Das Märchen von der glücklichen Ehe zwischen Wachstum und Klimaschutz

Greta Thunberg prangerte in ihrer Rede am UN-Klimagipfel in New York die „Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum“ an. Sie hätten bislang echten Klimaschutz verhindert. Dennoch hält sich hartnäckig die Mär von der Vereinbarkeit zwischen Wachstum und Klimapolitik, und immer wieder fallen die Musterbeispiele Dänemark, Schweden, Finnland und die Schweiz.
27. Januar 2020 |

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) argumentierte beim 50. World Economic Forum (WEF) in Davos, dass man wirtschaftsliberale Politik und Wachstum mit Klimaschutz vereinen könne. Die Umweltschutzorganisation Global 2000 veröffentlichte nur wenige Wochen zuvor eine Analyse, die ebenfalls zeigen sollte, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimapolitik nicht widersprechen müssten. Dänemark, Schweden, Finnland und die Schweiz hätten, so die NGO, mittels ökosozialer Steuerreformen und hohen Umweltstandards ihre Emissionen reduziert und zugleich die Wirtschaft belebt. Damit soll gezeigt werden, dass „grünes Wachstum“ möglich sei.

Die Zahlen, die Global 2000 liefert und die Kurz’ Argumentation stützen, zeichnen allerdings ein völlig verzerrtes Bild der Realität. Denn die Emissions-Bilanzen, die im Rahmen des UN Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) gesammelt werden, werden bislang nur in der Produktion innerhalb von Landesgrenzen erhoben. Doch gerade in den letzten 20 Jahren wurden enorme Mengen an Kohlendioxid (CO2) aus den Industrie- in die Schwellen- und Entwicklungsländer ausgelagert. Viele bei uns angebotene CO2-intensive Produkte werden nicht mehr im Westen, sondern in China oder Indien gefertigt. Die für ihre Produktion anfallenden Emissionen fließen in deren nationale Emissionsbilanzen ein, nicht in unsere.

Die Plattform CarbonBrief kommt zum Schluss: „Berücksichtigt man die CO2-Importe, fällt die Dekarbonisierung in vielen entwickelten Ländern viel schwächer aus, als sie eigentlich aussieht.“

Bildkorrektur

2010 erhob Steve Davis an der University of California in Irvine erstmals ausführliche Daten über die Importe und Exporte von Kohlendioxid. Das Global Carbon Project unterscheidet gleichermaßen anhand von ähnlichen Datenbanken zwischen CO2-Produktion und CO2-Verbrauch (also durch Import und Export korrigierte Werte) nach Ländern. 22 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen stammen inzwischen laut CarbonBrief von der Produktion von Waren, die in einem anderen Land verbraucht werden: „In etwa vor 1995 wiesen die meisten Länder nur eine leichte Abweichung zwischen Verbrauchsemissionen und Produktionsemissionen auf. Nach den späten 1990er-Jahren allerdings wurden große Teile der Fertigungsproduktion in Entwicklungsländer ausgelagert – insbesondere nach China.“

Berichtigt man die Werte der Produktion unter Einbeziehung der Handelsbilanzen, also der importierten und exportierten Waren, stellen sich die Reduktionen als weitaus geringer heraus (beziehungsweise zeigen ein noch stärkeres Wachstum, wie in Österreich). Im Falle der Schweiz dreht sich der Trend sogar um, eine Korrektur ergibt eine Steigerung des CO2-Ausstoßes um die Hälfte. Bei genauerer Betrachtung sieht man, dass in den scheinbaren Musterländern seit 1990 beträchtliche Mengen an CO2-Emissionen ins Ausland verlagert wurden. Auch Österreich hat seither vier Millionen Tonnen CO2 ins Ausland „geschummelt“.

CO2-Import-Export

Nicht nur ist damit die Wirksamkeit von CO2-Steuern widerlegt, für die Dänemark, Schweden, Finnland und die Schweiz immer wieder herangezogen werden. Wenn ein Land die Unvereinbarkeit zwischen Wachstum und Klimaschutz demonstriert, dann eben genau China, das unsere Bilanzen im Westen schönt. Die Volksrepublik verzeichnete im Zeitraum von 1990-2016 im Durchschnitt eine jährliche Wachstumsrate von über 10 Prozent der Wirtschaftsleistung und erhöhte den verbrauchsbasierten CO2-Ausstoß um 400 Prozent. Im Vergleich dazu fielen die durchschnittlichen Wachstumsraten in Dänemark, Schweden, Finnland und die Schweiz ziemlich mager aus. Höheres Wachstum bedeutet mehr Emissionen.

China hat praktisch den Großteil der ausgelagerten Emissionen aufgenommen, oder anders ausgedrückt, das Land war ein Netto-Exporteur von Emissions embodied in trade (EET). Das heißt, China hat mehr CO2-intensive Produkte exportiert als importiert. Zwischen 2002 und 2008, nachdem China der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten war, verursachte der Exporsektor die Hälfte der chinesischen Gesamtemissionen (Bevölkerungswachstum und private Haushalte trugen vergleichsweise nur wenig zur Steigerung des CO2-Ausstoßes bei). Diese Waren wurden vor allem in die USA und die Europäische Union (EU) verschifft: Von 1997 bis 2007 stieg der Netto-Import von EETs in den Vereinigten Staaten um 250 Prozent und in der EU um 154 Prozent, während der EET-Netto-Export in China um 117 Prozent anwuchs.

Westen verantwortlich

Deshalb ist es doppelt falsch, mit dem Finger auf China zu zeigen. Nicht nur werden unsere Bilanzen verfälscht, weil sie chinesische Importe nicht berücksichtigen. Es ist auch die Industrie des Westens, die diesen Prozess auf der Suche nach disziplinierten und billigen Arbeitskräften überhaupt erst in Gang gesetzt hat.

Der Konkurrenzkampf, das Profitstreben, die „Akkumulation um der Akkumulation willen“, wie Marx es ausdrückte, zwingt die Konzerne, Teile ihre Produktion dorthin zu verlagern, wo Arbeitskräfte günstig und schlecht gewerkschaftlich organisiert sind. Um allerdings nach China zu gehen, wird eine gewisse Infrastruktur – um die Energie, die Transportwege und mehr zu decken – vorausgesetzt. Wie Andreas Malm in seinem Buch Fossil Capital zeigt, steigen damit auch die globalen Emissionen, denn die Technologien in Ländern wie China sind kohlenstoffintensiver und im Prozess der schnellen Industrialisierung werden die billigsten fossilen Brennstoffe, wie eben Kohle, eingesetzt.

Malm zieht den Schluss: „Die Hauptvermittler hinter den EETs waren nicht die Konsumenten im Westen, sondern die Firmeneigentümer, die ihre Aktivitäten verlagerten. Die Entscheidungen von Vorständen gingen jenen vor den Regalen voraus und prägten sie. Billige und disziplinierte Arbeitskräfte waren natürlich nicht der einzige Anziehungspunkt in China.“

Konzerne angreifen

Europäische Firmen haben in den letzten Jahren stark in China investiert. 2018 schlossen europäische Firmen in China Geschäfte im Wert von 8,6 Milliarden Dollar ab – ein neuer Rekordwert. Die Hälfte davon machte der Erwerb von weiteren 25 Prozent des Autoherstellers Brilliance durch den deutschen Konzern BMW aus, der inzwischen die Mehrheit hält. In den fünf Jahren 2013 bis 2017 betrugen laut OECD die Foreign Direct Investments (FDIs), also die Direkt-Investitionen, alleine aus Schweden und der Schweiz in China über 16 Mrd. Dollar. Deutsche Investitionen in China machten bereits 39 Mrd. Dollar aus, sie überholten beinahe die USA mit 43 Mrd. Dollar.

Auch wenn die geschönten Statistiken durchaus den Zweck haben können, die eigene Klimapolitik besser aussehen zu lassen, als sie in Wahrheit ist: Der Grund dafür sind weniger bewusste Entscheidungen von Staaten oder Unternehmen zur Emissionsbilanzfälschung, sondern die innere Dynamik des Kapitalismus. Die Arbeiter_innen in den Industrieländern müssen es mit den heimischen Konzernen wie OMV, voestalpine und der Autoindustrie aufnehmen, wenn wir die Auslagerung von Emissionen beenden und wirklichen Klimaschutz erkämpfen wollen. Es gibt kein grünes Wachstum und keinen grünen Kapitalismus.