Schlacht von Lewisham: Wie die britischen Nazis geschlagen wurden

Anfang der 1970er-Jahre befand sich der britische Faschismus im Aufschwung. Es gelang der Neonazi-Partei British National Front (NF) Wahlerfolge einzufahren und offenen Straßenterror zu verbreiten. Doch am 13. August 1977 wurden sie von tausenden Antifaschist_innen auf den Straßen Lewishams, London erfolgreich konfrontiert.
4. September 2017 |

Am 20. April 1968 hielt der englische Konservative Enoch Powell im Unterhaus seine berühmte und von vielen bejubelte „Rivers of Blood“-Rede (Ströme von Blut). Er hetzte, ganz im Stile eines Sebastian Kurz, gegen eine angebliche Masseneinwanderung. Er „warnte“ vor Strömen von Blut, die fließen werden, falls die Masseneinwanderung ungebremst weitergehe.

Diese Rede eröffnete den britischen Faschisten ein neues Themenfeld. In den folgenden Jahren wiederholten englische Neonazis die Warnung vor Masseneinwanderung und daraus resultierender Arbeitslosigkeit tausendfach. Die rassistische Haltung der Konservativen ermöglichte erst den Aufschwung der britischen Faschisten.

Offener Straßenterror

Nachdem 1977 ein Asiate von einem Weißen ermordet worden war, frohlockten die Faschisten mit dem Slogan „One down – a million more to go“ (Einer tot – fehlt noch eine Million). Der Slogan wurde zum Schlachtruf ihrer gewalttätigen Straßendemonstrationen. Im selben Jahr kam es zu Brandbombenanschlägen auf ein Büro der trotzkistischen Gruppe Militant Tendency und mehreren Sikh-Tempeln.

Nach Stunden der Straßenschlacht flohen NF und Polizei Hals über Kopf aus dem Viertel.

Der Staatsapparat ging nicht – wie viele Liberale zu dieser Zeit hofften – gegen die Nazis vor, sondern rückte massiv nach rechts. Zwischen April und Juli 1977 kam es zu einer riesigen Verhaftungswelle von jungen Schwarzen, angeblich um gegen den Drogenhandel vorzugehen. Hunderte Wohnungen wurden von bewaffneten Spezialeinheiten gestürmt. Innerhalb der National Front muss dieser Staatsrassismus eine riesige Genugtuung ausgelöst haben; sie hatten das rassistische Lügenmärchen, Schwarzer = Drogendealer = Vergewaltiger populär gemacht, und jetzt übernahm es der gesamte Staatsapparat. Eine Entwicklung, die wir aus der jüngsten Vergangenheit nur zu gut kennen.

Gegenmacht aufbauen

Auf diese bedrohliche Situation antworteten Migrant_innen mit der Gründung von antirassistischen Gruppen, dadurch wurden die Anrainer besser vernetzt. In Lewisham entstand die ALCARAF (Lewisham-Kampagne gegen Rassismus und Faschismus). Als die National Front bekanntgab, dass sie am 13. August durch Lewisham marschieren wollte, wurden sogleich Treffen aller Bewohner_innen des Viertels organisiert und eine Protestkundgebung für den Morgen vor dem Marsch angesetzt. Doch die Stimmung im Stadtviertel war explosiv, man wollte nicht einfach nur eine Protestdemonstration weit entfernt von den Faschisten abhalten, man wollte sie aus dem Viertel verjagen, koste es was es wolle.

(c)Peter Marlow

Die Socialist Workers Party (SWP) erkannte diese radikale Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Gemeinsam mit lokalen Aktivist_innen mobilisierten sie zum Versammlungsort der Faschisten, Clifton Rise, um sie direkt physisch zu konfrontieren. Der Aufruf der SWP sorgte für viel Diskussion innerhalb der antifaschistischen Bewegung. Die Kommunistische Partei Englands (C.P.G.B.) sprach sich gegen die direkte Konfrontation aus und verbot ihren Mitgliedern, nach Clifton Rise zu gehen. Die ALCARAF hingegen erlaubte der SWP auf ihrer Kundgebung zu mobilisieren.

Antifa in Offensive

Zwischen 4.000 und 5.000 Antifaschist_innen erschienen am  CliftonRise, im Zuge der Konfrontationen stieg die Zahl weiter an. Die überwiegende Mehrheit von ihnen waren keine organisierten Linksradikalen, sondern lokale migrantische und englische Arbeiter_innen und Jugendliche. Die National Front mobilisierte um die 500 Faschisten; als sie sich zum Abmarsch bereitmachten, wurden sie mit einem Hagel aus Steinen, Flaschen, Fahnenstangen, Billardkugeln und ähnliches empfangen.

Obwohl der Staat mehr als 6.000 Polizisten mobilisierte und diese zum ersten Mal in der englischen Geschichte mit Riot-Schildern ausrüstete, gelang es der Polizei nicht, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Mehrmals konnten Antifaschist_innen die Polizeiketten durchbrechen, eine Gruppe linker Fußball Hooligans entwendete das Frontbanner der NF und einige Union Jacks (England-Fahnen).

Auch 6000 mit Riot Schildern ausgerüstete Polizisten konnten die Nazis nicht schützen

Zum Jubel der Umstehenden wurden sie angezündet. Nach Stunden der Straßenschlacht, mindestens 15 Nazis mussten schon ins Krankenhaus gebracht werden, flohen NF und Polizei Hals über Kopf aus dem Viertel.Die NF war nach Lewisham gekommen, um ihre Macht zu demonstrieren und sich als „Herrenmenschen“ zu inszenieren, welche den „Untermenschen“ mal zeigt, wo es lang geht. Eben von jenen, die sie so verachteten, wurden sie vernichtend geschlagen. Davon haben sie sich nicht wieder erholt.

Nazi-Bewegung demoralisiert

Noch wichtiger war der Sieg aber für die antifaschistische Bewegung. Die Schlacht von Lewisham wurde für hunderte jugendliche Aktivist_innen zur neuen Schlacht von Cable Street (1936 wurden 3000 Faschisten geschlagen). Von nun an wurde jeder Infostand der NF, ganz egal wo er stattfand und wie viele Faschisten ihn beschützen sollten, von Antifaschist_innen verspottet und attackiert. Binnen weniger Monate konnte sich die NF nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Von ihren 14.000 Mitgliedern vor Lewisham waren 1978 noch schätzungsweise 4.000 übrig.

London 1936: Die Schlacht in der Cable Street

London 1936: Die Schlacht in der Cable Street

Inspiriert von diesem Sieg entstand die Anti Nazi League (ANL). Die ANL organisierte 1978, ein Jahr nach Lewisham, das Konzert „Carnival against the Nazis“. Weit über 100.000 Menschen marschierten in einer Demonstration vom Trafalgar Square durch das East End – einem Kerngebiet der NF – zum Victoria Park. Die Mischung aus permanenter Konfrontation, wütenden antifaschistischen Demonstrationen und Rockkonzerten mit tausenden Zuhören erledigten die National Front endgültig.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.