Das NGO-Dilemma: Zwischen notwendiger Hilfe und Erpressung

Nirgends ist das Dilemma, in das sich vor allem karitative Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) begeben, präsenter, als bei den NGOs selbst. Sie verrichten Arbeiten, die von Regierungen erledigt werden sollten. Sie springen überall ein, wo Not entstanden ist, und sind dabei oft genug auf das Wohlwollen der Übeltäter angewiesen.
8. April 2016 |

Was Innenministerin Mikl-Leitner mit den österreichischen Flüchtlingshilfe-Organisationen aufführt, ist geradezu exemplarisch. Die NGOs haben dafür gesorgt, dass die Flüchtlingskrise der Regierung zu keiner Katastrophe ausgeartet ist. Manche sind erst in der Notsituation vor Ort an den Grenzen und in den Bahnhöfen entstanden.

Und sie haben die Innenministerin dadurch brüskiert, dass sie das nicht still und demütig verrichtet haben, sondern gepaart mit Protest gegen die Unfähigkeit und Schlechtigkeit der Bundesregierung. Wenig überraschend zeigt ihnen jetzt die Ministerin, wo die Macht sitzt. Denn Mikl-Leitner hat die Mittel, die meisten von ihnen zu ruinieren.

Finanzieller Druck

NGOs finanzieren sich meist aus einer Mischung aus Spendengeldern und öffentlicher Unterstützung. Manche müssen alle ein bis fünf Jahre Projekte aus dem Ärmel zaubern, diese der EU oder dem Staat schmackhaft machen und nur wenn das gelingt, wird ihre Arbeit weiter finanziert.

NGOs haben neben einer Heerschar an Freiwilligen auch bezahlte Mitarbeiter_innen. Der Druck, diese auch weiterhin beschäftigen zu können, ist enorm. Fallen die Förderungen auch nur einmal aus, dann muss gekündigt werden und Infrastruktur, wie Büros, Fahrzeuge und Hallen, aufgegeben werden. Immer droht die Vernichtung von Existenzen. Es ist einfach bewundernswert, wie die tausenden karitativen NGOs unter diesem Druck ihre Arbeit aufrecht erhalten.

Es ist andererseits eine fragwürdige Angelegenheit, denn die oben beschriebene Situation bedeutet natürlich Erpressbarkeit durch den Staat oder andere Autoritäten, ohne deren Sanktus die Hilfstätigkeit eingestellt werden müsste.

Komplizin der Übeltäter?

Nur: Welche Alternativen gibt es? Der Rückzug des Staates von solchen Verpflichtungen ist Realität. Er wird sie auch nicht wahrnehmen, wenn die Hilfsorganisationen nicht einspringen. Die Erpressbarkeit ist ebenfalls Realität und sie bedeutet, dass NGOs sich ganz oft sehr gemäßigt zeigen müssen. Im schlimmsten Fall machen sich NGOs sogar zu Komplizinnen der Übeltäter.

Berüchtigt ist unter NGOs die Arbeit in Afghanistan. Viele NGOs sind dort im Gefolge der Besatzung tätig geworden, manche haben schon vorher eine unrühmliche Rolle gespielt. Was die Bevölkerung als noch viel schlimmer empfindet, sie sind korrupt. Sie nehmen Schmiergelder und sie unterschlagen Hilfsgelder und manche aus dem Führungspersonal werden dabei stinkreich. Die NGOs brauchen und verlangen den Schutz durch die US-Armee und praktisch alle ihre Mitarbeiter_innen sind ständig in Lebensgefahr.

In Palästina dagegen sind NGO-Mitarbeiter_innen niemals in Gefahr durch die Bevölkerung, weil alle wissen, auf wessen Seite sie stehen. Das ist eine wichtige Frage: Stützt man auf irgend eine Weise den Staat mit seiner Tätigkeit oder kann man karitative Arbeit mit dem unbedingt nötigen Protest gegen das System verbinden, das für die betreffenden Missstände verantwortlich zu machen ist?

Kollektiver Widerstand

Aus unserem revolutionären Blickwinkel ist NGO-Tätigkeit eine verzwickte Angelegenheit. Wir müssen die Hilfsarbeit meist ganz offen bewundern, aber gleichzeitig haben wir immer vor Augen, dass die zugrunde liegenden Übel unangetastet bleiben. Mit einigem Sarkasmus kann man sagen, die NGO-Tätigkeit hilft mitunter unbewusst dabei, die Grausamkeit des Systems zu kaschieren und dämpft so den wichtigen Unmut gegen das System.

In sogenannten Entwicklungsländern herrscht oft unfassbare Ungleichheit zwischen den Reichsten und den Ärmsten. Wünschenswert wäre, dass sich die ärmsten 80 Prozent der Bevölkerung zusammentun um für gerechtere Verteilung zu kämpfen. Aber NGO-Arbeit bietet für wenige der Ärmsten andere Wege an, ein besseres Leben zu führen, als den kollektiven Widerstand – und so spaltet und schwächt sie die Armee der Armen. In Regionen, wo Befreiungskämpfe die Politik geprägt haben, ist das besonders deutlich spürbar, etwa im Gebiet der Zapatistas in Chiapas oder auch in Nicaragua.

Spende bleibt Spende: Regierung musste Flüchtlingshilfekürzung zurücknehmen!

Spende bleibt Spende: Regierung musste Flüchtlingshilfekürzung zurücknehmen!

In der Flüchtlingshilfe stellt sich das Problem so nicht dar, weil Flüchtlinge, die es hierher schaffen, eine wahre Bereicherung darstellen und wirklich fortschrittlich gegen Nationalismus und Borniertheit wirken. Vor dem Dilemma der Erpressbarkeit mit all seinen Folgen stehen diese NGOs trotzdem. Die Konsequenz muss sein, dass wir uns mit ihnen solidarisieren und die Regierung aufs Schärfste bekämpfen.

Autor Manfred Ecker war selbst jahrelang in NGOs tätig.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.