Erkennbaren Musliminnen wird das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt

„Wieder sind es Musliminnen, die dafür instrumentalisiert werden, den Sozialabbau zu verschleiern, und diesmal auf Kosten der Kleinsten.“ Begüm Gördü ist empört über die x-te Kopftuchdebatte, die die jetzt schwarz-blaue Regierung auf den Rücken von Volksschülerinnen losgetreten hat.
27. April 2018 |

Auf in die nächste Runde… So wie ausnahmslos jedes Mal, wenn in Österreich die Politik gegen sozial benachteilige Menschen agiert, dauerte es nicht lange da stand schon die x-te Kopftuchdebatte vor der Tür.

Wieder sind es Musliminnen, die dafür instrumentalisiert werden, den Sozialabbau zu verschleiern, und diesmal auf Kosten der Kleinsten. Auf dem Rücken der muslimischen Kinder, genauer gesagt Mädchen und Jugendlichen, wird die Scheindebatte „Kopftuch im Kindesalter – ja oder nein“ ausgeschlachtet. Es liegen weder Studien noch Zahlen und Fakten vor, um so eine Debatte überhaupt führen zu können. Aber einen Grund gibt es: Die Abschaffung der AUVA. Ganz zufällig fällt den Herrschaften genau zu diesem Zeitpunkt das Kindeswohl der muslimischen Minderheit ein.

Debatten um Burka, Burkina und Kopftuch in Kindergärten sind nur eine Taktik, um die Politik in eine bessere Ausgangsposition für weitere Verbote zu manövrieren.

Wie schon während der Burkadebatte von vielen muslimischen Aktivistinnen angeprangert wurde, dienen solche Debatten dazu, Schritt für Schritt weitere Kleidungsvorschriften für muslimische Frauen zu verhängen. Diese rückschrittlichen Debatten werden von Seiten der „europäischen Beschützers“, der „Erlöser“ als ein Akt der Befreiung zelebriert. In Wahrheit drängt es muslimische Frauen an den Rand der Gesellschaft und versperrt ihnen den Weg zur Bildung und damit auch den Weg zum Arbeitsmarkt wodurch Frauen erst recht (finanziell und emotional) abhängig gemacht werden. Wenn man wirklich daran Interesse hätte, Musliminnen und ganz allgemein Frauen zu stärken, sollte man dafür sorgen, dass sie am Arbeitsmarkt die gleichen Chancen wie Männer haben. Ganz unabhängig von ihrem Aussehen, ihrem Alter, ihrer Herkunft oder eben ihrer Religion.
Die Probleme, die verschleiert werden, sind essentiell.

Der soziale Abbau, der Schritt für Schritt vor unseren Augen stattfindet, soll mit dem Schleier der Scheindebatten verdeckt werden. Schon bei Burka/Burkinidebatte wurde versucht von Themen wie Deckelung der Mindestsicherung, Ein-Euro-Jobs und Vorratsdatensicherung abzulenken – erfolgreich. Auch dieses Mal ist es nicht anders.

Immer mehr Menschen leben an der Armutsgrenze. Besonders Frauen im Alter aber auch alleinerziehende Mütter sind stark betroffen. Wieso wird nicht über Maßnahmen gesprochen, um diese Umstände zu bessern und allen Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen? Wieso wird nicht über Menschen gesprochen, die trotz Vollzeitjob nur schwer über die Runden kommen? – Über das Kopftuch zu reden ist einfacher und kostet auch nichts!
Vergleiche mit anderen repressionistischen Systemen sind fatal. In mehreren TV-Sendungen und auch Interviews haben verschiedene Politiker und sogenannte Islamkritiker immer wieder den Vergleich zur Türkei „vor Erdogan“ gezogen.

Während des kemalistischen Regimes waren religiöse Kopfbedeckungen an Schulen und Hochschulen verboten. Dies wird nun als ein positives Beispiel immer wieder thematisiert. Doch was waren die Folgen einer solchen Repression? Erkennbaren Musliminnen wurde das Recht auf Bildung und somit das Recht auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit verwehrt. Auch in der Türkei der Vergangenheit wurde dies unter dem Vorzeichen der „Befreiung“ und Emanzipation getan. Ist das der Weg, Frauen zu befreien? Sie bevormunden und ihnen Kleidungsvorschriften machen? Ihnen das Recht auf Bildung nehmen?

Diese Repressionen waren der Grund warum der große Teil der sich jahrelang unterdrückt gefühlten Bevölkerung dann Erdogan zum Wahlsieg verholfen haben. Ihnen wurde erstmals das Gefühl der Wertschätzung entgegengebracht als das Kopftuchverbot außer Kraft gesetzt wurde. Derartige Vergleiche sind völlig deplatziert und entbehren jeglicher Logik. Schließlich ziehen wir auch nicht den Iran, in dem Frauen genauso Kleidungsvorschriften gemacht werden, als ein positives Beispiel heran. Wieso also die ehemalige Türkei?

Es scheint so, als ob Repressionen und autoritäre Strukturen, deren Motivation der Laizismus sind, nicht als solche wahrgenommen werden. Durch areligiöse Motivation solcher Unterdrückungen und Zwänge werden die rückschrittlichen und sexistischen Züge legitimiert. Diese undifferenzierte Haltung ist fatal.

Begüm Gördü

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