichtet sich die globale Logik imperialer und kolonialer Herrschaft, die mit systematischer Unterdrückung, Entmenschlichung und militärisch abgesicherter Ausbeutung des Globalen Südens einhergeht. Die Normalisie rung des Genozids ist kein Zufall – sie ist die Voraussetzung dafür, dass Imperialismus und Kolonialismus im 21. Jahrhundert weiter funktionieren. SCL versteht sich als Teil der palästinasolidarischen Bewegung in Österreich und der internationalen Bewegung für ein freies Palästina weltweit. Als Studierende erkennen wir unsere Stärke an den Universitäten, die als Mittäter die Normalisierung des Genozids unterstützen und die damit verbundene imperiale Logik legitimieren. Daher müssen wir uns gemeinsam organisieren! In jeder Vorlesung, jedem Seminar, jedem Fachbereich und den Kollektiven!
Wir fordern:
- Die sofortige Beendigung aller Kooperation mit israelischen
Institutionen! - Nieder mit der Repression gegen Studierende an unseren Universitäten!
- Schluss mit der akademischen und universitären Mitschuld am Genozid!
- Selbstorganisierte Räume – ohne Genehmigung!
Ihr habt in einer „Zeitleiste der Repression und des Widerstands“ all die Momente gesammelt, in denen die Universität im letzten Jahr gegen propalästinensische Aktivist:innen vorging, aber auch wie sich aus den Reihen der Studierendenschaft Widerstand dagegen formierte. Was waren denn so zentrale Momente, in denen für euch die Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft am sichtbarsten wurden?
Wichtige Momente stellten sich nicht nur in der vom Rektorat veranlassten Untersagung von zwei großen und vielseitigen Ringvorlesungen dar, bei denen es ursprünglich um Palästina gehen sollte, sondern auch in der öffentlichen Verleumdung dieser Veranstaltungen. Auch kam es zu Szenen, wo Studierende ihre Lehrveranstaltung umringt von Sicherheitspersonal oder sogar der Polizei abhalten mussten. Dazu kommt auch die gewaltvolle und verfassungswidrige Auflösung des dreitägigen Palästina Solidaritäts Encampment auf dem Campus der Universität Wien. Das friedliche Protestcamp wurde in der Nacht auf den 09. Mai 2023 von einer Hundertschaft, Hunden und Drohnen auf Anweisung des Rektors Schütze durch die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) aufgelöst. Und das nur, weil Studierende ein Ende des Genozids, die Demilitarisierung der Universitäten, ein Ende der Repression und der Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen, die an diesem Genozid beteiligt sind, forderten. Auch die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) hat dabei systematisch an der Delegitimierung palästinasolidarischer Studierendenproteste mitgewirkt. Mit öffentlichen Auftritten und Statements wurden palästinasolidarische Stimmen systematisch als antisemitisch diffamiert und Israel mit dem Judentum gleichgesetzt. Aber auch innerhalb der ÖH-Strukturen wurden Studierende oder ganze Referate für das Hinterfragen dieser Vorgehensweisen und der bedingungslosen Solidarisierung mit Israel entlassen, gefilmt und schikaniert.
Und welche Grundlegenden Probleme an Hochschulen und insbesondere an der Uni Wien werden durch diese Konflikte sichtbar?
Was für uns deutlich wird, ist, dass es bei dieser Repression nicht einfach um ein Versagen liberaler akademischer Freiheit geht, sondern um viel tiefergehende Probleme. Die Universität ist kein politisch neutraler Raum unabhängig von staatlichen und imperialen Interessen, sondern maßgeblich an jener Wissensproduktion beteiligt, die diese stützt. Die Unterstützung von Israel ist Staatsräson Österreichs und darf somit keinesfalls angezweifelt werden – genau darum geht es bei dieser Repression. Deutlich wird diese Verflechtung mit dem Staat auch beim genaueren Betrachten der Studierendenvertretung, die als institutionelles Organ der Universität nicht nur eng mit den universitären, sondern auch den staatlichen Strukturen verflochten ist. Alle großen ÖH-Parteien, insbesondere an der Universität Wien, dienen quasi als Jugendorganisationen und Ausbildungsstätte der politischen Parteien und dürfen somit kaum von deren Vorgaben abweichen. Dazu gehört auch, die gute Beziehung zum Rektorat aufrechtzuerhalten. So kommt es auch, dass jede politische Massenmobilisierung der Studierenden in diese Strukturen eingepfercht und durch den Staat kooptiert wird. Deshalb begreift und organisiert sich SCL bewusst außerhalb dieser Strukturen. Was wir brauchen, ist eine neue Studierendenbewegung in Österreich – eine, die sich mutig dem Druck zur Anpassung an staatliche Interessen widersetzt und selbstorganisiert handelt.
Im Mai finden die ÖH-Wahlen statt. Was denkst du kann durch den politischen Aktivismus an der Uni erreicht werden, und was nicht? Welche Rolle spielt Palästina in diesem Feld?
Die ÖH-Wahlen im Mai ändern nichts daran: Echte Befreiung lässt sich nicht innerhalb staatlich legitimierter Strukturen erkämpfen. Denn selbst wenn eine Mehrheit der Mandate an palästinasolidarische Stimmen gingen, wären diese gezwungen, dem Druck des Rektorats und ihrer Parteien nachzugeben. Diese Institutionen sind nicht dazu da uns zu empowern, sondern im Sinne der hegemonialen Logik zu disziplinieren.
Die Frage um Palästina offenbart deutlich, wer an der Universität wirklich bereit ist, sich mit antiimperialistischen und antikolonialen Kämpfen zu solidarisieren, statt sich diese Begriffe als ausgehöhltes Modewort anzueignen. Und es lehrt uns auch, dass wir uns nicht länger mit institutionellen Strukturen abfinden dürfen, die Palästina totzuschweigen versuchen. Es braucht einen kollektiven Widerstand der Studierenden, der sich nicht mit dieser Situation abfindet und business as usual walten lässt, während systematisch Palästinenser:innen verhungert und ermordet werden – und unsere Universitäten dies entschuldigen und normalisieren.
Das Interview führte Lisa Hasenbichler