Die Linke bei der Europawahl: Gespalten halten wir die Faschisten nicht auf

Seit den Wahlen kann ich nicht mehr klar denken. Ich bin wütend und besorgt. Auch wenn der Sieg der Nazis und der Konservativen vorhersehbar war, konnte ich nicht ahnen, wie schlecht ich mich fühlen würde. Wir alle wussten, dass die Rechten gewinnen würden, aber ich glaube nicht, dass wir uns vorgestellt haben, wie groß der Verlust der Linken sein würde.
14. September 2024 |

Als wir vor mehr als einem Jahr den Aufstieg der Rechten bemerkt haben, hätten wir, alle Linken und so genannten Linken, unsere Kräfte bündeln müssen, um diesen Prozess zu stoppen und umzukehren. Aber nein! Jede linke Gruppe ist so verbissen, so verliebt in ihre eigene Agenda, dass sie sich niemals mit denen zusammentun würde, die nur ein bisschen anders denken. Und wenn es eine kleine Chance gegeben hätte, diese bitteren Ergebnisse abzumildern, so hat der Krieg gegen Gaza jede Möglichkeit dazu blockiert.

Während sich viele Gruppen und Einzelpersonen auf das wichtige Anliegen der Beendigung des Krieges gegen den Gazastreifen und das der Befreiung Palästinas konzentrierten und dafür demonstrierten, wurden andere, äußerst wichtige Themen aufgegeben. Und selbst dieser Kampf wurde auf eine erschöpfende, argumentative und spaltende Weise geführt.

Der Kampf für Palästina spiegelt unserer anderen Kämpfe auf groteske Weise wider: Eine Gruppe will LGBTQ+-Personen nicht, weil…. Also bilden LGBTQ+-Personen eine andere Gruppe und agieren separat. Die wenigen Wiener Juden, die diesen Kampf konsequent unterstützen, sind ebenfalls gespalten. Personen, die sich beteiligen, werden wie durch ein kleines Spähloch betrachtet, und entweder als Antisemit oder als islamophob wahrgenommen. Jeder wird negativ etikettiert. Wir Juden haben einen Witz: Zwei Juden, die, die auf einer einsamen Insel landeten. Sie bauten drei Synagogen. Als sie gerettet und gefragt wurden, warum drei, antworteten sie: Das ist meine, das ist seine, und das ist die Synagoge, die ich nie in meinem Leben betreten werde!

Während die Linke zu sehr damit beschäftigt war, sich selbst zu spalten, verließ die Rechte leider die Straßen, die Kampfarenen für die Spalter, und zog in aller Bequemlichkeit ins Parlament ein. Jetzt können wir also fröhlich weiter protestieren, jede Gruppe mit ihren Eigenheiten, denn um die Wahlen brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern. Oder?

Das Widerlichste ist die brillante Idee – und das ist nicht sarkastisch gemeint -, ein neues Schulfach einzuführen: Demokratie. Ekelhaft, weil dies die Antwort der Liberalen auf die Wahlen ist. Sie wissen natürlich, wen sie dafür verantwortlich machen und ins Visier nehmen müssen: die muslimischen Kinder. Ekelhaft, weil der Vorwand für diesen Vorschlag der scheinbar so hohe Anteil muslimischer Kinder in Grundschulen ist. Angeblich gäbe es “unter Muslimen einen erhöhten Anteil an Menschen, die andere Gruppen abwerten – wie Juden, LGBTQ-Menschen und Frauen.” Jetzt klärt mich bitte auf: Haben wir jemals gegen Muslime vor der Türkis Rosa Lila Villa protestieren müssen? Wurde Rabbi Schlomo Hachmeister von muslimischen Fußballfans verbal angegriffen und beschimpft? Verkommene, patriarchale, rassistische, frauenfeindliche Menschen gibt es in jeder Gesellschaft. Deshalb ist es eine wunderbare Idee, Demokratie und am besten auch Menschenrechte zu lehren. Aber für alle: kleine weiße Christen, blonde und dunkelhaarige Österreicher, Juden jeglicher Couleur und Art – auch wenn der Staat ihres eigenen Volkes die einzige Demokratie im Nahen Osten ist, die kleinen Kinder rechter Wähler, und auch muslimischen Kindern . Lassen Sie mich die Liberalen daran erinnern: In diesem Augenblick wird ein Volk, das mehrheitlich aus Muslimen besteht, von der angeblich moralischsten Armee des einzigen demokratischen Staates im Nahen Osten brutal niedergemetzelt.

Kurz vor den Wahlen war ich auf einer Konferenz in Graz. Eines wurde dort sehr deutlich gemacht, und alle Teilnehmer waren sich einig: Wir können es uns nicht leisten, uns und den Kampf zu spalten. Wir sollten alle unsere Kräfte bündeln und gemeinsam kämpfen. Später, wenn wir auf dem Vormarsch sind, können wir die Feinabstimmung machen. Wenn wir wir uns jetzt nicht am Riemen reißen,, wird es kein “später” geben.

von Ruti Katz