Als die Audimaxbewegung die Unis erschütterte

Ständig wird uns von den Mächtigen das Gefühl vermittelt, dass wir keinen Einfluss auf die Geschichte haben können. 2009 hat die „Audimaxbewegung“ dieses Prinzip radikal auf den Kopf gestellt. Über Wochen besetzten Studierende Hörsäle in ganz Europa und jagten den Regierungen einen echten Schrecken ein.
26. April 2017 |

Sommer 2009: SPÖ und ÖVP bereiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Novelle des Universitätsgesetzes vor. Nicht einmal die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) hat Zugang zum Entwurf. Erst als die Novelle im Ministerrat beschlossen ist, wird der verheerende Inhalt bekannt: Master- und Doktoratsstudien sollen künftig mit Zugangsbeschränkungen versehen werden können, über die Einführung einer „Studieneingangsphase“ drohen Zugangsbeschränkungen durch die Hintertür. Die Universitäten sollen zu Unternehmen umgebaut werden, das Rektorat erhält gegenüber dem ohnehin nicht sehr einflussreichen Senat noch mehr Kompetenzen.

Nur wenige Wochen nach Bekanntwerden des Textes folgt der Beschluss im Nationalrat, ganz bewusst in der vorlesungsfreien Zeit, in denen die Mobilisierung von Studierenden fast unmöglich ist. Neue Zahlen, wonach fast die Hälfte der Studierenden unter der Armutsgrenze lebt, und wieder katastrophale Studienbedingungen im neuen Semester mit völlig überfüllten Hörsälen gießen weiter Öl ins Feuer. Dennoch rechnet niemand wirklich mit dem Ausbruch einer Protestwelle.

Wie eine Rakete

Am 20. Oktober besetzen die Lehrenden und Studierenden der Akademie der Bildenden Künste in Wien ihre Aula und protestieren gegen die Einführung des Bachelor-Master-Systems und die Ökonomisierung der Bildung. Ihre Proteste haben Vorbildwirkung: Zwei Tage später zieht eine Demonstration von der Akademie, an der sich viele Studierende anderer Unis beteiligten, an der Universität Wien vorbei und besetzt spontan den größten Hörsaal – das Audimax.

Die anfangs 500 Studierenden werden schon in den ersten Stunden immer mehr. Die Besetzer_innen lassen sich nicht beirren und setzen sich gegen die Polizei durch, die bald abziehen muss. Die Atmosphäre ist jetzt schon berauschend. Allen Beteiligten ist klar, dass sie hier etwas „Großes“ begonnen haben. Eine Pressestelle bildet sich heraus, die Netzwerkarbeit über Internet und Arbeitsgruppen läuft an. Die „Protestwelle“ kommt ins Rollen.

Riesige Strahlkraft

Der Autor dieser Zeilen wird politisiert und bereitet mit Gleichgesinnten, die die Bewegung ausweiten wollen, eine Hörer_innenversammlung an der Technischen Universität Wien vor. Die Versammlung platzt aus allen Nähten und endet, wie geplant, in der Besetzung des Hörsaals. Die Bewegung weitet sich auf alle Universitätsstädte Österreichs aus – und darüber hinaus. Der Funke springt auf Hochschulen in Deutschland, der Schweiz, Polen und England über. Solidaritätsbekundungen treffen aus Tokio und Rio de Janeiro ein.

Den Höhepunkt erreicht die Bewegung am 27. Oktober, als 50.000 Menschen in Wien auf einer fantastischen Demonstration „Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne“ fordern. Nur drei Tage später versucht Wissenschaftsminister Johannes Hahn mit einem Zugeständnis die Lage zu kalmieren – 34 Millionen Euro mehr für die Universitäten. Er muss wenige Tage später seinen Posten räumen und wird nach Brüssel in die EU-Kommission verfrachtet.

Radikalisierung

ÖGB-Vizepräsidentin Sabine Oberhauser besucht das Audimax und übermittelt Solidaritätsgrüße der Gewerkschaft. An der TU organisieren Studierende eine Demonstration zur Unterstützung der Lohnrunde der Metaller_innen zur Wirtschaftskammer. Die Gewerkschaft enthüllt das Protestbanner „TU brennt fordert höhere Löhne für Metaller“ im Verhandlungssaal vor den Unternehmern. Shell-Arbeiter_innen drohen mit Streik und Delegationen von Studierenden fahren in die Lobau, um sich zu solidarisieren.

Die Verbindung mit streikenden Arbeiter_innen hätte die Bewegung noch mächtiger gemacht. Studierendenbewegungen für sich schießen wie Raketen in die Höhe, aber sie fallen auch wie ein Stein wieder herunter. Über Wochen dominierte die Protestbewegung dennoch sämtliche gesellschaftlichen Diskussionen über linke Alternativen und soziale Gerechtigkeit. Die FPÖ war wie vom Erdboden verschluckt.

Tausende entdeckten eine völlig andere Sicht auf die Welt und dass sie mit kollektivem Widerstand etwas verändern können. Es wird wieder passieren.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.