„Diese Regierung wird keine fünf Jahre überstehen“

Jörg Vogeltanz ist freischaffender Künstler in Graz und erläutert in einem Facebook-Kommentar, warum er die Beteiligung der Grünen an der neuen Kurz-Regierung als Niederlage betrachtet. Aus redaktionellen Gründen wurde der Text gekürzt.
7. Januar 2020 |

Ich habe in den letzten Wochen, vor allem aber Tagen einiges zur nun feststehenden Regierungsbeteiligung der Grünen von mir gegeben; vieles war zumindest versuchsweise sachlich, was mir angesichts der meiner Ansicht nach nun drohenden innenpolitischen Katastrophe nicht immer leicht gefallen ist, vieles war satirisch gemeint und formuliert, einiges war polemisch und von Emotion getragen. Ich bin kein Politiker und kein Journalist. Schon gar nicht habe ich die Expertise eines Filzmayer. Ich bin auch kein Mensch, der die Weisheit mit dem Suppenlöffel gefressen hat, auch wenn manche hier eventuell aufgrund meiner regen Kommentartätigkeit wahrnehmen könnten, dass ich es glaube. Aber ich lebe nun schon etwas über 51 Jahre in diesem Land und darf durchaus behaupten, mit vielen Prognosen und Diagnosen der herrschenden politischen Zustände ab und zu ins Schwarze getroffen zu haben, oft aber zumindest recht nah dran gewesen zu sein. Der nachstehende Text wird mein letzter grundlegender Kommentar zu der Türkisgrünkoalition sein, ich gelobe es feierlich. Dafür wird es jetzt ein wenig länger…

Die Grünen haben heute, am 4. Jänner 2020, das Datum wird man sich merken müssen, mit großer Mehrheit einem Regierungsprogramm zugestimmt, das in weiten Teilen auch ein blaues sein könnte, mehrheitlich stramm rechtspopulistisch und identitär ist und nicht zu 37,5%, sondern mindestens zu 80% eine türkise Färbung aufweist. Mir ist völlig bewusst, dass die Grünen das nicht aus Böswilligkeit oder kompletter geistiger Umnachtung so beschlossen haben, der Gedanke, etwas Schlimmeres verhindern zu wollen, stand, das spreche ich gar nicht in Abrede, sicher ganz oben, was die Motivlage betrifft.

Ich frage mich allerdings aus rein logischen Überlegungen heraus schon eines: Wenn ich eine rechtspopulistische Koalition und deren Inhalte (denn primär geht es um diese, das Personelle ist in einer Demokratie auswechselbar… oder sollte es sein!) unbedingt verhindern möchte, warum unterschreibe ich einen Pakt, der mir die aktive Teilnahme an einer beinahe genauso rechtspopulistischen Regierung vorschreibt? Das ist ja so, als wollte ich mir selbst ins Knie schießen, damit es kein anderer mehr tun muss.

Ich weiß schon: Das Klimapaket. Die Transparenz. Ja, natürlich: Das sind vermeintliche Verhandlungserfolge, tatsächliche, wenn man die ÖVP kennt, aber wie sieht es denn mit der Umsetzung aus? Alle wesentlichen Punkte wurden mit „Unter Budgetvorbehalt“ abgestempelt; heißt übersetzt: Wenn der (türkise) Finanzminister dafür kein Geld mehr hat, weil er zB. zuviel für bereits projektierte Autobahnneubauten und Flughafenzubauten ausgegeben hat oder kein Geld ausgeben WILL, weil man ja das von Kurz versprochene, absurde Steuersenkungs-Nulldefizit erreichen muss, dann ist’s halt Essig mit dem Klimaschutz. Und selbst wenn alles so kommen sollte und finanziert würde, fehlen im Programm wesentliche sozialausgleichende Maßnahmen, soweit ich es verstehe. Es ist eine der ÖVP natürlich gut gefallende Rückkehr zu ganz frühen, unausgegorenen grünen Ideen der höheren Bepreisung von allem Umweltschädlichen, wie Teile der alten ÖVP sie seit längerer Zeit eh guthießen. Übersetzt heißt das: Wer es sich leisten kann, fährt weiter mit dem SUV einkaufen und fliegt zwei Mal im Jahr auf Urlaub. Abgesehen von der offensichtlich völlig unsozialen Idee, ist das ein perfekter Angriffspunkt für die Opposition – und zwar für die gesamte verbliebene.

Ich erspare es euch und mir, das zum Teil grausig klingende Regierungsabkommen weiter zu zerpflücken, das haben andere schon besser und mit mehr Expertise getan, ich bin mir aber in einem Punkt sicher: Diese Regierung wird keine fünf Jahre überstehen. Die ÖVP wird alles tun, um es den Grünen schwerzumachen, „Punkte“ zu sammeln, was angesichts der Stimmenverteilung und der medialen Message Control durch Kurz kein Problem sein wird; es wird da und dort gemeinsam gestaltete positive Entwicklungen geben, dessen bin ich mir sicher, vor allem in den ersten Monaten. Danach wird Kurz beginnen, seine Absolute vorzubereiten und die Grünen so lange und so oft im Parlament zu düpieren und gemeinsam mit der FPÖ (wozu Hofer sich schon präventiv bereiterklärt hat) gegen die Grünen Beschlüsse fassen, bis diese die Konsequenz ziehen und von sich aus sagen „Es ist genug”. Und damit wird Kurz jede relevante oppositionelle Partei entmachtet haben. Alles, was gemeinsam positiv erledigt wurde, wird als Verdienst der ÖVP vermarktet werden, alles, was unweigerlich scheitert, als Schuld der „chaotischen”, nicht paktfähigen oder regierungsunreifen Grünen. Aus Pragmatismus werden die Grünen in der Koalition daher vieles unterschreiben und bei vielem mitstimmen müssen, das ihrem öffentlich seit Jahren gepflegten Image widerspricht. Das wird sie peu a peu bei ihren Wählerinnen und Wählern unglaubwürdiger, inhaltlich ungreifbarer machen und in letzter Konsequenz zwar vielleicht von breiteren Schichten wählbar, aber dann auch, siehe SPÖ, politisch wischi-waschi.

Wenn man das möchte, wenn man die wesentlichen gesellschaftspolitischen Ideen und Ziele opfern oder bis zur Unkenntlichkeit verwässern möchte, wie es die SPÖ seit den 1950er Jahren getan hat, um mehr Wählerinnen und Wähler anzusprechen, war dieser Regierungspakt wahrscheinlich eine gute Idee. Opportunismus zahlt sich – vor allem in Österreich – zumindest temporär immer aus. Wenn man indes Haltung besitzt und nicht um jeden Preis mit den Schulhof-Bullies mitprügeln will, damit man nicht mehr selbst geprügelt wird, dann war es leider eine ganz, ganz schlechte Idee. Und ich zumindest würde mich jeden Tag fragen, auf welcher Seite der Geschichte ich stehen wollte und was Schulkinder in 100 Jahren über mich und meine Partei lesen würden… aber vielleicht bin ich deswegen in keiner Partei und stelle mich nicht zur Wahl.

Sollte der Plan der Grünen und Werner Koglers es aber, wie mir viele schon erklärt haben, gewesen sein, dieses Regierungsprogramm jetzt einmal zu unterschreiben und dann im Parlament aktiv dagegen zu arbeiten, muss ich die Frage stellen, wer hier der größere Utopist ist… ich mit meinen Alternativen oder die Grünen, die glauben, gegen einen gemeinsam verhandelten Vertrag mit einer massiv stärkeren Partei, die sich auch jederzeit bei einzelnen Punkten eine Mehrheit mit der um 2% stärker als die Grünen im Parlament sitzenden FPÖ verschaffen kann, verstoßen zu können.

Ich wünsche den Grünen, entgegen meiner Prognosen und aus Frust ab und zu schärfer formulierten kritischen Anwürfe, natürlich das Beste. Das meine ich ehrlich. Ich kenne einige Grüne persönlich und hielte es für schade, liefen sie der Rechten ins offene Messer. Ich hoffe inständig, dass sie es schaffen werden, die ÖVP trotz deren Machtposition und Geisteshaltung positiv zu beeinflussen und aus Kurz einen sozialen, mitfühlenden, umweltfreundlichen, demokratischen und antiautoritären politischen Kollegen und aus seiner Partei einen Hort der zukunftsweisenden und gesellschaftspolitisch notwendigerweise liberaleren Entscheidungen zu machen…. ich glaube es nur einfach nicht.

Bitte überzeugt mich in den kommenden Jahren vom Gegenteil. Ich werde einer der Ersten sein, die sich für ihre Negativprognosen bei euch entschuldigen werden.

Mit besten Grüßen,

Jörg Vogeltanz

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