Dieses „Extinction-Rebellion- Bashing“ kotzt mich an!

Raphael entgegnet der immer wieder aufkommenden Kritik an den Protestformen von Extinction Rebellion und argumentiert dafür, dass es legitim ist die öffentliche Ordnung zu stören.
11. November 2019 |

Liebe LeserInnen, ich muss ganz ehrlich gestehen, dieses „Extinction-Rebellion-Bashing“ kotzt mich an. In letzter Zeit habe ich von verschiedensten Seiten Angriffe und unreflektierte Kritik an Extinction-Rebellion bezüglich der unglücklich eskalierten „Tube-Blockade“ („U-Bahn-Blockade“) im Rahmen der groß angelegten Rebellionswoche in London gelesen.

Dabei wurden, nachdem schon 7 Tage lang der Trafalgar Square in London besetzt wurde, an einem Wochentag morgens zusätzlich neben anderen Blockaden eine U-Bahn-Station besetzt und der Pendlerverkehr dabei lahmgelegt. Am Ende wurden Rebellinnen von den Zügen gezogen und ein, man kann fast sagen, wütender Mob, von Fahrgästen hat auf sie eingeprügelt. Wirklich hässliche Szenen. Wie zu erwarten kam aus dem bekannten reaktionären Eck das Übliche, à la „Zopferldiktatur“, „Ökofaschisten“ etc.

Die Reaktionen von progressiven und linken Kräften jedoch haben mich zuerst stutzig, und dann einfach nur wütend gemacht. Von Anprangern über Abgrenzen und Belehrungen über „richtiges Protestieren“ war fast alles dabei. Und mich wundert es am meisten, wie man prompt in den Kanon des reaktionären Shitstorms gegen Extinction-Rebellion mit der Begründung „der ungerechtfertigten Disruption“ einfach so einstimmen kann.

Endlich tritt eine Klimaschutzbewegung auf den Plan, die internationalistisch und radikal agiert. Endlich stellen Menschen mit verschiedenstem Hintergrund, egal ob jung oder alt, Angestellte oder ArbeiterInnen, ideologisch sich irgendwo zugehörig fühlende oder Unentschlossene gemeinsam das gesamte „toxische System“ in Frage. Endlich wird öffentlich und ernsthaft von einer Rebellion gesprochen und nicht nur von reformistischen Ansätzen.

Auch totgeglaubte Formen des Widerstands werden hier in Österreich wiederentdeckt und politisches Engagement kommt leicht zugänglich und Menschen ermächtigend zurück auf die Straße. Dabei werden Methoden angewandt, die schon gegen Apartheid, imperialen Kolonialismus und Sexismus zum Erfolg geführt haben.

Dabei wird gestört, blockiert, aufgehalten und Aufmerksamkeit erregt. Wenn die Wissenschaft seit Jahrzehnten schreit, dass wir auf einen Abgrund zusteuern und weiter beschleunigen, und nicht gehört wird, wenn seit beinahe einem Jahr Kinder (!) wöchentlich auf die Straße gehen, die um ihre Zukunft bangen, weil der Kollaps der bekannten Zivilisation bevorsteht, ja dann ist es legitim und wichtig, dass solche Maßnahmen ergriffen werden.

Ja dann ist es meiner bescheidenen Meinung nach okay, wenn man Menschen davon abhält, weiter dem gewohnten Lauf der Dinge zu folgen, und täglich ihre Arbeitskraft in ein System einzuspeisen, welches die ökologische Lebensgrundlage von Milliarden Menschen gefährdet. Dann brauchen wir dringend jedes Körnchen Sand im Getriebe. Wo blieb die Empörung, wenn GewerkschafterInnen für Lohnerhöhungen oder bessere Arbeitsbedingungen streikten und die „öffentliche Ordnung“ bzw. den Alltag des Verbrauchers stören? Weshalb ist der Kampf für Klimagerechtigkeit heute ein weniger legitimer Anlass für Ungehorsam, als der für soziale Gerechtigkeit bisher?

Und glaubt wirklich noch jemand, dass das eine ohne dem anderen ernsthaft realisiert werden kann? Wir haben endlich einen Ruck durch die Gesellschaft erlebt, und seit Ende 2018 treibt Extinction-Rebellion die Klimabewegung und deren angewandte Methoden voran. Mit hunderten gelungenen Aktionen in zig Ländern zeigt sich Extinction-Rebellion als eine unheimlich schnell wachsende progressive Kraft.

Ich selbst war an der Planung und Umsetzung von Aktionen von Extinction-Rebellion in Wien beteiligt, und sehe in der Organisation über dezentrale und autonom agierenden Bezugsgruppen eine große Stärke, jedoch gehen damit aber eben auch Gefahren und Risiken einher, wie man in London gesehen hat. Natürlich muss man nach der Aktion dringend über „framing“ und „targeting“ nachdenken und aus den gewonnenen Erfahrungen lernen.

Auch muss man über interne Systeme und Entscheidungsfindungsmechanismen diskutieren, wenn eine Aktion, welche von mehr als 70% der britischen Rebellinnen im Vorfeld abgelehnt und scharf kritisiert wurde, (wie ein anonymer Rebell der britischen Zeitung socialistworker berichtete) dennoch durchgeführt wird.

Ja, diese Debatten sollten jetzt dringend geführt werden. Gerade hier braucht es uns als linke Kraft, um Rückenwind zu geben, Erfahrungen aus geführten Arbeitskämpfen zu teilen und Einheit zu demonstrieren. Aber dieses öffentliche Aufeinander-Hinhauen, bringt keinem von uns was. Nur der gemeinsame Feind lacht sich heimlich ins Fäustchen, während wir uns streiten.

Raphael Boleloucky-Bolen
Aktivist bei Extinction Rebellion und Linkswende jetzt

Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider