Burkina Faso: Traoré – Meme oder Anti-Imperialist?
Das Scheitern der US-Invasionen in Afghanistan und Irak sowie der geopolitische Aufstieg Chinas führen zu einem langsamen Ende der globalen Dominanz der USA. Der europäische Imperialismus war nach der Suezkrise von 1956 nie mehr als ein Anhängsel des amerikanischen. Unterstützt von den USA konnte Frankreich in Afrika und insbesondere in der Sahelzone seine Vormachtstellung beibehalten.
Dafür setzte es neben direkten militärischen Interventionen auf ein Geflecht von ökonomischen Abhängigkeiten. Zentral für die ökonomische Abhängigkeit war der CFA-Franc, der in den Sahelstaaten als Währung gilt. Die Währung ist eng an den Euro gekoppelt, wodurch die Geldpolitik in den Sahelstaaten von europäischen Interessen gesteuert wird.
Welle der Putsche
In den vergangenen Jahren kam es in den Sahelstaaten, u. a. in Mali, Niger und Burkina Faso, zu einer Reihe von „Militärputschen“, die sich gegen die französische Vormachtstellung richteten. Bevor Traoré in Burkina Faso die Macht übernahm, hatte der Favorit des Westens, Paul-Henri Sandaogo Damiba, 2022 die demokratisch gewählte Regierung mit einem Putsch beseitigt. Zentrale Rechtfertigung für den Putsch war der Kampf gegen islamistischen Terrorismus. Traoré, der selbst aus dem Militär kommt, argumentierte mit weiteren Offizieren, dass auch Damiba den Kampf gegen den Terrorismus nur halbherzig führe, und erhielt dadurch Rückendeckung für seinen Putsch am 30. September 2022.
Thomas Sankara
Burkina Faso, was in den beiden Landessprachen Mòoré und Dioula in etwa „Land der aufrechten Menschen“ bedeutet, erhielt seinen Namen vom legendären General Sankara. Dieser führte 1983 einen Staatsstreich gegen eine dem Westen nahestehende Regierung durch und gab dem Land seinen nicht-kolonialen Namen.
Neben symbolischen Gesten folgte Sankara der klassischen Politik von Staaten, die aus anti-kolonialen Revolten hervorgegangen waren, mit einem linken Einschlag: Er setzte auf Staatsausgaben, Investitionen ins Bildungssystem, Stärkung von Frauenrechten. Gleichzeitig herrschte Sankara als Diktator, der bereit war, hart gegen die Interessen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. So blockierte er unabhängige Gewerkschaften und Streiks.
Auch wenn Sankara ohne Frage zu den Radikalsten unter jenen gehörte, die versuchten, mit dem kolonialen Erbe zu brechen, hat er mit einer revolutionären Politik im Sinne der Selbstbefreiung der Arbeiter:innenklasse wenig zu tun. 1987 wurde Sankara vermutlich mit französischer Zustimmung von seinem Vizepräsidenten beseitigt und ermordet. Trotzdem, oder gerade deswegen, gilt Sankara in breiten Teilen Afrikas, sowie generell in der anti-kolonialen Bewegung, als Vorreiter. Traoré weiß das und versucht aktiv, sich als Sankaras Nachfolger zu inszenieren.
Alles Fake?
In der Bewertung von Traoré ist wichtig, zwischen der Online-Glorifizierung und der realen Politik zu unterscheiden. Der lesenswerte Artikel „Tangible Change or Online Cult? The Case of Ibrahim Traoré and Burkina Faso“ stellt präzise dar, wie viele der kursierenden Behauptungen über Traoré einfach erfunden sind.
Es gibt keinen Beleg dafür, dass die gesamte Bildung vom Kindergarten bis zur Universität für Bürger:innen von Burkina Faso kostenlos gemacht wurde. Die viel gefeierten kostenlosen Mutterschaftsdienste spielen auf ein Gesetz an, das seit 2016 in Kraft ist. Ähnlich unrichtig ist die Behauptung, Traoré verweigere die Schuldenrückzahlung an westliche Institutionen, und es ist anzunehmen, dass es nach wie vor Kreditprogramme von IWF und Weltbank für Burkina Faso gibt.
Auch das wichtigste Projekt der finanzpolitischen Unabhängigkeit von Frankreich kommt nicht so voran, wie behauptet. Die neugegründete unabhängige Staatsbank Burkina Fasos ist eine Wunschvorstellung: Frankreich besitzt noch immer finanzpolitische Vetorechte, und die Währung wird 2024 noch immer von der französischen Zentralbank in der französischen Stadt Chamalières gedruckt.
Radikale Politik?
Die Politik Traorés, insbesondere in Kombination mit den Regierungschefs von Mali und Niger, ist jedoch mehr als ein reiner Online-Hype. Sie arbeiten aktiv daran, die französische Militärpräsenz in der Sahelzone abzuschaffen. In Burkina Faso sind seit 2023 keine französischen Truppen mehr stationiert. Es wird an einer stärkeren wirtschaftlichen Unabhängigkeit gearbeitet: Goldminen in Boungou und Wahgnion wurden von Burkina Faso von westlichen Unternehmen zurückgekauft, und ausländische Unternehmen sind nun verpflichtet, dem Staat eine Beteiligung von 15 % zu gewähren sowie Einheimische auszubilden.
Gemessen an den vergangenen Jahrzehnten neoliberaler Wirtschaftspolitik ist Traorés Fokus auf Ressourcensouveränität und staatliche Wirtschaftseingriffe radikal. Im Vergleich zu den historischen Maßnahmen der anti-kolonialen Staaten während des Kalten Krieges ist es jedoch eher rosa als rot. Neben unterstützenswerter Wirtschaftspolitik finden sich im gesellschaftlichen Bereich reaktionäre Politiken. Am 1. September 2025 wurde Homosexualität mit Gefängnisstrafen von zwei bis fünf Jahren kriminalisiert. Zuvor war Burkina Faso einer der wenigen westafrikanischen Staaten, in denen Homosexualität nicht kriminalisiert war.
Herrentausch
Ein weiteres Problem von Traorés Politik ist, dass er keinen Ausweg aus der Zwickmühle „entweder der Westen oder Russland/China“ kennt. Direkt formuliert: Russische Truppen übernahmen die Rolle der französischen, chinesische Firmen jene der westlichen. Die Zwickmühle, sich als machtloser Staat in einer multi-dimensionalen Weltordnung hinter einen der führenden Imperialismen stellen zu müssen, ist real. Doch echte revolutionäre Politik würde darauf abzielen, strategisch aus diesem Verhältnis auszubrechen, nicht den einen Herren gegen den anderen zu tauschen.
Untersützung für Traoré
Wie Studien der African Union zeigen, hat Afrika im Durchschnitt die jüngste Bevölkerung der Welt. Junge Bevölkerungen neigen dazu, die Wahrscheinlichkeit politischer Umbrüche in einem Staat zu erhöhen. Das Afrobarometer 2024 zeigt, dass gerade die junge Bevölkerung Afrikas bereit ist, Militärputsche zu akzeptieren, wenn diese das eigene Leben verbessern. Teile dieser Jugend haben erlebt, dass die Versprechen der parlamentarischen Demokratie — Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — nichts als leere Worte sind. In der Realität bedeutet parlamentarische Demokratie für sie korrupte Elitenherrschaft, die obendrein mit dem Westen paktiert.
Als revolutionäre Sozialist:innen sollten wir diese Position nicht unterstützen, uns aber genauso wenig mit den Liberalen und NGOs gemein machen und Demokratie als Allheilmittel darstellen. Statt der parlamentarischen Demokratie sollten wir die Vorstellungen einer revolutionären Demokratie betonen, die sich auf Räte stützt. In den Revolutionen des 21. Jahrhunderts insbesondere im Sudan und Syrien kam es zur Bildung von Räten, die sowohl den Widerstand als auch das alltägliche wirtschaftliche Leben organisierten. Für diese Perspektive einer echten Demokratie, in der die normalen Menschen — nicht Militärs und Politiker — die Geschicke leiten, müssen wir kämpfen