China: Lockdown-Proteste erschüttern das Regime
Eine Welle von Protesten gegen die Covid-Abriegelungen in China stellt eine Herausforderung für das Regime und seine Null-Covid-Strategie dar. Sie unterstreicht, dass die Anti-Covid-Maßnahmen, genau wie im Westen, von den Bedürfnissen des Profits und nicht von den Bedürfnissen der Menschen geleitet wurden.
Mindestens zehn Städte, darunter Shanghai, Peking und Wuhan, wurden am vergangenen Wochenende von seltenen Straßendemonstrationen erschüttert. Auslöser des Ausbruchs war zunächst ein tödlicher Wohnungsbrand in Urumqi in der Region Xinjiang. Die Demonstranten in Urumqi beklagen, dass die Abriegelung der Stadt die Rettungsarbeiten behindert und den Menschen die Flucht erschwert hat.
Zugeschweißte Türen
Ein Gefühl, mit dem sich viele in China identifizieren konnten. Nach fast drei Jahren der Pandemiebeschränkungen berichten Menschen davon, dass sie zu Hause unter Quarantäne gestellt wurden, manchmal sogar mit von den Behörden zugeschweißten Türen.
Die einzige Null-Covid-Strategie, die eine Chance hätte, wäre eine, die von den einfachen Menschen selbst diktiert und umgesetzt wurde
Am stärksten scheint die Bewegung auf dem Universitätsgelände zu sein, wo sich die Stimmung gegen die Quarantäne mit der Forderung nach mehr Demokratie vermischt hat. Ihre Wut findet in verschiedenen Schichten der chinesischen Gesellschaft ein offenes Echo. Diese reichen von Wanderarbeitern, die mit Arbeitslosigkeit und Lebensmittelknappheit während der Abriegelungen zu kämpfen haben, bis hin zu Berufstätigen, die über Reisebeschränkungen verärgert sind.
In Schanghai forderten die Demonstranten den Rücktritt von Präsident Xi Jinping – eine kühne Forderung in einem Land, in dem Dissidenten mit langen Freiheitsstrafen bedroht sind. Von der BBC beschaffte Aufnahmen dieses Protests zeigen, wie Polizeikommandos Menschen wegschleppen. Jetzt sollen die Behörden noch härter durchgreifen.
Unterfinanziertes Gesundheitssystem
Die Wut der Demonstranten kommt inmitten eines massiven wirtschaftlichen Abschwungs und des größten Covid-Ausbruchs seit mindestens sechs Monaten, gerade als der Staat begann, seine Maßnahmen zu lockern. Das bedeutet, dass neben der Wut über die Null-Covid-Version des chinesischen Staates auch die Angst vor einer potenziell verheerenden neuen Welle wächst.
Viele glauben, das Gesundheitssystem wird überfordert sein, wenn China seine Covid-Politik aufgibt. „Die Krankenhäuser werden unweigerlich mit einem Mangel an Betten konfrontiert sein, um den Zustrom von Patienten zu bewältigen“, sagte Michael Huang, der gerade 500 Pfund für ein Beatmungsgerät ausgegeben hatte, gegenüber der Zeitung Financial Times. „Ich muss sicherstellen, dass mein Vater zu Hause behandelt wird, wenn die Notaufnahme ihn nicht aufnehmen kann.“
Die Gefahr eines Zusammenbruchs des Gesundheitswesens ist real. Die Gesundheitsausgaben pro Person betragen in China nur 458 Pfund pro Jahr, verglichen mit 4.313 Pfund in Großbritannien. Und nur die Hälfte der über 80-Jährigen hat sich zweimal impfen lassen.
Das bedeutet, dass ein Zustrom von extrem gefährdeten Menschen mit Covid eine echte Möglichkeit ist. Eine sofortige Aufhebung aller Covid-Beschränkungen in China würde zu 5 Millionen Krankenhausaufenthalten und 1,55 Millionen Todesfällen führen, so eine von Fachleuten geprüfte Studie der Fudan-Universität in Shanghai. Dies weist auf den wahren Grund hin, warum der chinesische Staat seine eigene Version einer Null-Covid-Strategie eingeführt hat. Er wollte die Gesundheitsausgaben niedrig halten und gleichzeitig die Fabriken mit voller Kapazität laufen lassen.
Falscher autoritärer Weg
Eine Zeit lang konnte diese Strategie echte Vorteile gegenüber der in Großbritannien und den USA so rücksichtslos verfolgten Strategie aufweisen. In Großbritannien sind 313 Menschen pro 100.000 an Covid gestorben. In China liegt die Zahl bei nur 1.
Die jüngste Protestwelle in China beweist, dass die Aufrechterhaltung einer Lockdown-Politik in einem Land allein – und unter Androhung staatlicher Gewalt – nicht ewig Bestand haben kann. Die einzige Null-Covid-Strategie, die eine Chance hätte, wäre eine, die von den einfachen Menschen selbst diktiert und umgesetzt wurde.
Im englischen Original ist der Artikel in der sozialistischen Zeitung Socialist Worker erschienen
Zusatzinfo: Chinas Vereinnahmung des Sozialismus
Die Parteitage der Kommunistischen Partei Chinas sind die größten Milliardärstreffen der Welt. Die 70 reichsten Abgeordneten bringen es auf ein Privatvermögen von 90 Milliarden US-Dollar.
Selbstwahrnehmung der KP
China ist ein turbo-kapitalistischer Staat, gleichzeitig wird es medial als sozialistisch diskutiert. Die rechts-konservativen Journalisten Matt Pottinger und Matthew Johnson schrieben für die Zeitschrift Foreign Affairs einen Artikel, indem sie die internen Äußerungen des Staatschefs Xi Jinping zusammentrugen.
Seine „Weltsicht“ eines deterministischen Marxismus formulierte er in einer Ansprache an das Zentralkomitee der KP: „Einige Leute denken, dass der Kommunismus angestrebt, aber nie erreicht werden kann. (…) Die Analyse von Marx und Engels über den grundlegenden Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft sind nicht überholt, noch ist die historisch-materialistische Ansicht, dass der Kapitalismus unweigerlich untergehen und der Sozialismus unweigerlich triumphieren wird, überholt.“
Zentraler ideologischer Bezugspunkt für Xi Jinping ist der Zusammenbruch der Sowjetunion. Immer wieder betont er, der Zusammenbruch ist Produkt der ideologischen Öffnung. In seinen Augen erschütterte die Sowjetunion ihre Grundlagen, als sie begann, sich in der Phase Chruschtschow vom Erbe Stalins zu distanzieren. An diese Überlegungen anknüpfend verwirft Xi Jinping die Vorstellung einer „friedlichen Koexistenz“ zwischen China und dem westlichen Block. Die Generallinie der „friedlichen Koexistenz“ wurde 1956 am 20. Parteitag der KP der Sowjetunion festgelegt. Für Xi Jinping war sie Ausdruck der Verweichlichung. Genauso attackiert er die Angst der Sowjetunion davor „Die Werkzeuge der Diktatur“ einzusetzen.
Glaubt die KP wirklich, sie würde für den weltweiten Sozialismus kämpfen? Wahrscheinlich nicht und mit den Ideen von Marx und Lenin hat der chinesische „Sozialismus“ nichts zu tun.
Die Selbstwahrnehmung der KP zeigt uns, falls die aktuelle Protestbewegung die Machtfrage stellt, wird der Staat mit allen Mitteln gegen diese vorgehen. Zweitens China wird sich dazu gezwungen fühlen, auf US-Provokationen in Taiwan zu reagieren. Aus den internen Äußerungen ergibt sich auch die Frage: Glaubt die KP wirklich, sie würde für den weltweiten Sozialismus kämpfen? Wahrscheinlich nicht und mit den Ideen von Marx und Lenin hat der chinesische „Sozialismus“ nichts zu tun. Die Fabriken werden nicht von Arbeiter_innen kontrolliert, sondern von Parteibürokraten.
Xi Jinping hat verstanden: Ein mächtiger Staat braucht eine ideologische Legitimation, die nach innen festigend wirkt und nach außen abschirmt. Erstaunlich, wie gerne Freund und Feind diese dümmliche Selbstdarstellung übernehmen.