Hackler Gegen die Nazis
Völlig konträr zu dem in Österreich verbreiteten Geschichtsbild, waren die österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter während der Nazi-Diktatur sehr widerständig. Widerstand ging von Hitlerjugend vermöbeln über Arbeitsverweigerung bis zum unbefristeten Streik und zum bewaffneten Aufstand. Es ist auch verdammt wichtig, bei allen Gelegenheiten darüber zu berichten. Weder waren sie „Hitlers willige Helfer“, noch völlig geschlagen und deprimiert. Hitler hat die Arbeiter:innen gefürchtet. Wie Albert Speer zu berichten wusste, er war gleichzeitig Rüstungsminister und Hitlers Architekt der Berliner Reichskanzlei, war der Bau des Hauptquartiers so angelegt, dass sie vor Aufständischen bestmöglich verteidigt werden konnte. Mehrfach musste das Regime aus Angst vor einer Generalisierung des Widerstands seine Repressionsmaßnahmen zurücknehmen. Das soll nicht heißen, dass das Regime nicht unfassbar brutal war, und dass Widerstand etwas Einfaches und Alltägliches war. Hunderttausende wurden eingesperrt, gefoltert und hingerichtet. Umso erstaunlicher ist, was im Widerstand tatsächlich alles geleistet wurde.
Der spätere Gauleiter von Wien, Josef Bürckel, damals „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich“ berichtete im Herbst 1939, ein Jahr nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland, nach Berlin, dass die Kriegswirtschaftsbemühungen in Österreich gefährdet seien, wenn das Regime nicht bereit wäre einzulenken, den Arbeitern entgegenzukommen und Erleichterungen einzuführen. Der Anlass für die Aktivitäten der Arbeiter:innen war die Durchsetzung der Kriegswirtschaftserlässe im September 1939. Was Bürckel damals solche Sorgen bereitete waren nicht offene Streiks, sondern alle möglichen Formen der Arbeitsverweigerung, des Ungehorsams und politischer Opposition. Der Reichssicherheitsdienst (SD) berichtet von massiver Unzufriedenheit und oppositionellen Stimmungen in allen Industriegebieten. Arbeiter:innen weigerten sich, ihren „Deutsche Arbeitsfront-Beitrag“ zu bezahlen. Bummeln war in Österreich bzw. der Ostmark besonders verbreitet. Das Reichsversicherungsamt sprach von 2% Arbeitsabwesenheit als tolerabel. Unter Umständen von längeren Schichten, schlechter ausgebildeter Arbeiter und höheren Akkordzahlen wären 4% tolerierbar, aber sicher nicht die 7-10% wie sie jetzt im Schnitt aus der Ostmark gemeldet wurden und schon gar nicht 20%, wie in bestimmten Arbeiterbezirken Wiens.
Ösis waren angefressener
Ein interessantes Detail aus der Geschichte ist, dass Fehlzeiten generell in der „Ostmark“ 1,5% höher waren als im Altreich. Das dürfte einerseits daran gelegen haben, dass die österreichischen Arbeiter:innen 1934 nicht kampflos gegen die Austrofaschisten kapituliert hatten, wie die deutschen Arbeiter:innen. Außerdem hatten die im Austrofaschismus illegalen Freien Gewerkschaften schon 1936 Streiks in zwei Wiener Betrieben organisiert, den Fiat- und den Sauer-Werken, und sie hatten in den Monaten vor dem Anschluss in den Betrieben den Widerstand gegen den Anschluss vorbereitet. Sie waren sogar in Verhandlungen mit dem faschistischen Kanzler Schuschnigg getreten und haben ihm klar gemacht, dass die Arbeiter:innen Gewehr bei Fuß stünden, um die Annexion Österreichs zu verhindern. Der faschistische Diktator war schockiert von der Vorstellung, dass das verhasste Proletariat wieder eine solch wichtige Rolle einnehmen sollte. Er hatte die Wahl zwischen effektiven Widerstand gegen eine deutsche Invasion zu dem Preis einer erstarkten Arbeiterschaft oder der kampflosen Kapitulation vor den Nazis, und so hat er das Land lieber an Hitler verschenkt. Deshalb gab es bei der Annexion kaum Widerstand. Die Arbeiter:innen hatten aber in dem Prozess neues Selbstvertrauen geschöpft und waren kampfbereit. Sie empfanden den Anschluss häufiger als Annexion als andere Bevölkerungsgruppen und das Naziregime als Fremdherrschaft. Ergänzt werden muss, dass das Regime der Austrofaschisten (Vorläufer der ÖVP) so unbeliebt war und die Arbeitslosigkeit so hoch, dass nicht wenige Werktätige die Nazis anfangs willkommen hießen.
Vor allem die KPÖ thematisierte in den Großbetrieben die Fremdherrschaft. Disziplinäre Probleme waren am häufigsten unter den Gruppen, die neu ins Industrieproletariat kamen: Frauen, Landarbeiter und va. Fremdarbeiter und Zwangsarbeiter.
Anlässe für Widerstand
Es war überhaupt nicht selbstverständlich, dass die Kriegswirtschaftserlässe von 1939 ein solches Ausmaß an Widerstand hervorrufen würden. Noch ein Jahr zuvor war der Kampfgeist auf einem Tiefpunkt. Gründe dafür waren das Ende der Massenarbeitslosigkeit nach dem Anschluss und das Münchner Abkommen vom 29. September 1938. Nur fünf Monate nach dem Einmarsch der Nazis in Österreichs gaben Großbritannien, Frankreich und Italien Hitler grünes Licht für eine Teilannexion der Tschechoslowakei. Die Nazis schienen die ganze Welt widerstandslos zu überrollen.
Echte Streiks gegen die Nazis
Der Wendepunkt in der Haltung der Belegschaften kam im Sommer 1938, nur wenige Monate nach dem „Anschluss“ vom 12. März 1938. Die Bergarbeiter am Erzberg legten die Arbeit nieder. Das Eisenerz aus dem steirischen Erzberg war schon zur Kaiserzeit lebensnotwendig für die deutsche Industrie, erst recht für Hitler, der es für die Aufrüstung und den kommenden Krieg benötigte. Der Streik am Erzberg hat auch den Betrieb der Böhlerwerke und der ALPINE MONTAN bedroht und ist schließlich durch eine SA-Division von 150 Mann niedergeschlagen worden.
In einem Wiener Metallbetrieb legten die Arbeiter die Arbeit nieder, als deutsche Manager mit Stoppuhren auftauchten. Die Unternehmer hatten – ermutigt durch die neuen Kräfteverhältnisse – versucht, Stücklohn und Stundenlohn zu senken, und es kam zu Streiks.
In der Hanf-, Jute- und Textilindustrie-Aktiengesellschaft in Neufeld an der Leitha (bei Bruck an der Leitha) streikten die Arbeiterinnen so lange bis der (Nazi-) Werksleiter gekündigt wurde und sie 60% Entschädigung für vorherige Lohnkürzungen bekamen. Die NSDAP hatte die Arbeitsfront, die Eisenstädter NSDAP und die Vertrauensleute ausgeschickt um die Frauen zu beruhigen – umsonst! Im Jahr darauf gingen sie für eine Reallohnerhöhung offensiv in den Streik und bekamen sie!
In einem anderen Wiener Betrieb zwangen die Metallarbeiter den Nazi-Betriebsleiter ihren Beschwerden über eine 15 Groschen Stundenlohnsenkung zuzuhören. Das Treffen eskalierte aber bald und sie verlangten bezahlten Urlaub. Ihr Obmann (Obmänner waren Nazifunktionäre, die den demokratisch gewählten Betriebsrat ersetzten) hatte bei der Deutschen Arbeitsfront gegen bezahlten Urlaub gestimmt. Als er sich dafür rechtfertigen wollte, schrie ein Arbeiter: „Wenn der Obmann nicht die Arbeiter vertritt, soll er sich zum Teufel scheren“.
Verständlicherweise blieben Streiks dennoch eine Seltenheit. Erstens gab es kein Streikrecht mehr, es war illegal und mit hohen Strafen bedroht, zweitens waren die militantesten Kämpfer:innen und Gewerkschafter:innen ausgeschaltet worden, drittens herrschte vielerorts eine Stimmung des Misstrauens untereinander. Man wusste nicht sicher, wer ein Spitzel war und wem man vertrauen konnte.
Steyr zeigt Stärke
In Großbetrieben mit einer langen Geschichte von Organisation und Kampf sorgten die Arbeiter:innen selbst dafür, dass sie von Zuverlässigen umgeben waren. Aus den Steyrwerken, die tradtionell eine sozialdemokratische Hochburg darstellten, kamen verstörende Berichte nach Berlin. Jahrelang hatten „Marxisten“ keine Chance eingestellt zu werden, aber 1938 gab es Arbeitskräftemangel, und ehemalige Sozialdemokraten nutzten ihre Positionen so aus, dass „Marxisten“ der Vorzug vor Nazis gegeben wurde. So war der Meister in einer Abteilung ein alter Roter, der dafür sorgte, dass er nur von seinen roten Freunden umgeben war. Nazis bekamen die schlechtesten Arbeitsplätze und in manchen Abteilungen wurden überhaupt nur „rote Genossen“ eingestellt oder toleriert. Heimkehrer aus der Sowjetunion wurden ohne jegliche Hindernisse sofort eingestellt. Ein weiterer Bericht ging den Problemen auf den Grund. Steyr galt als kommunistische Hochburg. Die Bevölkerung stand hinter den Arbeiter:innen in den Steyrwerken. Außerdem war die Stimmung in Steyr ziemlich feindselig gegenüber den aus Deutschland herbeigekarrten Arbeitern, nicht nur, dass sie oft Neulinge waren, die erst angelernt werden mussten, es waren oft auch NSDAP-Parteigänger. Außerdem herrschte Arbeitskräftemangel und in Steyr lebten zahlreiche Fachkräfte. Deshalb tolerierten die Nazibehörden die Zustände in den Werken lieber als durchzugreifen. Deshalb wären Interventionen der Gestapo riskant gewesen. Ob sie ein rein politisches Problem hätten beseitigen können, war unklar, aber dafür hätten sie die Produktion gestört und ein wirtschaftliches geschaffen. Diese Toleranz wurde im Herbst 1938 auf die Probe gestellt. Am 20. September berichtete die SS, dass Arbeitsunruhen in den Werken um sich griffen. NSDAP-Politiker wurden öffentlich beschimpft, Schlägereien mit Nazis wurden provoziert und es kam immer häufiger zu Arbeitsverweigerungen. Die Gestapo in Wien bestätigte, dass dieses Bild auf alle Industrieregionen in der Ostmark zutraf und dass auch die Mund-zu-Mund-Propaganda und sogar politische Flugblätter häufiger auftauchten. Ein hartes Durchgreifen auf Befehl von Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, eine Woche nach diesem Bericht, ließ den Widerstand etwas leiser treten, aber die Spannungen blieben und nahmen andere Formen an.
Ich scheiß auf den Führer
Ein SD Reporter berichtete nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 8. November 1939 nach Berlin, dass in Arbeiterklassebezirken der Hass auf Hitler keine Grenzen kannte.
In den Steyr-Werken wurden mehrere Arbeiter verhaftet, die meinten, das Attentat war einfach eine Folge der Unterdrückung der Katholiken durch die Nazis.
In Wiener Neustadt wurde ein Arbeiter verhaftet, der sagte, dass die Kerle das Eiserne Kreuz verdient haben. Ein anderer, der sagte, er werde den Hitler gleich selber umbringen, wurde in Wien verhaftet.
Die am häufigsten berichteten Führerbeleidigungen waren: “Ich scheiß auf den Führer“, “der Führer kann mich mal am Arsch lecken“. Eine Wäscherin wurde für die Aussage verhaftet: „Der Führer ist ein Bauarbeiter und bei der Bauarbeit soll er bleiben, anstatt sich um Sachen zu kümmern von denen er keine Ahnung hat. Die Polen hätten ruhig ein paar Augen mehr ausstechen und ein paar Kehlen mehr aufschlitzen sollen, dann hätten wir jetzt eine Ruh.“ Wenn die Reporter irgendwo Sympathiekundgebungen für Hitler feststellten, zweifelten sie deren Echtheit in den Berichten oft an.
Sabotage
Das Naziregime nahm Ungehorsam sehr ernst und griff brutal durch, wenn es der Urheber habhaft werden konnte. Dort wo die Menschen nicht auf die gegenseitige Solidarität in Großbetrieben zählen konnten, griffen sie deshalb zu anderen Mitteln. Am Land war der Feuerteufel unterwegs und allerorts wurden Züge zum Entgleisen gebracht. Vor allem nach dem Einmarsch in Russland nahmen die Sabotageakte zu. Aus Wien und Niederösterreich wurden 1941 im Schnitt drei Sabotageakte pro Woche gemeldet. Ende Mai wurden aus Wien und Niederösterreich drei verdächtige Aktionen binnen zweier Tage gemeldet und machten die Behörden unruhig. Am 23. Mai wurden die Ventile einer Dampfmaschine blockiert. Es blieb unklar, ob das wirklich als Sabotage eingeordnet werden sollte. Am nächsten Tag explodierten 200.000 Handgranaten und nahegelegene Lagerhallen brannten nieder. Und am selben Tag gab es zwei Zugskollisionen, die das Leben eines Inspektors forderten, zahlreiche Güterwaggons zerstörten und den Zugverkehr für acht Stunden lahmlegten. Bahnarbeiter spielten generell eine prominente Rolle im Widerstand. Es waren sehr oft kommunistische Zellen bei der Bahn aktiv und sie hatten ein endloses Betätigungsfeld. Das Austauschen der Zielbahnhofs-Plaketten war eine einfache, aber effektive Methode die Kriegswirtschaft zu sabotieren. Zugentgleisungen kamen relativ häufig vor und hatten oft sehr ernste Konsequenzen, wie ein Großbrand im Bahnhof Wien-Leopoldau zeigte. Leider war es nicht sehr schwierig die kommunistischen Zellen auszuheben und so landeten viele der Kämpfer:innen im Gefängnis, im Lager oder wurden hingerichtet. Auch die Bediensteten der Wiener Verkehrsbetriebe waren für ihre Militanz bekannt. An nur einem Abend im Oktober 1939 ließen sie 18 Straßenbahnen zusammenkrachen. Im Herbst 1942 hat die Gestapo die Bekämpfung von Sabotage zu ihrer Hauptaufgabe erklärt und sie behandelte die kleinsten Vergehen mit extremer Härte, aber es gab immer noch deutlich weniger Verhaftungen als Sabotageakte.
Jugend im Widerstand
Das schon zitierte Verprügeln von Hitlerjugend war vor allem in den Industrieregionen modern. In Wien hatten die Hitlerjungen vor allem in den Arbeiterbezirken Favoriten, Simmering und Floridsdorf ein schweres Leben. Völlig unbekannt ist der österreichischen Geschichtsschreibung dagegen, wie weit die Jugendlichen in den roten Bezirken gegangen sind. Gegen Kriegsende, im Frühjahr 1945 nahmen Unruhen wegen der Lebensmittelengpässe für die Nazis wirklich bedrohliche Ausmaße an. Im März berichtete der Sicherheitsdienst aus Wien, dass die Arbeiter:innenbezirke für Nazis Sperrgebiete geworden sind. Sie werden beschimpft, bedroht und sogar gesteinigt. Frauen spielten eine zentrale Rolle dabei, sie beschützten die Aufständischen und organisierten Proteste und Demonstrationen. Berlin wollte den Berichten nicht glauben und verlangte eine Bestätigung aus anderen Quellen. Am 2. April bestätigte die Bezirksleitungen die Berichte des SD.
Arbeiter:innen würdigen
Diese spannenden Geschichten hat Timothy Kirk aus Polizeiberichten und internen Dokumenten der Nazis ausgegraben. In österreichischen Geschichtsbüchern sucht man sie vergebens. Bekannt ist hierzulande der patriotisch ausgerichtete Widerstand oder das Attentat von General Stauffenberg, einem hochrangigen Nazi und Antisemiten. Wir betonen hier den Arbeiter:innen-Widerstand, weil erstens, Faschismus ein Regime war, mit dem ausdrücklichen Ziel, Arbeiterwiderstand ein für alle Mal zu zerschlagen, es war ein konterrevolutionäres Regime! Weil es zweitens keine stärkere Kraft im Klassenkampf gibt, als die Arbeiter:innenklasse und genau diese Tatsache vor uns so gut versteckt wird. Drittens, weil der patriotisch-österreichische Widerstand, der uns heute als präsentiert wird, einfach eine falsche Ausrichtung hatte. Es war Arbeiter:innenwiderstand und der Widerstand der unterdrückten Völker, wie der Slowenen, der Griechen, der Polen, Ukrainer, Russen, etc., der für die Nazis die größte Bedrohung war. Wenn wir die nächste faschistische Machtergreifung verhindern wollen, und es fühlt sich so an, als wäre das jederzeit möglich, dann müssen wir auf die richtigen Kräfte und die richtigen Strategien setzen – und dabei stehen Arbeiter:innen im Mittelpunkt.