Hunger als Strafe
Selten erreichen uns „echte“ Berichte über die Situation in Afghanistan. Hunger und Arbeitslosigkeit grassieren überall auf dem Land und in den Städten. Die USA haben aus Rache für die Niederlage im August 2021 afghanische Vermögenswerten in Höhe von rund 10 Milliarden Dollar gesperrt. Die lagern großteils in der amerikanischen Notenbank Fed. „Jedes Kind, das verhungert, wird ermordet“, sagte Jean Ziegler, der selbst acht Jahre als UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung bei den Vereinten Nationen tätig war. Im Falle Afghanistans nach dem Abzug der USA ist das besonders offensichtlich. Schließlich ist es eine öffentlich gemachte Politik, die Bevölkerung Afghanistans für die Demütigung der USA zu bestrafen.
Menschenrechte und die USA
Sogar die etablierte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gab den US-Sanktionen einen großen Teil der Schuld. „Seit dem Abzug der USA und der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 leidet Afghanistan unter einer sich verschlimmernden humanitären Krise“, heißt es dort. „Akute Unterernährung ist nun im ganzen Land fest verankert. Seit fast einem Jahr sind über 90 Prozent der Haushalte nicht mehr in der Lage, sich ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen.“ Weiter heißt es: „Zehntausende von Kindern werden monatlich wegen akuter Unterernährung zur medizinischen Notfallbehandlung eingeliefert. Viele andere in abgelegenen Gebieten können keine Hilfe bekommen und sind verhungert. Mehr als eine Million Kinder unter fünf Jahren – die besonders mit dem Tod bedroht sind, wenn sie keine Nahrung erhalten – leiden an anhaltender akuter Unterernährung, was bedeutet, dass sie, selbst wenn sie überleben, mit erheblichen Gesundheitsproblemen konfrontiert sind, unter anderem mit Wachstumsstörungen.“ Human Rights Watch erklärt weiter, dass die Krise vor allem durch die Entscheidung der USA verursacht wurde, die afghanische Zentralbank vom globalen Bankensystem abzuschneiden. Außerdem wurden Vermögenswerte und Hilfsgelder eingefroren, mit denen die Gehälter der Beschäftigten des öffentlichen Sektors direkt bezahlt wurden. Das zeigt, dass – auch nach dem Rückzug der USA – die Menschen in Afghanistan immer noch den Preis für die US-Besatzung zahlen. Was hat die Bevölkerung mit dem Krieg zwischen Taliban und USA zu tun, kann man sich fragen. In den Augen der US-Militärs sehr viel – denn keine armselig ausgerüstete Bauernarmee auf der gesamten Welt könnte sich gegen die stärkste Militärmacht der Geschichte durchsetzen ohne einem entscheidenden Ausmaß an Unterstützung aus der Bevölkerung.
Einmal am Tag essen
Die Journalistin Yogita Limaye hat einen berührenden TV-Bericht aus der afghanischen Provinz Badakhshan erstellt. Ärzt_innen und Pflegepersonal berichten, dass sie mit einem Anstieg an Fehlgeburten gerechnet haben, aber nicht mit einem derart hohen Anstieg. Eine junge Frau, die ihr Baby verloren hat, erzählt, dass sie morgens und mittags nur Tee mit Milch zu sich nimmt und erst am Abend kann sie einmal pro Tag für die Familie kochen. Die Frühgeburt wurde durch Hunger und Sorge ausgelöst. Oft sterben auch die werdenden Mütter, und nicht selten sind ihre Männer weit weg auf der Suche nach Arbeit oder einfach auf der Suche nach Essen für ihre Familien.
Babies verkauft
Hilfsorganisationen und Journalist_innen berichten, dass viele der ärmsten Bauernfamilien ihren Grund und Boden samt ihren Viehherden verkauft haben und sich in selbst gebauten Hütten an den Stadträndern ansiedeln, weil sie hoffen dort überleben zu können. Auch Babys sollen verkauft worden sein. Nun ist im Westen seit den Zeiten des Kolonialismus der rassistische Stereotyp verbreitet, dass „diese Menschen“ unter dem Verlust eines Kindes nicht so leiden wie wir. Zu jeder Hungerkatstrophe, der wir scheinbar machtlos zusehen, wird der Stereotyp wieder ausgepackt. Wer so denkt, soll es den Betroffenen ins Gesicht sagen. Letztendlich führt doch jede Rechtfertigung imperialistischer Besatzungspolitik und ihrer Folgen wieder in eine rassistische Sackgasse.
2,3 Billionen USD Kriegskosten
Die USA sind nicht in Afghanistan einmarschiert, weil sie Gerechtigkeit für die Opfer von 9/11 wollten. Sie bombardierten das Land und besetzten es, weil sie ihre Vorherrschaft in Zentralasien und dem Mittleren Osten ausbauen wollten. In den ersten Jahren der Besatzung erlebten sie kaum Widerstand, weil die Bevölkerung nach der Russischen Besatzung und dem folgenden Bürgerkrieg genug hatte. Erst nachdem die USA erneut begannen, wahllos Dörfer zu bombardieren und zahllose Zivilist_innen ums Leben kamen, bekamen die Taliban wieder Zulauf. Dabei hätten sie das Land mit einem Bruchteil des Geldes, das sie für den Krieg aufwendeten befrieden können. Das Watson Institut der Brown University betreibt das Projekt „Cost of War“ und hat berechnet, dass die USA bis heute ungefähr 2,3 Billionen US-Dollar (2,3 trillion USD) für den Krieg in Afghanistan ausgegeben hat. Hätte sie das Geld dafür eingesetzt Infrastruktur und Landwirtschaft in dem Land auszubauen, die Taliban hätten nicht den Hauch einer Chance gehabt, sich zu etablieren. Aber es war eine öffentliche Entscheidung, das nicht zu tun. George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump versprachen alle dasselbe: Die Vereinigten Staaten würden sich nicht mit der Last des „Nation-Building“ in Afghanistan aufhalten.
Hunger als Waffe im Krieg
Sanktionen sind Teil der Kriegsführung aller großen Mächte und waren es schon immer. Uns gegenüber wird zwar behauptet, Sanktionen seien eine Art Strafe für Menschenrechtsverletzungen, aber ein Schritt zurück und man sieht ganz schnell: Sanktionen betreffen nur Länder deren Regierungen sich nicht den USA unterordnen, wie Iran, Nordkorea oder Russland, die alle tatsächlich die Menschenrechte mit Füßen treten. Auch die Taliban gebärden sich fürchterlich reaktionär, lassen Mädchen nicht die Sekundarstufe besuchen, unterdrücken Frauen, ethnische Minderheiten und politisch Missliebige. Dennoch ist das nicht der Grund für die Sanktionen – höchstens die offizielle Rechtfertigung. Die Alliierten der USA dürfen nach Belieben foltern und unterdrücken. Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinten Arabischen Emirate (VAE), Israel – die Liste lässt sich fortsetzen – sie alle zeichnen sich durch ein besonders freundschaftliches Verhältnis zum Westen aus und ein abscheuliches Sündenregister an Menschenrechtsverbrechen. Ganz zu schweigen von der Unterdrückung von Frauen in Saudi-Arabien und VAE.
Niemals für Krieg
Sanktionen werden uns als friedliche Alternative zu Krieg verkauft, aber sie sind es nicht und sie bewirken kaum jemals, was ihre Architekten vorgeben. Die Sanktionen gegen Afghanistan bestrafen nicht die Taliban, sondern die Bevölkerung. Die Sanktionen gegen Russland behindern nicht Putins Kriegsführung, aber sie treffen die Bevölkerung in Russland und hierzulande. Wer Sanktionen unterstützt, stellt sich auf die Seite der Mächtigen und gegen den Frieden.