Flüchtlingsproteste mit historischen Dimensionen: 70.000 trotzen Regierungsplänen

Heute war einer jener Tage, die man sein Leben lang nicht vergessen wird. Über 70.000 Menschen haben unter dem Motto „Flüchtlinge Willkommen“ demonstriert. Niemand, aber wirklich niemand unter den Organisator_innen oder unter den vielen Helfer_innen hätte mit solchen Massen gerechnet.
3. Oktober 2015 |

Die Tragödie auf der A4, bei der am 27. August 71 Menschen ums Leben gekommen sind, war nicht der Grund, weshalb so viele gekommen sind. Sie hat dazu beigetragen, dass so viele Menschen sich sagen: Es kann so nicht weiter gehen. Aber nicht erst diese Tragödie hat uns die Augen geöffnet. Neue Linkswende hat schon in der Maiausgabe geschrieben, dass die massenhafte Solidarität die Regierungen Europas zunehmend unter Druck setzt. Das war noch bevor die Innenministerin Mitte Mai ihre Unerbittlichkeit zur Schau stellen musste und Zeltlager errichten ließ. Und es war noch bevor die Situation in Traiskirchen entgleist ist.

Rebellion gegen die Festung Europa

Heute war ein Höhepunkt einer Bewegung, die man am besten als „Rebellion gegen die Festung Europa“ bezeichnet. Denn sowohl die Flüchtlinge selbst haben eine Rebellion gestartet und lassen sich nicht mehr aufhalten und auch die solidarischen Menschen in vielen Ländern, wie Kroatien, Serbien, Österreich und auch Ungarn, ließen sich trotz Androhung hoher Strafen das Helfen nicht verbieten. Im sogenannten „Ute-Bock-Paragraphen“, dem §120 des Fremdenpolizeigesetz  heißt es: Strafbar macht sich, wer „einem Fremden den unbefugten Aufenthalt wissentlich erleichtert“ und der ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, bzw. einer Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen.

Alleine die Geschichte der Reformen des Asylrechts erinnert uns daran, dass die Regierungen der letzten 25 Jahre ständig darum bemüht waren die Situation für Flüchtlinge zu verschärfen, das Herkommen schwieriger zu machen, das Hierbleiben möglichst unerträglich zu gestalten, sogar das Heiraten eines Flüchtlings wird wie eine Straftat behandelt. Und das geschah immer gegen den Widerstand einer entschlossenen Minderheit. Diese Minderheit ist inzwischen zu einer riesigen Masse angeschwollen und die Regierung wird die Grenzen nicht problemlos wieder dicht machen und das Helfen wieder kriminalisieren können.

Campino: „Fuck Strache“

Auf der Demonstration waren tolle und beeindruckende Reden zu hören: Mit dabei war etwa Campino von den Toten Hosen, der heute noch am Heldenplatz auftreten wird. Er sprach von der Strahlkraft dieser Demonstration für die ganze Welt und war ganz klar darüber, dass wir „zusammenstehen müssen“. An den FPÖ-Chef schickte er ein simples „Fuck Strache“! Eva Zar und einige ihrer Mithelfer_innen von Train of Hope erhielten tosenden Applaus für ihre unglaublich tolle Arbeit! 150.000 Stunden haben sie seit Anfang September in der Flüchtlingshilfe freiwillig gearbeitet.

Maya aus Damaskus ist erst 13 Jahre alt und seit zwei Monaten in Österreich. Sie hat mit ihrem selbstbewussten Auftritt alle begeistern können. „10 Jahre lebte ich glücklich, dann startete der Krieg. Ich verlor viele Freunde. Ich war zu Hause nicht sicher, in der Schule nicht und deshalb flohen wir. Thank you so much!“ Über 70.000 Menschen zogen dann über die Mariahilferstraße zum Parlament und von dort zu dem Open Air Konzert „Voices for Refugees“ am Heldenplatz, wo unter vielen anderen Seiler & Speer, Konstantin Wecker, Conchita Wurst oder Bilderbuch auftreten werden. Auch dort arbeiten die vielen Helfer_innen bei der Bühne und Technik freiwillig.

Kein Zurück zur „Normalität“

Die Regierung plant mit „Asyl auf Zeit“ die Gesetze weiter zu verschärfen. Sie will Massenlager („Hot Spots“) an den Außengrenzen errichten, wo Flüchtlinge verzweifeln und ihre Hoffnungen auf eine Zukunft in Europa aufgeben sollen. Die Zustände in den Flüchtlingslagern bleiben katastrophal, um ein Bild der „Überforderung“ zu erzeugen.

Flüchtlingshilfe und Kampf gegen die FPÖ verbinden

Flüchtlingshilfe und Kampf gegen die FPÖ verbinden

Mit dem heutigen Tag haben wir gezeigt, dass es mit Sicherheit nicht an der Bevölkerung liegt, wenn Flüchtlinge Unmenschlichkeit erleben müssen. Wir müssen diese Energie allerdings auch in den Kampf gegen Faschismus einbringen, denn sonst fängt trotz allem die FPÖ die Stimmen der Leute ein, die vor allem die Regierung abstrafen wollen.

“Flüchtlinge Willkommen” – Demo für eine menschliche Asylpolitik

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.