A Decolonial Feminism – von Françoise Vergès

Françoise Vergès' Buch A Decolonial Feminism, das während eines Streiks von rassifizierten Reinigungsfrauen am Pariser Gare du Nord im Jahr 2018 geschrieben wurde, beginnt mit einer einfachen Frage: „Wer putzt die Welt?“ Der Text plädiert für die Integration dekolonialer Kämpfe in den Feminismus und wendet sich dabei gegen einen Feminismus, der sich dem Imperialismus andient.
10. Juni 2025 |

Das Putzen, eine Form der Arbeit, die feminisiert, rassifiziert und unsichtbar gemacht wird, ist der Ausgangspunkt für eine dekoloniale, feministische Analyse der gegenwärtigen Produktionsverhältnisse. Die eingenommene – dekoloniale und feministische – Perspektive basiert auf der inhärenten Verbindung zwischen Kolonialismus und Kapitalismus und dem Fortbestehen der daraus resultierenden sozialen Beziehungen. Die brutale Ausbeutung der kolonisierten Menschen, die Etablierung der Kolonialherrschaft – in der die Durchsetzung des modernen europäischen binären Geschlechtersystems ein Schlüsselmechanismus war – waren Bedingungen für die Entstehung der modernen europäischen kapitalistischen Gesellschaft. In einem dekolonialen Feminismus laufen die Kämpfe gegen das Kapital, gegen Heteronormativität und gegen Imperialismus in einer Analyse zusammen, die „sich weigert, Rasse, Geschlecht, Sexualität und Klasse in sich gegenseitig ausschließende Kategorien zu unterteilen.“ Kolonialität als Produktion von „Leben als wegwerfbar, von Menschen als Abfall“ war und ist in dieser Analyse ein zentraler Bestandteil der Funktionsweise des Kapitals. Durch den Rückgriff auf den erfolgreichen Streik der Putzfrauen des Gare du Nord gelingt es Vergès‘ die Analyse mit konrketen Kampfbeispielen zu verbinden.

Zivilisatorischer Feminismus

Vergès verwendet den Begriff des „zivilisatorischen Feminismus“, um einen Feminismus anzuprangern, der im Namen der Frauenrechte zur Aufrechterhaltung des Imperialismus beiträgt. Ein Feminismus, der sich offen mit rechtsextremen Parteien und nationalstaatlicher Politik verbündet hat, und islamophobe Diskurse, wie die Forderung nach einem Verbot des Hijab, mitträgt und unterstützt. Vergès verweist auf den Sommer 2016 in Frankreich, als der Burkini zum Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen wurde und in Südfrankreich von den Behörden verboten wurde. Darüber hinaus werden die Wurzeln des zivilisatorischen Feminismus bis zur Gründung der Kolonien zurückverfolgt, da europäische Feministinnen den Diskurs über ihre Unterdrückung in Analogie zur Unterdrückung der Kolonisierten entwickelten, wodurch die zentralen Elemente der Sklaverei – Gefangennahme, Verkauf, Deportation, Vergewaltigung, Folter – verschleiert wurden. Weiterhin passte das Projekt der Frauenbefreiung in Europa gut in das Narrativ der zivilisatorischen Mission: Schulen für kolonisierte Mädchen zu schaffen, Haus- und Hilfsarbeit zu fördern, Missbrauch zu bekämpfen, aber nicht die Kolonisierung selbst.

Warum noch Feminismus?

Warum also sollte man sich die Mühe machen, einen so leicht zu aneignen Begriff zu rehabilitieren? Vergès‘ Antwort ist einfach: Der Feminismus wurzelt in einem Bewusstsein für die täglichen Unterdrückungserfahrungen, die durch die Matrix von Staat, Kapital und Patriarchat hervorgerufen werden. Die Produktion der Kategorie „Frau“ zur Aufrechterhaltung der Reproduktion der Produktionskräfte, die Konstituierung der heteronormativen Familie und ihre zentrale Rolle für die Reproduktion des Kapitals werden konkret analysiert, ebenso wie die Feminisierung und Rassifizierung der Arbeit. Darüber hinaus wird das Projekt eines dekolonialen Feminismus diesen Begriff nicht nur mit den Kämpfen europäischer Frauen gleichsetzen, sondern ihn in den Widerstandspraktiken und Kämpfen des globalen Südens verankern und deren Geschichte aufdecken und zurückfordern. A Decolonial Feminism liest sich wie ein Manifest für einen organisierten globalen Kampf, der gleichzeitig antirassistisch, feministisch, antifaschistisch und antikapitalistisch ist.