Sobotka tritt vor der Wahl eine neue Abschiebewelle los
Es passiert nicht in einer isolierten Diktatur oder während brutaler Kriegswirren. Nein, Menschen, denen die Flucht gelungen ist, werden wieder mit Staatsgewalt aus Österreich verfrachtet – mitten in einem von Rassismus dominierten Wahlkampf.
Pfarrkirchen im oberösterreichischen Mühlviertel. Eines der Enkelkinder der armenisch-jesidischen Familie Hassan wurde vergangene Woche von der Polizei aus einem Jungscharlager abgeführt und später deportiert, gemeinsam mit dem anderen Enkelkind und ihren Eltern. Großvater Yussuf und Großmutter Base kamen wieder aus dem Wiener Familienanhaltezentrum Zinnengasse frei und zurück zu ihren Freunden nach Pfarrkirchen im Mühlkreis. Der Großvater befand sich gerade in chemotherapeutischer Behandlung. Die Familie wurde zerrissen.
Sobotka persönlich verantwortlich
Zum Verhängnis wurde ihnen Innenminister Wolfgang Sobotka. Die Flüchtlingshelferin Margit Scherrer berichtete gegenüber der Katholischen Presseagentur, dass die Behörden eine angeblich falsche Identitätsangabe als Grund für die Abschiebung nannten. Familienvater Said habe bei der Einreise nach Österreich einen falschen Namen angegeben, und als Herkunftsland Syrien anstatt Armenien. Jesiden sind auch in Armenien Schikanen und Bedrohungen ausgesetzt.
Scherrer wisse aus verlässlicher Quelle, dass sich Sobotka persönlich gegen die unter anderem vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer befürwortete Gewährung humanitären Bleiberechts quergelegt hatte: „Lügnern“ solle dieses Privileg nicht zugestanden werden. Scherrer sagte dazu: Said habe glaubhaft versichert, dass der andere Name die Fluchtchancen deutlich erhöhte. Aus Sorge um die eigenen Kinder hätten wohl auch viele Österreicher so gehandelt – wie auch schon verfolgte Juden im Dritten Reich, die sich so dem NS-Zugriff entzogen.
Anna Huber (siehe Bild oben), die Mühlviertler Freundin von Sarah Hassan, sagte gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten: „Ich weiß wie das ist. Ich war selbst zu Kriegszeiten und danach eine Herumwandernde und Suchende. Heimat habe ich erst hier gefunden.“ Ihre Tochter unterrichtete die Buben in der Schule. Der Fußballtrainer steht jetzt vor einer verstörten und unvollständigen Kindermannschaft. Zurückgeblieben ist eine über die Brutalität des Innenministers schockierte Gemeinde mit den verzweifelten Großeltern. Die Menschen in Pfarrkirchen kämpfen weiter um ein humanitäres Bleiberecht für die liebgewonnene Familie.
Kind vor Geburtagsfeier verhaftet
Ein weiterer „Fall“ hat nicht nur im Mühlviertel hohe Wellen geschlagen. Der siebenjährige Maxim aus Walding konnte nicht zur Geburtstagsfeier seines Freundes kommen. Er wurde mit seiner Mutter und seiner neun Jahre alten Schwester von der Polizei zur Abschiebung abgeholt. Solidarische Menschen kämpften erfolgreich um den Verbleib der armenischen Alleinerzieherin und ihrer Kinder, deren Ehemann und Vater kürzlich nach schwerer Krankheit hier verstorben ist.
Die Mutter und ihre zwei Kinder erhielten, als sie sich schon in Schubhaft befanden, endlich das humanitäre Bleiberecht. Die Unterstützerin Brigitte Raffeiner vom Netzwerk Überbrücken Walding schrieb auf Facebook:
„Soeben hab ich mit Mane telefoniert, der neunjährigen Tochter von Narine. Die Familie ist jetzt auf den Weg zum Bahnhof und in ein zwei bis drei Stunden kann ich sie nach Hause bringen. Nach Walding. Weil da sind sie daheim. Ich danke allen, die sich hier engagiert haben. Ich kann es noch nicht glauben, aber wir haben es geschafft. Irgendwo in mir ist immer noch ein Teufelchen, welches es nicht glauben kann. Aber es stimmt. Narine, Mane und Maxim dürfen bleiben!!!!“
Behörde wollte Sterbenden deportieren
Schon als der Familienvater Tigran Bughdaryan noch im Sterben lag, gab es einen Deportationsversuch. Er floh schwerkrank mit seiner Familie aus Armenien, erkrankte zusätzlich an Krebs und starb im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. Drei Wochen zuvor wurde die Familie unrechtmäßig verhaftet und kam zum ersten Mal ins Anhaltezentrum. Dann wieder zurück zu ihren Freunden nach Walding und nach dem Tod des Vaters wurden sie wieder verhaftet und kamen wieder ins Abschiebegefängnis.
Beim Begräbnis am 24. Juni hat die neunjährige Mane noch vor dem Grab gesagt: „Lieber Papa, ich hab dich sehr lieb, ich weiß, dass du mich auch sehr lieb hast und mich immer beschützt.“
Grenzenloser Sadismus der Behörden
Eine weitere afghanische Mutter von zwei Kindern hat die schlimmsten Albträume erlebt und kann nicht noch mehr ertragen. Das ist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) durchaus bekannt, aber egal. Im Einvernahmeprotokoll vom 5. April schreiben die Handlanger des Innenministeriums: Die Selbstmordgefährdete sei abschiebbar, trotz der Vorlage mehrerer psychiatrischen Gutachten.
Nicht zu vollstrecken sei eine Deportation „selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Eine Abschiebung wäre nur dann unzulässig, wenn sie im Zielland qualvoll sterben würde“. Durch ihren Nervenzusammenbruch beim ersten Abschiebungsversuch am 17. August 2016 am Flughafen habe sie „die Abschiebung vereitelt und durch ihr Verhalten ihre Mitwirkungspflicht massiv verletzt“. Welch widerlicher Zynismus! Diese sadistischen Schreibtischtäter fordern von Schwerkranken, dass sie bei ihrer Deportation mitwirken.
Witwer von Familie getrennt und deportiert
Nach acht Jahren in Wels wurde am 24. August Rita Muradian und ihre zwei in Österreich geborenen Kinder nach Armenien abgeschoben. Der Ortspfarrer und Generaldechant Dr. Slawomir Dadas schrieb erfolglos an den zuständigen Minister Sobotka: „Bitte stoppen Sie die Abschiebung der Familie, bis geklärt ist, ob sie das humanitäre Bleiberecht bekommt!“ Die traumatisierten Kinder stehen im ihnen unbekannten Land vor dem Nichts.
Ebenfalls nach Armenien wurde der 66-jährige herzkranke Georg abgeschoben. Er lebte die letzten fünf Jahren bei seinen Enkelkindern und seiner Tochter in Österreich, sie ist mittlerweile österreichische Staatsbürgerin. Seine Ehefrau hatte er in Vöcklabruck bis zum Schluss gepflegt, vor einigen Monaten ist sie verstorben. Ihr Grab kann Georg dank der Politik unserer Regierung nicht mehr besuchen. Seinen Lebensabend muss Georg allein in Armenien verbringen.
Massenabschiebung nach Kroatien
Zwei Babies der afghanischen Familie Khawari sind bereits hier geboren. Die Familie besteht aus neun Menschen, darunter Raziye, die junge Mutter eines der Kleinen. Raziye war in den vergangenen Monaten wochenlang in stationärer Behandlung, weil sie an der dauernden Angst vor der Abschiebung zerbrach. Ihr Mann Morteza ist in der ganzen Südsteiermark als Übersetzer bekannt, weil er seine fantastischen Sprachkenntnisse allen zur Verfügung stellt. Am 23. August wurde die Familie trotz all der gewichtigen Einwände von ARGE Flüchtlingspatenschaften und Border Crossing Spielfeld abgeschoben.
Border Crossing Spielfeld warnt: „Auch etwa 40 Schutzsuchende, denen die Rückkehr nach Österreich provisorisch gestattet worden war, sind nun erneut akut von Abschiebung nach Kroatien bedroht, darunter syrische, palästinensische und afghanische Schutzsuchende. Es ist zu befürchten, dass das Innenministerium sich nun so schnell wie möglich aller ‚Kroatienfälle‘ entledigen wird. Im Asylzentrum Porin in Zagreb wurden bereits vor zwei Wochen 200 zusätzliche Matratzen verteilt.“
Fehlurteile, Unrechtsgesetze und Behördenwillkür
Alle Beteiligten wissen, in Kroatien erwarten sie teilweise noch schlechtere Bedingungen als in Österreich und genauso wenig ein faires Asylverfahren. Der gefährdeten Volksgruppe der Hazara aus Afghanistan wird in Kroatien rundweg Asyl verweigert. Die Behörde stellen keine geeigneten Dolmetscher zur Verfügung, weil die Sprache der Hazara für sie gar nicht existiert! Die medizinische Versorgung im Asylzentrum Zagreb wurde vor einem Monat gänzlich eingestellt. Suizidgefährdete Menschen erhalten keine Therapie.
Mit der Abschiebeentscheidung Österreichs ist für Schutzsuchende meist die Chance auf ein sicheres Leben in ganz Europa zerstört. Kettenabschiebungen ins Kriegsgebiet sind eine reale Gefahr. Es handelt sich um den Beginn der Abschiebungen nach Kroatien nach der verheerenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. Juli. Das Gericht urteilte, dass trotz legaler Einreise nach Österreich, zuvor betretene EU-Staaten für das Asylverfahren zuständig seien. Die Minister Kurz, Sobotka und Doskozil erhielten grünes Licht.
Österreich rüstet im Krieg gegen Flüchtlinge weiter auf
Die „Festung Europa“ und allen voran Österreich deportiert – dank eines schmutzigen Rückkehrabkommens mit dem dortigen Regime – auch direkt ins afghanische Kriegsgebiet. Beispielsweise wurde am 29. März Adib abgeschoben. Ende Mai 2017 entschied das Höchstgericht, dass sein Verfahren mangelhaft war. Weitere Abschiebungen mit dem gleichen Muster folgten seither. Die afghanische Community macht mit Protesten wie dem Camp gegen Abschiebungen im Votivpark auf das Unrecht aufmerksam.
Das Ausmaß der schon erreichten Verrohung reicht der Regierung aber nicht. Drei neue „Rückkehreinrichtungen“ des Bundes sind am Entstehen, eigentlich sind es Deportationslager. Ab November sollen Flüchtlinge bis zu ihrer Deportation in Krumfelden bei Althofen in Kärnten, in Fieberbrunn in Tirol und in Steinhaus am Semmering in der Steiermark durch Gebietsbeschränkung auf den politischen Bezirk isoliert werden können. Hunderte könnten so gleichzeitig in konzertierten Aktionen gefangen genommen werden.
Mehrheit kann Sobotkas und Kurz‘ Blutrausch stoppen
Viele müssten befürchten ihre letzten Tage so in Österreich zu verleben. Afrikanische Schutzsuchende kriegen fast nur mehr negative Bescheide. Beispielsweise erhalten kaum zwei Prozent der Menschen aus Nigeria Asyl. Ihre Massenabschiebungen haben unter Beifall der Kronenzeitung schon begonnen. In Nigeria, Somalia, Südsudan und Jemen droht 1,4 Millionen Kindern laut dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF wegen Krieg, Bürgerkrieg und Dürren der Hungertod.
Innenminister Sobotka und Außenminister Kurz prahlen damit, dass Österreich jetzt schon die meisten Abschiebungen pro Kopf in der EU durchsetzt. Für das Wahlkampffinale im September sind die nächsten Sammeldeportationen in Elend, Krieg und Tod vorbereitet.
64 Prozent wählten Van der Bellen in erster Linie, um Hofer zu verhindern, das sind 1,7 Millionen Menschen. All die Menschen werden im Nationalrats-Wahlkampf bisher völlig ignoriert Die riesige Solidaritätsbewegung von 2015 braucht einen neuen politischen Ausdruck. Wenn SPÖ und Grüne sich dieser Basis besinnen würden, dann wäre das Unrecht, das an den Flüchtlingen verübt wird, zu stoppen.