David gegen Goliath in Ostjerusalem – Warum wir den palästinensischen Widerstand unterstützen
Der unmittelbare Auslöser der Proteste und der brutalen israelischen Reaktion ist die drohende gewaltsame Enteignung und Zerstörung von arabischen Häusern im Viertel Sheikh Sharrah in Ostjerusalem. In diesem kleinen Viertel haben sich Opfer der Vertreibungen von 1948 aus anderen Regionen Palästinas niedergelassen. Mindestens 13 Familien haben 2020 den Befehl erhalten ihre Häuser zu evakuieren. Insgesamt 58 Menschen, darunter 17 Kinder, sollen gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben werden. Die Grundstücke wurden aber den palästinensischen Flüchtlingen in einem Umsiedlungs-Abkommen zwischen Jordanien und der UNO zugesprochen. Israel, das Ostjerusalem 1967 besetzt hat, erkennt das Programm nicht an, und ignoriert auch die Verpflichtungen, die es vom Völkerrecht gegenüber der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, auferlegt bekommen hat. Darunter ist die Verpflichtung sich möglichst schnell wieder aus der Besatzungszone zu entfernen. Die Grundstücke werden üblicherweise radikalischen israelischen Siedlern zugesprochen.
Was waren die Auslöser
Seit Monaten schon hat sich eine breite Solidaritätsbewegung mit den betroffenen Familien formiert. Ganz Palästina hat seinen Blick nach Sheikh Sharrah gerichtet. Deshalb haben israelische Gerichte auch die letzte Entscheidung über die Vertreibung vertagt. Und gegen diese Proteste ist das israelische Militär während des Fastenmonats Ramadan mit zunehmender Härte vorgegangen. Vor allem um die wichtige muslimische Pilgerstätte, die Al-Aqsa-Moschee, kam es zu unfassbaren Szenen. Danach ist die Sache explodiert. Wir erleben soeben eine Eskalation der Spannungen, die auch noch das Ausmaß der großen Aufstandsbewegungen genannt Intifada, in den Jahren 1987 – 1991 und 2000 – 2005 erreichen könnten. In den vergangenen Tagen wurden 28 Menschen in Gaza durch israelische Luftangriffe getötet, darunter 10 Kinder, und 4 Israelis durch Raketen, die aus dem Gazastreifen abgefeuert wurden.
Warum die Provokationen?
Israel hat unter US-Präsident Trump riesige Fortschritte auf diplomatischer Ebene gemacht und sein Bündnis mit wichtigen arabischen Staaten wie Ägypten festigen können. Es hat eine Allianz gegen die Türkei geschmiedet, das nach israelischer Sicht ein gefährlicherer Konkurrent als der Iran im Kampf um die dominante Rolle in der Region geworden ist. Der Konflikt um die die riesigen Erdgasfelder im Mittelmeer sind ein Schauplatz dieses Kriegs zwischen den kleineren imperialistischen Mächten nach dem Desaster, das dem Abzug der US-Truppen gefolgt ist.
Ein anderer Schauplatz ist die gezielte Diskreditierung von Kritikern Israels als Antisemiten. Der ehemalige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn ist einer solchen Hexenjagd zum Opfer gefallen. Aber diese Erfolge wurden in jüngster Zeit gedämpft, just durch Kritik von Menschenrechtsorganisationen in Israel selbst. Die respektable NGO Human Rights Watch wirft dem Staat Apartheidpolitik vor: Die israelischen Behörden bevorteilen methodisch jüdische Israelis und diskriminieren die Palästinenser mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch aus dem UNO-Menschenrechtskommissariat kommt ganz ähnliche Kritik, und so scheinen die bisherigen Fortschritte bei der Legitimierung des Unrechtsregimes wieder gefährdet.
Wurzeln der Apartheid
Die Gründung des Staats Israels hat eine lange und komplizierte Geschichte. Um 1900 kam es in ganz Europa, und vor allem in Russland zu grausamen antisemitischen Exzessen. In Russland organisierte die Geheimpolizei Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung der tausende zum Opfer fielen. Sozialisten und der jüdische Bund organisierten Widerstand und Solidaritätskampagnen dagegen. Eine damals noch sehr unbedeutende Strömung, die Zionisten hielten das für fehlgeleitete Politik, sie propagierten die Auswanderung der jüdischen Bevölkerung und die Errichtung eines jüdischen Siedlerstaats. Ihr wichtigster Anführer, der konservative Wiener Journalist Theodor Herzl ging davon aus, dass Antisemitismus unüberwindbar und Solidarität mit Nicht-Juden unerreichbar war. Palästina wurde bald zum Ziel ihrer Träume. Aber das Land war dicht besiedelt. „Die Braut ist wunderschön, aber sie hat schon einen Mann“, wie zwei Wiener Rabbis dem zionistischen Kongress berichteten. Also war klar, dass die ansässige Bevölkerung verdrängt werden müsste.
Im englischen Politiker Lord Balfour fanden die Zionisten einen mächtigen Fürsprecher. Balfour war zwar ein übler Antisemit und prominenter Unterstützer des „1905 Aliens Act“, einem Gesetz, das dazu geschaffen wurde, die Einreise von Jüdinnen und Juden, die vor den Pogromen in Russland flohen, zu verhindern. Dennoch, oder sogar deswegen, unterstützte er die Errichtung „einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“, wie er erklärte. Das Ziel Balfours bzw. des britischen Imperialismus war es, eine dem britischen Königreich loyale und abhängige Kolonie zu etablieren, die dabei helfen würde, das Gebiet zu kontrollieren. Obwohl es zwischen den Zionisten und der britischen Kolonialverwaltung Spannungen gab, waren sie sich im Rassismus gegen die Araber einig.
Gewalt war immer legitim
1948 stimmten die Vereinten Nationen der Teilung Palästinas zu. Israel erhielt 56 Prozent des Territoriums. Die Palästinenser, die immerhin noch zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten, wurden ganz einfach ignoriert. Den Zionisten war das immer noch zu wenig. David Ben Gurion, der erste Premierminister erklärte: „die Grenzen werden durch Gewalt festgelegt und nicht durch einen Teilungsplan … es gibt keine territorialen Grenzen für den zukünftigen jüdischen Staat.“ Und es ist diese Gewalt am Werk, die wir seither und besonders heute wieder beobachten müssen. Bis 1949 hatte Israel schon 80 Prozent Palästinas besetzt und seither weitet es sein Gebiet mehr und mehr aus und vertreibt immer mehr Menschen aus den besetzten Gebieten. Die zahlreichen Verurteilungen durch die UNO waren Israels Regierungen genauso egal, wie sie damals Ben Gurion kalt ließen.
Unerwarteter Widerstand
Aber einen Schlüssel für den Erfolg der Apartheidpolitik hat Israel bis heute nicht bekommen – der palästinensische Widerstand ist niemals in sich zusammengebrochen. In allen ehemaligen Kolonien des Westens, und ganz besonders in der arabischen Welt sind die Palästinenser_innen eine Quelle der Inspiration. Solidarität mit Palästina ist das definierende politische Thema, an dem sich jederzeit Aufstände gegen die autoritären Regime entzünden können. Auch in den arabischen Revolutionen war die halb-offene Kollaboration des ägyptischen und tunesischen Regimes mit Tel Aviv mit ein Grund für die Aufstände. Israel kann aber als Vorhut des westlichen Imperialismus im Herzen der arabischen Welt nur überleben, wenn sich die Araber nicht gegen Israel vereinen. Anders gesagt: wenn Israels Apartheidpolitik einen Aufstand gegen die korrupten arabischen Regierungen provoziert, hat es den Bogen überspannt. Ben Gurions Weg ist ein Drahtseilakt, der darauf fußt, dass die westlich dominierte Weltordnung auf ewig stabil bleibt.
Wenn Israels Apartheidpolitik einen Aufstand gegen die korrupten arabischen Regierungen provoziert, hat es den Bogen überspannt.
Deshalb war die diplomatische Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und de facto auch durch Ägypten für Netanjahu ein riesiger Fortschritt während der Trump-Ära. Dass damit die Gefahr eines arabischen Aufstands gebannt gewesen sei, ist aber eher Wunschdenken. Solange die Palästinenser_innen den Lebensgeist des Widerstands am Leben erhalten, solange bleiben sie die wichtigste Inspiration für die unterdrückten Massen im arabischen Raum und darüber hinaus.
Melde dich an zur Online-Konferenz: David gegen Goliath in Ostjerusalem: Warum wir den Widerstand der Palästinenser unterstützen. Donnerstag 13. Mai ab 19:00 Uhr.