Die Polizei ist der natürliche Feind der Linken

„Wenn ich aber einen lebendigen Arbeiter aus Fleisch und Blut im Kampf mit seinem natürlichen Feind, dem Polizisten sehe, brauche ich mich nicht zu fragen, auf wessen Seite ich stehe“, schrieb George Orwell 1938. In friedlichen Zeiten ist das Bild als „Freund und Helfer“ leichter aufrecht zu erhalten als in Zeiten von Krise, wenn politische Konflikte ausbrechen. Dann positioniert sich die Polizei auf einer Seite: auf der rechten.
5. August 2016 |

Es gibt viele Gründe für Linke, die Polizei abzulehnen: Rassistische Morde wie beispielsweise an Marcus Omofuma oder Michael Brown, das Niederprügeln von Arbeiter_innen-Protesten von Mexiko bis Paris oder wie zuletzt in Wien die gewaltsame Durchsetzung eines Neonazi-Aufmarsches. Trotzdem hält sich beharrlich der Gedanke, dass solche Verfehlungen die Ausnahme sind und nichts mit der eigentlichen Polizeiarbeit zu tun haben. Dieser Standpunkt ist falsch; die Polizei wurde gegründet, um die herrschenden Verhältnisse zu beschützen und Widerstand mit allen Mitteln zu brechen.

Kapitalismus und Polizei

Der marxistische Theoretiker Friedrich Engels argumentiert in seiner Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, dass die Menschheit den größten Teil ihrer Geschichte ohne Staat gelebt hat. Menschen waren mehr oder weniger gleich und konnten gemeinsam kooperativ leben. Die Menschen konnten ihre Probleme ohne einer ihnen übergeordneten Institution lösen. Ein Staat wurde erst dann notwendig, als Menschen sesshaft wurden und mehr erwirtschafteten als sie zum Leben brauchten. Dadurch entstand eine herrschende Klasse, die mehr besaß als der Rest der Gesellschaft. Diese Klasse musste ihr Eigentum beschützen. Diese Aufgabe zum „Schutz des Lebens und des Eigentums“ übernahmen bewaffnete Organe – der Staat.

Mit der Entstehung des Staates ist aber nicht direkt die Entstehung der Polizei einhergegangen. Im antiken Griechenland oder Rom gab es keine Polizei im heutigen Sinne. Sicherheitsaufgaben wurden im antiken Rom entweder von der Leibgarde des Herrschers (Liktoren) oder einer Art Feuerwehr, den „Vigiles“ übernommen; diese hatten neben der Brandbekämpfung auch die Aufgabe, Brandstifter zu fassen und zu verurteilen. Während des Mittelalters gab es zwar Menschengruppen, die für die Sicherheit verantwortlich waren: Stadtwachen, Nachtwachen usw., doch diese waren ganz anderes organisiert als die heutige Polizei. Einerseits waren sie keine einheitlichen Organisationen, die ein ganzes Staatsgebiet umfassten, und andererseits wurden sie im Gegensatz zur heutigen Polizei direkt von der Stadtbevölkerung gewählt.

Entstehung der modernen Polizei

In der Französischen Revolution von 1789 wurde der damalige Sicherheitsapparat („Marechaussée“) aufgelöst und am 16. Februar 1791 durch die „Gendarmerie National“ ersetzt. Die Gendarmerie National war der erste Versuch, eine Gewaltenteilung zwischen Polizei und Justiz zu etablieren. Die Gendarmerie National übernahm sowohl politische Aufgaben: Ausforschung und Verhaftung von Feinden der Revolution als auch strafrechtliche Aufgaben: Verfolgung und Verhinderung von Verbrechen. Doch im Gegensatz zur heutigen Polizei war die Gendarmerie National noch eine Untersektion des Heeres.

Die Polizei als selbständige, vom Militär getrennte Organisation entstand Anfang des 19. Jahrhunderts ausgehend von den USA und England. Die Hauptaufgabe der Polizei war nicht, wie heute oft behauptet, die Verhinderung und Aufklärung von Verbrechen, sondern die Niederschlagung von Massenaufständen. Die Polizei war die Reaktion auf eine immer größere und besser organisierte Arbeiter_innenbewegung.

Aufstände zerschlagen

Es ist kein Zufall, dass die Polizei mit der Geburt des Kapitalismus entstanden ist. Der Kapitalismus schuf eine Arbeiter_innenklasse, die im Gegensatz zum Bauerntum nicht in kleinen Dörfern lebte, sondern dicht gedrängt in eigenen Vierteln der Städte. Dadurch war es für die Arbeiter_innenklasse deutlich leichter sich zu organisieren. Es gab immer mehr Streiks und Demonstrationen. Die herrschende Klasse hatte nur eine Möglichkeit damit umzugehen, die aber zwangsläufig zu schlechten Ergebnissen führte: Sie konnte die Armee schicken und ihr befehlen, auf die Demonstrierenden zu schießen.

Wenn diese dem Befehl Folge leisteten wie etwa 1819 beim Peterloo-Massaker – über 100.000 Arbeiter_innen demonstrierten, die Armee schoss in die Menge und hunderte Arbeiter_innen wurden verletzt – stieg der Hass auf die herrschende Klasse weiter. Die andere Möglichkeit war, dass die Soldaten den Schießbefehl verweigerten, wie bei der Entstehung der Pariser Kommune 1871. Ein weiteres Problem war die Zunahme von Streiks, wie dem ersten Generalstreik der Geschichte 1842 in England. Man kann hunderttausende Arbeiter_innen nicht einfach von der Armee niederschießen lassen.

Ursprünge

Um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien, wurde die Polizei geschaffen. In England geschah das 1829, nur zehn Jahre nach dem Peterloo-Massaker. Zuvor gab es als Sicherheitsorgane die sogenannten Parish Constables, diese arbeiteten unbezahlt und in Teilzeit und waren nur für die direkte Verbrechensbekämpfung zuständig – nicht für Protestbekämpfung. Die Polizei hatte die Aufgabe, Proteste mit nicht tödlicher Gewalt niederzuschlagen. Um den Unterschied zwischen Polizei und Militär zu demonstrieren, bekamen die Polizisten anfangs nur einen Schlagstock und eine Pfeife und noch keine Schusswaffen. Es dauerte einige Zeit bis Polizisten Schusswaffen trugen.

To serve and protect the ruling classNatürlich kam und kommt es bis heute regelmäßig zu tödlicher Polizeigewalt, aber das ist (in der westlichen Welt) eher die Ausnahme als die Regel. Die Polizei hat die Aufgabe, Proteste so gewalttätig wie nötig niederzuschlagen, aber gleichzeitig darauf zu achten, dass ihr Handeln die Wut der Massen nicht noch weiter steigert. Der deutsche Vordenker der Polizei Günther Heinrich Berg drückte das in seinem „Handbuch des deutschen Polizeirechts“ (1802-1809) so aus: „Die Polizeigewalt darf nie weiter gehen, als ihr eigentümlicher Zweck dies erfordert … Die Polizeigewalt darf die natürlichen Freiheiten der Untertanen einschränken, aber nur insofern, als ihr rechtmäßiger Zweck es erfordert.“ Gramsci würde das als Herrschaft durch Zwang und Konsens beschreiben.

In Österreich wurde die Polizei, damals Gendarmerie, am 8. Juni 1849, knapp nach der gescheiterten Revolution von 1848, gegründet. Besonders ehemalige Soldaten wurden in ihre Reihen aufgenommen, als die zentralen Aufgaben der Polizei wurde die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit festgelegt. Die Polizei hat jedoch nicht nur die Aufgabe Proteste niederzuschlagen, sondern auch das alltägliche Leben der Menschen zu überwachen.

Ordnungsmacht des Kapitalismus

Der britische Historiker und Marxist Edward P. Thompson stellte fest, dass die britische Polizei Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts damit beschäftigt war, die Straßen von Bettlern, Vagabunden, Straßenkünstlern, herumlungernden Arbeitern, Fußball spielenden Kindern usw. zu säubern. Oft lief das so ab, dass sich ein Geschäftsinhaber beschwerte, die Leute würden seine Geschäfte stören und deshalb mussten sie von der Polizei vertrieben werden. Dieser Vertreibung der Unterschicht und der Arbeiter_innenklasse aus dem öffentlichen Raum hatte ein ökonomisches und ein ideologisches Ziel.

Die Entstehung der großen und luxuriösen Einkaufsstraßen wurde erst durch die Vertreibung der einfachen Leute ermöglicht. Wer kauft schon gerne neben Bettlern ein? Dieses Szenario lässt sich auch heute noch im kleineren Maßstab mit Bettel-, Alkohol- und sonstigen Verboten beobachten. Wenn Gegenden wirtschaftlich aufgewertet werden sollen, schickt die herrschende Klasse zuerst die Polizei, um die lokale Community zu zerschlagen (momentan beispielsweise im New Yorker Stadtteil Bronx oder entlang der Bahnsteige am Westbahnhof, dort versucht die ÖBB in Kooperation mit der Polizei den Bahnsteig von den gemütlich herumlungernden Menschen zu säubern, indem penibel darauf geachtete wird, das niemand auf den Bahnsteigen raucht oder gar Alkohol trinkt).

Der marxistische Historiker Sidney Harring stellte fest: „Die juristische Definition von ‚Störung der öffentlichen Ordnung‘ kommt der historischen Beschreibung der Freizeitbeschäftigungen von Werktätigen gefährlich nahe“. Die Herrschaft der Polizei über die Straße hat also auch die Aufgabe die Arbeiter_innenklasse einzuschüchtern. Die Politik der Klasse fand und findet neben dem Betrieb, vor allem auf der Straße statt, Demonstrationen, Diskussionen, Zeitungsverkauf, Agitation, Sammeln von Streikgeldern usw. Durch die Anwesenheit und die Kontrollen der Polizei wurde den Lohnabhängigen tagtäglich die Macht des Staates vorgeführt. Sie wollte zeigen: Widerstand ist zwecklos. Während des britischen Bergarbeiterstreiks 1984/85 mobilisierte die Premierministerin Thatcher tausende Polizisten in die Arbeiterviertel, um einen Zustand des Terrors zu verbreiten und Solidarisierungen mit den Streikenden zu erschweren.

Solidarität als Verbrechen

Diese beiden Aufgaben der Polizei – Unterdrückung der Massen und tägliche Patrouillen – hängen sehr eng zusammen. Die Polizei übt bei den Patrouillen das Einsetzen oder Androhen von Gewalt und die Menschen lernen sich ihren Befehlen zu beugen, unabhängig davon, ob sie dem Inhalt des Befehls zustimmen oder nicht. Sprich, die Polizeiarbeit zielt darauf ab Solidarität zwischen Menschen zu zerschlagen.

Beinahe jeder kennt das Gefühl: man steht in einer U-Bahn-Station und sechs oder sieben Polizisten umringen einen Obdachlosen, Flüchtling oder Schwarzen. Man hat das Bedürfnis dem Drangsalierten zu Hilfe zu eilen. Doch jeder weiß, wenn er das tut, bekommt er selbst ein Problem mit der Polizei, das von einer Verwaltungsstrafe bis zu gebrochenen Knochen reichen kann. Mit Marx könnt man sagen, die Polizei fördert und vertieft die Entfremdung des Menschen, soziales Verhalten wird nicht belohnt sondern bestraft.

Schutzherrin des Kapitalismus

Kapitalismus könnte ohne einer Macht, die den „Schutz des Eigentums und des Lebens“ organisiert, nicht funktionieren. Besonders der Schutz des Eigentums von Produktionsmitteln steht im Zentrum der Polizeiarbeit. Der Profit der Kapitalisten entsteht im Gegensatz zur feudalen Produktionsweise nicht durch die direkte Aneignung des Arbeitsproduktes der Ausgebeuteten, sondern dadurch, dass Kapitalisten Produktionsmittel besitzen und dementsprechend Arbeiter_innen für sie arbeiten müssen und der Kapitalist das Mehrprodukt der Werktätigen einstreicht.

Die Polizei war sich der Aufgabe des Schutzes des Privateigentums auch sehr bewusst, während des 19. Jahrhunderts stand auf die Beschädigung von Maschinen in weiten Teilen Europas die Todesstrafe. Die Polizei ging gegen die „Maschinenstürmer“ vor (während der beginnenden kapitalistischen Entwicklung kam es vor, dass Arbeiter_innen Fabriken stürmten und dort die Maschinen zerstörten).

Politische Unparteilichkeit?

Die Polizei wird als politisch unparteiische Organisation präsentiert, die weder auf der rechten noch auf der linken Seite zu verorten ist. Die Realität zeigt aber ein anderes Bild. Neonazis und die Polizei haben die gleichen Feindbilder: die organisierte Arbeiter_innenklasse, Linke, Muslime usw. Man muss nur kurz in die USA schauen und man sieht, dass die Polizei die Arbeit der Rechtsextremen erledigt, wenn sie tagtäglich unbewaffnete schwarze Jugendliche hinrichtet.

Bei jeder linken Demonstration kam man beobachten, wie die FPÖ-Gewerkschaft der Polizei Verpflegung bringt. Bei der Räumung der Pizzeria Anarchia fiel ein Polizist auf, der außer Dienst mit Waffen und Neonazi-Tattoos herumlief und sich mit den Polizisten unterhielt. Im Jahr 2015 gab es über 1.156 Straftaten von Rechtsextremen und gerade einmal 186 von Linken. Es gab keine einzige Straftat aus dem „islamistischen“ Milieu, trotzdem wird eben dieses als größte Bedrohung eingestuft. Daraus folgt für die Polizei eine verstärkte Überwachung von Moscheen und Kindergärten. Legitimiert wird dieses rassistische Vorgehen einerseits vom Staat mit seinen „Islamgesetzen“ und andererseits von den medial zelebrierten Schauermärchen über „Terror-Kindergärten“.

Aufmarsch von Neonazis konfrontiert und aufgehalten

Aufmarsch von Neonazis konfrontiert und aufgehalten

Zusammengefasst: Die Polizei ist keine neutrale Organisation. Sie kann nicht reformiert werden, denn sie hat seit ihrer Entstehung bis heute die Aufgabe die Arbeiter_innenklasse zu schikanieren, anzugreifen und von der Macht fernzuhalten. Lenin stellt in seiner Schrift Staat und Revolution fest, dass die Arbeiter_innenklasse den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen muss, wenn sie jemals die Macht haben will. Dieser Standpunkt ist nach wie vor richtig.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.