Am Dienstag bleiben Kindergärten geschlossen

Interview mit Karin Wilflingseder, Vorsitzende der Themenplattform Elementar- und Freizeitpädagogik
11. Oktober 2021 |

Linkswende jetzt: Einen Streik in Kindergärten zu organisieren ist sicher sehr schwierig. Ihr habt deshalb eine „Betriebsversammlung im öffentlichen Raum“ als Kampfform gewählt. Beeindruckt das die Verantwortlichen?

Karin Wilflingseder: Ganz offensichtlich! Der für uns zuständige Wiener Bildungsstadtrat Wiederkehr hat sicher nicht zufällig fünf Tage vor unserer Betriebsversammlung zusätzliche 13 Millionen Euro locker gemacht und die Stunden der Assistentinnen von 20 auf 40 Stunden verdoppelt. Bildungsminister Faßmann hat ebenfalls wenige Tage vor unserem Protest angekündigt, die Fördermittel des Bundes für die Elementarpädagogik zu erhöhen. Und genauso wenig wird es kaum Zufall gewesen sein, dass Faßmann urplötzlich die Gewerkschaft in den Bildungsbeirat eingeladen hat. Das sind alte Forderungen, die er zuvor nicht einmal ignoriert hat.

Gratulation also schon bevor ihr losgelegt habt.

Danke, wir sind natürlich alle sehr euphorisch über diese ersten und wirklich großen Erfolge. Wir haben ja absichtlich auf eine öffentliche Betriebsversammlung gesetzt, damit uns niemand übergehen kann. Unsere Betriebsversammlungen beginnen kommenden Dienstag in der Früh in den Kindergärten und dann kommen wir alle aus ganz Wien um 10 Uhr im Sigmund-Freud-Park neben der UNI Wien zusammen und protestieren dort mit Unterstützung der Gewerkschaft GPA öffentlich.

Kannst du uns einmal erzählen, wie ihr soweit gekommen seid?

Ja gerne, wir sind ein Zusammenschluss von Betriebsrätinnen und Betriebsräten der privaten elementarpädagogischen Träger in Wien und haben uns innerhalb der GPA, der Gewerkschaft der Privatangestellten als Themenplattform organisiert. Der Grund? Weil es uns sprichwörtlich reicht. Die Arbeitsbedingungen sind wegen der chronischen Unterfinanzierung wirklich oft unerträglich. Dabei arbeite ich persönlich in einem Kindergarten mit, im Vergleich dazu, guten Arbeitsbedingungen. Aber in den meisten Kindergärten – ob privat oder öffentlich – sind die Arbeitsbedingungen unvorstellbar hart. Häufig steht nur eine Pädagogin oder ein Pädagoge in der Gruppe, während die Assistent_in während ihrer vier Stunden Arbeitszeit pro Tag Essen vorbereiten und Reinigungsarbeiten machen muss. Mit Glück stehen die Assistent_innen den Pädagog_innen zumindest eine bis zwei Stunden zur Seite. Gerade habe ich wieder von einer Kollegin erzählt bekommen, dass sie sich eine Harnwegsinfektion geholt hat, weil sie es vor lauter Stress nicht schafft, aufs WC zu gehen. Man kann ja 25 Kinder nicht so einfach für 3 Minuten alleine lassen.

Eine Pädagogin mit 25 Kindern, das ist ja fast unvorstellbar!

Stimmt, das ist es. Um dir eine Vorstellung zu geben. Von den jungen Leuten, die die Ausbildung zur Elementarpädagog_in absolvieren, bleiben gerade einmal etwa 25 Prozent im Beruf. Der Rest hört frühzeitig auf oder fängt gar nicht erst an, weil die ersten Erfahrungen im Beruf, weil Realität alle ihre Träume zerstört. Das sind ja meistens Idealist_innen, die einen schlecht bezahlten Beruf wählen, um wertvolle Bildungsarbeit zu leisten.

Die Politik hat es soweit kommen lassen können, weil sie sich an den vielen verschiedenen Zuständigen abputzen kann. Horte und Kindergärten sind Ländersache, und die Länder bekommen im Rahmen der so genannten 15a-Vereinbarung vom Bund Mittel für den Betrieb zur Verfügung gestellt. Die Horte und Kindergärten sind aber nicht nur je nach Bundesland unterschiedlich organisiert, sondern wir haben öffentliche und private, und bei den Privaten eine Unzahl unterschiedlicher Träger; von der kleinen Eltern-verwalteten Gruppe über Pfarrkindergärten und Diakonie Bildung oder Caritas Sozialis bis zu ganz großen Trägern, wie den Wiener Kinderfreunden, Kinder in Wien oder der Sankt Nikolaus Stiftung. Umso mehr dürfen wir stolz sein, dass sich in unserer Themenplattform Elementar- und Freizeitpädagogik so viele Betriebsrät_innen von so unterschiedlichen Trägern zusammen organisiert haben. Jetzt schreiten wir zur Tat.

Das ist ehrlich schockierend. Was muss sich konkret verbessern?

Ganz kurz gesagt: Wir wollen kleinere Gruppen, mehr Personal und eine anständige Bezahlung. Wir brauchen auch eine einheitliche Ausbildung für Assistent_innen, das gibt es nämlich in Österreich nicht. Gewisse pädagogische Standards kannst du nur bis zu einer bestimmten Gruppengröße erreichen oder aufrechterhalten. Wir nennen das den Kind-Personal-Schlüssel. Für die ganz Kleinen in den Kinderkrippn braucht es eine dritte Kraft im Raum und einen Kind-Personal-Schlüssel von 2:1, so die gängigen Empfehlungen. Bei den 2-3-Jährigen wäre das 3:1, bei den 3-6-Jährigen 7:1 und eine maximale Gruppengröße von 15 Kindern. Davon sind wir in Österreich meilenweit entfernt

Also noch ein weiter Weg?

Diesmal machen wir unsere Betriebsversammlungen von 6 Uhr bis 12.30. Das nächste Mal werden wir wahrscheinlich die Zeit ausbauen müssen. Dieses Mal nehmen die Horte nur ganz kurz Teil, weil die ja erst um 12 Uhr aufsperren, wir können das aber auch ganz anders organisieren. Wir sind sehr gut mit anderen Gewerkschaften vernetzt. Wir können auch Gewerkschafts-übergreifend Aktionen machen. Wir sind auch bundesweit gut vernetzt. Wir haben sowohl auf der Wiener Ebene als auch auf der Bundesebene noch wahnsinnig viel Potential. Und wir sind kampfbereit!

Die Betriebsrät_innen versammeln tausende Beschäftigte am Dienstag, 12.Oktober um 10:00 Uhr zu einer gemeinsamen und öffentlichen Betriebsversammlung im Votivpark (Sigmund-Freud-Park). Zeigen wir unsere Solidarität mit den Kämpfenden!