Das Corona-Virus entlarvt eine progressive EU als Mythos

Das Coronavirus hat die politischen Führungspersönlichkeiten als unzulänglich entblößt. Die systematische Stümperei der Regierung von Boris Johnson gipfelt in dem Fakt, dass er, der Gesundheitsminister und sein leitender medizinischer Berater alle positiv auf das Coronavirus getestet wurden.
7. April 2020 |

Donald Trumps stumpfsinnige Ignoranz und seine Sündenbock-Politik wird nur noch von der  brutalen Inkompetenz seines brasilianischen Zwillings Jair Bolsonaro übertroffen. Aber diese Witzfiguren der gegenwärtigen Rechtsaußen-Politik sollten nicht von den miserablen Leistungen der etablierten neoliberalen Institutionen ablenken. Als Trump ins Weiße Haus einzog, wiegte sich die Europäische Union im Irrglauben, dass sie diese Lücke füllen könne. Ihre dominante politische Persönlichkeit, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, wurde als „wahre Anführerin der freien Welt“ dargestellt. Aber nun hat die die Corona-Pandemie auch die EU bloßgestellt.

Die EU strebt angeblich eine „immer engere Union“ an, welche in einer mit den USA vergleichbaren Föderation europäischer Bundesstaaten gipfeln soll. Doch obwohl sie einige transnationale Institutionen hat, insbesondere die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission, bleibt sie ein Kartell von kapitalistischen Nationalstaaten. In diesem geben die Mächtigsten, allen voran Deutschland und Frankreich, den Ton an.

Aus diesem Grund folgt die Fummelei der EU während der Pandemie genau dem gleichen Muster wie während  der globalen Finanzkrise. Zunächst kam die direkte Reaktion auf die Krise von den nationalen Regierungen. Diese verfügen über deutlich größere Ressourcen und besitzen mehr Legitimität als die Institutionen der EU, darum entschieden sie über die Sperrmaßnahmen. Das hatte zur Folge, dass die Reaktionen nur stückchenweise und erfolgten. Sowohl Schweden als auch die Niederlande haben vollständige Ausgangssperren vermieden und verfolgen Varianten von Boris Johnsons diskreditierter Strategie der „Herdenimmunität“.

Schlimmer noch, jeder Staat ist auf sich selbst gestellt. Anfang März hat Italien an die anderen um internationale Hilfe appelliert. Der Rest der EU hat nicht reagiert. Nur China bot medizinische Versorgung und Fachwissen an. Es gibt eine unbestätigte Geschichte, dass einige dieser Versorgungsgüter auf dem Weg nach Westen von der Tschechischen Republik beschlagnahmt wurden. Soviel zur „europäischen Solidarität“, mit der sich die EU gerne brüstet.

Ungewissheit

Zweitens gibt es die  wirtschaftspolitische Antwort. Unter den Ökonomen scheint es Konsens darüber zu geben, dass wir auf einen Wirtschaftsabschwung zusteuern, der stärker sein wird als die Große Rezession von 2008-9.

Nouriel Roubini, eine der wenigen, die die globale Finanzkrise vorhersagten, warnt vor einer „Größeren Depression“, schlimmer als in den 1930ern. Die größte Unsicherheit betrifft, wie lange diese Katastrophe andauern wird. Deswegen pumpen die Regierungen nun so viel Geld wie sie können in ihre Volkswirtschaften. Der konservative britische Finanzminister Rishi Sunak hat bis jetzt vier Mal hintereinander Notfallhilfen bekanntgegeben.

Das kann zu einem Budgetdefizit führen, in dem einige Ausgaben durch Kredite gedeckt werden müssen. Namentlich über 200 Milliarden Pfund im nächsten Jahr, im Vergleich zu knapp 29 Milliarden Euro im Jahre 2018-19. Die deutsche Koalitions-Regierung stockte den Haushalt um 350 Milliarden Euro auf, was 10 Prozent des Bruttoeinkommens entspricht. Deutschland hat sich damit das Recht eingeräumt die selbstgesetzte, ökonomisch undurchdachte, Regel für eine „schwarze Null“, die keine Budgetdefizite erlaubt, zu ignorieren. Diese Regel hatte die Bundesregierung anderen Euroländern aufgezwungen.

Währenddessen sind Ländern wie Italien und anderen schwächeren Mitgliedsstaaten durch den Europäischen Fiskalpakt von 2012 die Hände gebunden. Dieser Fiskalpakt gibt der Europäischen Kommission die Macht, Staatshaushalte zu kontrollieren und die Kreditaufnahme der Staaten zu begrenzen. Das ist das hässliche Erbe der Eurokrise, in der Griechenland, Irland, Spanien und Portugal eine rigorose Sparpolitik aufgezwungen wurde.

Die gleiche Aufstellung gab es letzte Woche im Europäischen Rat – dem obersten Entscheidungsgremium der EU. Eine Allianz hauptsächlich südlicher Mitgliedsstaaten setzte sich für die Einführung von „Coronabonds“ ein, die eine gemeinsame Aufnahme von Krediten der EU-Regierungen erlauben würde. Dies wurde von der sogenannten „hanseatischen Liga“, einem Zusammenschluss wohlhabender nördlicher Mitgliedsstaaten, unterstützt von Merkel, blockiert. Erneut hat der neoliberale Kult um das „solide Geld“ in einer ökonomischen Notlage gesiegt.

Kein Wunder, dass Yanis Varoufakis, linker Politiker und ehemaliger Finanzminister Griechenlands, so reagiert: „Ich denke nicht, dass die EU irgendetwas anderes kann, als uns Schaden zuzufügen. Ich hatte mich gegen den Brexit gestellt, aber jetzt bin ich zum Schluss gekommen, dass die Briten das Richtige getan haben, wenn auch aus den falschen Gründen.“

Alex Callinicos ist führendes Mitglied der Socialist Workers Party (SWP, Schwesterorganisation von Linkswende jetzt) und Professor für Europäische Studien am King’s College London. Der Artikel ist zuerst in Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Vincent Kretschmer.