Ein Institut, das Leichen von Flüchtlingen managt.

Das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) ist ein wichtiger Player der EU-Migrationspolitik. Es berät Staaten, schafft internationale Vernetzungen und wird auch selbst in Grenzregionen der EU aktiv. Die bis kürzlich völlig unbekannte Organisation ist derzeit nicht nur wegen ihrer Klagen gegen die NGO SOS Balkanroute im Rampenlicht.
7. Juni 2023 |

Aktuelle Recherchen der Plattform FragDenStaat mit einem Team aus internationalen Journalist:innen führen an die EU-Außengrenzen im Westbalkan und nach Nordafrika. Es geht um Trainingslager, Schnellboot-Training und „Leichen-Management“. Für gewählte Regierungen ist das ICMPD ein interessanter Partner, denn als internationale Organisation kann sie nur schwer vor Gericht belangt werden und ist keinem Parlament zu Auskunft verpflichtet. Der ehemalige österreichische ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger ist seit 2016 Generaldirektor des ICMPD. Das Jahresbudget stieg unter Spindelegger, laut der Recherche-Plattform, von 2015 mit 16,8 Millionen Euro auf satte 74,5 Millionen Euro im Jahr 2022. 56 Prozent des Geldes kam 2022 von der EU-Kommission, der Rest von EU-Mitgliedstaaten, Transit- und Herkunftsländern – den Mitgliedern des ICMPD.

Das grauenhafte Flüchtlingslager Lipa und dessen Hafteinheit („detention centre“) in Bosnien ist dank SOS Balkanroute öffentliches Thema. Die neuen Recherchen zeigen nun, die „ICMPD beeinflusst direkt und indirekt die europäische Migrationspolitik. Asylrechtsverschärfungen, die von Politiker:innen öffentlich vorgeschlagen werden, wurden teils vorher in informellen Treffen ausgearbeitet oder in Dokumenten von ICMPD skizziert.“ Laut Protokoll sagte der damalige stellvertretende Migrationsminister Griechenlands bei einem Treffen mit Spindelegger im Juli 2020: „Das ICMPD kann ein flexibles und informelles Forum (für Diskussionen) ohne den Druck der Medien bieten; ein Forum zur Lösung von Problemen“. Er überlegte damals, dass abgelehnte Asylsuchende pauschal inhaftiert werden sollten.

Für gewählte Regierungen ist die ICMPD ein interessanter Partner, denn als internationale Organisation kann sie nur schwer vor Gericht belangt werden und ist keinem Parlament zu Auskunft verpflichtet

Die Recherche-Ergebnisse wurden vorab mit dem ZDF Magazin Royale und der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD geteilt. Im ZDF Magazin Royale beschreibt Jan Böhmermann, wie das ICMPD gemeinsam mit der bayerischen Landesregierung eine Art Chipkarte entwickelt, das die völlige Überwachung der Geflüchteten ermöglicht. Begonnen wurde dieses Projekt mit dem mittlerweile international gesuchten österreichischen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek. Nach dessen Flucht dürfte die ICMPD eingesprungen sein und die Ideen weiterentwickelt haben. Die Organisation betreibt viele Projekte gleichzeitig, etwa die Ausbildung der Polizei in Tunesien. Diese steht wegen massiver Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Polizisten stehlen den Flüchtlingen die Motoren ihrer Schiffe und überlassen sie dann am Meer ihrem „Schicksal“. „Gute Ausländer rein, schlechte Ausländer psst“, kommentiert Jan Böhmermann und verweist auf das Leichenmanagement.

Die europäische Menschenrechtskonvention setzt immer wieder Limits. Deren Aushebelung und Rechtsbrüche stehen in der Festung Europa ebenso an der Tagesordnung wie die Kooperation mit Diktaturen. „Ich denke, dass der Begriff Migrationsmanagement vielen gefällt, weil er das Thema Migration eher zu einer technokratischen Angelegenheit macht“, erklärt Jeff Crisp, früher für das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen tätig. Der Begriff Migrationsmanagement sei, laut Crisp, bei Regierungen und Organisationen so beliebt, weil er das wahre Wesen ihrer Maßnahmen verschleiere.