Colin Barker (1939-2019): Ein Revolutionär im besten Sinne

Mit Colin Barker ist Anfang Februar ein revolutionärer Denker und Aktivist verstorben, dessen Ideen und Visionen für die Linke von großer Bedeutung bleiben werden.
27. März 2019 |

Der Essay, der Colin Barker am meisten geprägt habe und dessen Prinzipien er sein Leben lang versucht habe, zu folgen, sei Hal Drapers Aufsatz über Die zwei Seelen des Sozialismus. „Den gibt’s im Internet. Lies ihn, wenn du ihn noch nicht kennst!“, so Colin.

„Die zwei Seelen des Sozialismus“: Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Ideen von Emanzipation. Die eine, Sozialismus von oben, ist die dominante in der Geschichte der Linken: Reformismus, Stalinismus, Guerilla-Bewegungen – sie alle eint die Idee, „dass die wenigen Weisen, die Gebildeten und gut Ausgebildeten, die heldenhafte Minderheit im Namen der Menschheit die gesellschaftlichen Probleme lösen werden“, wie Colin es einmal formulierte.

Der Kern der Idee eines Sozialismus von unten dagegen ist, so fasst es Hal Draper in seinem Aufsatz zusammen, „dass der Sozialismus nur durch die Selbstbefreiung der in Bewegung geratenen Massen verwirklicht werden kann, die die Freiheit mit eigenen Händen ergreifen, die sich ‚von unten‘ in einen Kampf werfen, um die Kontrolle über ihr Schicksal zu übernehmen, als Handelnde (nicht nur Unterworfene) auf der Bühne der Geschichte“.

Über 50 Jahre Revolutionär

Es ist diese Vision revolutionären Wandels, ihre praktische Übersetzung sowie ihre theoretische Begleitung und Weiterentwicklung, der Colin Barker sein Leben und Wirken widmete.

Als Student in Oxford trat Colin 1962 der Gruppe der International Socialists bei. In den folgenden Jahren spielte Colin eine zentrale Rolle im Aufbau der International Socialists, aus denen später die Socialist Workers Party (SWP) hervorgehen sollte.

1978 intervenierte Colin mit seinem Aufsatz State as Capital in die Debatten über die marxistische Staatstheorie. Dem folgte das Buch Festival of the Oppressed: Solidarity, Reform and Revolution in Poland 1980-81.

Demokratische Führung

Sein wahrscheinlich wichtigster Beitrag zum Marxismus liegt jedoch in der Verbindung seines langjährigen Aktivismus mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen. Der von ihm herausgegebene Sammelband Marxism and Social Movements – seine letzte große Veröffentlichung – ist nicht nur für die akademische Welt von großem Interesse.

Wer die Welt verändern will, benötigt ein Konzept von demokratischer und emanzipatorischer Führung. Sozialismus kann, wir erinnern uns an Hal Draper, nur durch die „Selbstbefreiung der in Bewegung geratenen Massen“ verwirklicht werden. Sozialismus ist so verstanden die radikalste Form der Demokratie. Doch sicher ist auch: Wir können nicht einfach darauf warten, dass die Massen sich erheben.

Auch müssen wir davon ausgehen, dass die Herrschenden – und diejenigen, die auf einen Kompromiss mit ihnen abzielen – alles tun werden, um auch die größte Massenbewegung davon abzuhalten, wirklich als „Handelnde die Bühne der Geschichte“ zu betreten. Was also ist Rolle und Aufgabe von Revolutionären? Führung – demokratische und emanzipatorische, das heißt revolutionäre Führung –, so argumentiert Colin, sollten wir als eine Aktivität und ein dialogisches Verhältnis zugleich verstehen.

Führung heißt, Vorschläge zu machen und andere dazu zu bewegen, selber zu führen und gemeinsam den Weg zur Bühne der Geschichte zu finden. Es ist eine Aufgabe, für die es – davon war Colin zeitlebens überzeugt – einer revolutionären Organisation bedarf.

Undogmatisch und doch klar

Er begeisterte sich für die Theorie der sozialen Reproduktion und den damit verbundenen Ansatz, die Unterdrückung der Frauen von Marx’ Kapital ausgehend neu zu denken. Colin tat dies wieder von einem klaren Standpunkt aus, einem revolutionären in der Tradition der Überzeugung von Marx und Engels, dass die „Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst“ sein muss.

„Immer wieder sind diese Ideen von neuem aufgetaucht und immer wieder wurden sie zurückgeschlagen“, schreibt Colin in seiner letzten Mail. „Sie werden immer wieder aufleben. Die Überzeugung, dass sie in der Praxis gewinnen können, hat meinem Leben einen Sinn gegeben.“

Am 4. Februar ist Colin nun im Alter von 79 Jahren verstorben. Wer sich wie er bis an sein Lebensende, nach Höhen und Tiefen, Erfolgen und Misserfolgen, immer noch diesen Ideen verschreibt, der ist eines mit Sicherheit immer geblieben: ein Revolutionär im besten Sinne, voller Tatendrang und weitherziger Menschlichkeit.

Der Nachruf ist zuerst auf marx21.de erschienen