Interview über die Geschichte des österreichischen Trotzkismus: „Es war vor allem ein Arbeitertrotzkismus“

Die Website Trotzkistisches Archiv Österreichs dokumentiert die Geschichte des österreichischen Trotzkismus im frühen 20. Jahrhundert. Zwischen 1933 und 1955 befand sich der österreichische Trotzkismus in der Illegalität, darum lassen sich in Bibliotheken nur vereinzelte Dokumente dieser Phase finden. Insgesamt umfasst das Archiv 12.000 Seiten, von denen 7-8.000 nirgendwo sonst auffindbar sind. Mithilfe des Arbeiter*innenstandpunkt dokumentierte Manfred Scharinger die Texte in jahrelanger Kleinstarbeit. Linkswende sprach mit ihm über die Geschichte des österreichischen Trotzkismus in der Illegalität.
11. April 2023 |

Linkswende: Die österreichische Revolution und Rätebewegung von 1917 bis 1919 führte zu einer Radikalisierung der Arbeiter_innenbewegung und einer Neu-Formierung der revolutionären Linken. War diese Phase für die späteren Ursprünge des österreichischen Trotzkismus in biografischer oder theoretischer Hinsicht prägend?

Wenn man sich die Geschichte des österreichischen Trotzkismus anschaut, gibt es eine entscheidende Bezugsperson, die 1918/1919 eine prägende Rolle spielte. Das war Josef Frey, der 1882 im heutigen Tschechien in Strakonitz geboren wurde und in Wien Rechtswissenschaften studierte. Vor dem Ersten Weltkrieg schrieb er für die Sportrubrik der Arbeiter-Zeitung. Im Krieg diente er als Reserveoffizier und gab sich früh als Linker zu erkennen. Als sich im Zuge des Zusammenbruchs des Habsburgerreiches und der k.u.k. Armee Soldatenräte bildeten, wurde er als Vorsitzender des Wiener Soldatenrates zu einer Schlüsselfigur der radikalisierten Arbeiter_innenbewegung. Frey war die einzige Person des späteren Trotzkismus, der in der Umbruchphase eine wirklich tragende Rolle spielte.

Die Umbruchphase war jedoch auch ein politischer Bezugspunkt: Auf einer direkten Ebene eröffnete die Radikalisierung Ende 1917, Anfang 1918 neue Möglichkeiten und schuf ein Reservoir links der Sozialdemokratie. Franz Koritschoner und die späteren Gründungsfiguren der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs wurden auch in dieser Zeit aktiv. Insbesondere Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft, die teilweise in direktem Kontakt mit den russischen Revolutionär_innen standen, wurden Führungsfiguren der sich neu formierenden Linken und der KPDÖ.

(Kommunistische Partei Deutsch-Österreich, später KPÖ)

Durch seine Schlüsselrolle innerhalb der Soldatenräte war Frey in der revolutionären Phase noch in die Sozialdemokratie eingebunden. Wie kam es zum Bruch?

Die Revolution offenbarte das Versagen der Sozialdemokratie (SDAP). Otto Bauer (führender Theoretiker und Aushängeschild des Austromarxismus) argumentierte in dieser Phase: Wir hätten in jedem Augenblick 1918/1919 die Macht ergreifen können, aber aus staatspolitischer Verantwortung haben wir das nicht gemacht. Josef Frey formierte aufgrund der politischen Zurückhaltung der SDAP-Führung die Arbeitsgemeinschaft revolutionäre Arbeiterräte. Diese Organisation zielte auf eine tiefergehende Revolution ab.

Nachdem sich Frey nicht in die Sozialdemokratie integrieren ließ – er lehnte die Angebote, u.a. Parlamentarier für die SDAP zu werden ab – wurde er 1920/21 aus der Partei herausgedrängt. Daraufhin schlossen sich Frey und andere revolutionäre Arbeiterräte der Kommunistischen Partei an. Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang wichtig ist: Der lange Verbleib von Frey in der SDAP wurde ihm innerhalb der KPÖ immer wieder zum Vorwurf gemacht.

Insgesamt war also 1918/1919 natürlich ein entscheidender Bezugspunkt für die Entwicklung einer revolutionären Alternative zur Sozialdemokratie. Eine Randbemerkung noch, Josef Strasser der in der Vorkriegs-Sozialdemokratie als Linker eine wichtige Rolle spielte, wechselte in dieser Phase zur KPÖ. Später war er kurzzeitig in der Linksopposition der KPÖ aktiv. Aufgrund früherer Differenzen wollten Frey und er nie zusammenarbeiten, da gab es tiefgehende Ressentiments. Denn als Chefredakteur der KPÖ-Tageszeitung Rote Fahne war Strasser letztlich für die Anti-Frey-Kampagne innerhalb der KPÖ ab 1926 mitverantwortlich.

Gab es von Frey beziehungsweise innerhalb trotzkistischer Kreise eine Reflexion über den frühen Kurs der KPDÖ, die eine starke „putschistische“ – d.h. die Mehrheit der Arbeiter_innenklasse ignorierende – Tendenz hatte?

Es gibt von Frey und Kurt Landau einige wenige Texte, die Bezug auf die (Früh-)Geschichte der KPÖ nehmen. Kurt Landau war ebenfalls eine tragende Persönlichkeit des österreichischen Trotzkismus – er kam aus dem Kommunistischen Jugendverband und war in der Kulturabteilung der KPÖ aktiv. Gerade für die Formierungsphase der österreichischen Linksopposition war er relevant. Er setzte sich in mehreren Artikeln mit dem „Anarcho-Kommunismus“ der KPÖ auseinander.

Eine wirklich systematische Aufarbeitung gab es aber nicht. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Frühgeschichte der KPÖ eine sehr verwirrende Phase mit sich ändernden Loyalitäten war. Für die Formierung der KPÖ waren die damals aktuellen Diskussionen innerhalb der Komintern – bspw. der Bruch Sinowjew mit Stalin undBucharin 1926 oder die Debatten um die Industrialisierung der Sowjetunion – wichtiger. Koritschoner und sein Linksradikalismus waren früh eine Randerscheinung in der KPÖ. Insofern war eine Aufarbeitung dieser Frühphase zumindest keine tagespolitische Notwendigkeit.

Als Linksopposition sind jene Gruppen bekannt, die sich gegen die Unterordnung der internationalen kommunistischen Bewegung unter Stalins Politik formierten und an Trotzki anknüpften. Die österreichische Linksopposition innerhalb der KPÖ war nie vereinigt, sondern in unterschiedlichste politische und persönliche Fraktionen gespalten. Kannst du einen kurzen Überblick über die Strömungen der Linksopposition geben?

Es gab zwei historisch gewachsene Zentren der österreichischen Linksopposition. Vereint war die Opposition in der Ablehnung der „Bolschewisierungsfraktion “ innerhalb der KP um Johann Koplenig. Auf der einen Seite gab es in Wien verschiedene Strömungen, die sich auf Basis von Bezirken organisierten. Es gab eine tschechische Gruppe in Ottakring, die Bezirksgruppe in Meidling, die „Heimatsektion“ von Frey, und z.B. eine Gruppe in Hernals, die von Karl Mayer geführt wurde. Im April 1926 schlossen sich diese Gruppen zu einem relativ losen Bündnis zusammen.

Die andere Strömung, zu der bspw. Kurt Landau bald wechseln sollte, formierte sich in der Steiermark als „Mahnruf Gruppe“, also als Gruppe um die Zeitschrift „Mahnruf“. Während die radikale Linke in der Steiermark generell schwach war, war die Mahnruf-Gruppe politisch und personell bedeutsamer als die offizielle KPÖ-Sektion. Von ca. 100 Parteimitglieder in Graz und Umgebung waren ca. 80 in der Mahnruf-Gruppe. Verankert war sie wie die KP generell in Arbeitsloseninitiativen. Die verhältnismäßige Stärke der Mahnruf-Gruppe führte dabei zu Widersprüchen. Die Mahnruf-Gruppe trat dann ja auch 1929 eigenständig bei Gemeinderatswahlen in Graz an und erreichte mehr als 600 Stimmen, die KPÖ nicht einmal 200.

Trotzki vertrat hingegen in dieser Phase die Position, die Linksopposition sollte sich als Fraktion der Kommunistischen Partei formieren und demnach nicht selbstständig zu Wahlen antreten. Für die Mahnruf-Gruppe war es schwer nachvollziehbar, warum sie als stärkere Gruppierung die offizielle KP-Sektion bei Wahlen unterstützen sollten und nicht selbst antreten dürfte.

Insgesamt hatte die KPÖ 1926/27 nicht mehr als 3.000 Mitglieder. Davon unterstützen in Wien 600 einen Aufruf der Opposition, das heißt innerparteilich war die Opposition ein wichtiger Machtfaktor, auch wenn sie insgesamt betrachtet, schwach war. Aus diesem Reservoir rekrutierte sich dann auch die KPÖ (Opposition), die sich im Frühjahr 1927 nach den Ausschlüssen aus der KPÖ bildete und dann bis zum Verbot 1933 die Arbeiter-Stimme herausgab – schon bald auf einer politisch klaren Linie, nämlich auf der der Internationalen Linksopposition um Leo Trotzki.

Trotzkis-Strategie hast du bereits erwähnt, er setzte sich ja selbst immer wieder mit den politischen Entwicklungen in Österreich auseinander. Mir sind besonders seine Texte zur Stärke der österreichischen Sozialdemokratie als Produkt der Schwäche des Bürgertums bekannt. Gab es einen direkten Austausch zwischen Trotzki und Frey?

Ja, es gab mit einer ganzen Reihe österreichischer Trotzkisten einen direkten Austausch. Es gibt zwei große Bereiche, mit denen sich Trotzki im österreichischen Trotzkismus auseinandersetzt.

Auf der einen Seite der Februar 1927 und die Krise der österreichischen Sozialdemokratie – ihr Zurückweichen nach dem Justizpalastbrand, die zunehmende Transformation Österreichs in einen austrofaschistischen Staat. 1936 gibt es noch einen Text, der in Unser Wort (Exilzeitschrift der Internationalen Kommunisten Deutschland) erschienen ist. In diesem setzt sich Trotzki aus der Perspektive eines Arbeiters damit auseinander, ob Österreich eine Nation ist, oder nicht und ob das austrofaschistische Österreich gegen das nazifaschistische Deutschland verteidigt werden sollte.

Zweitens gab es eine organisatorische Diskussion um die Frage, unter welchen Bedingungen sich die österreichische Linksopposition in die internationale Linksopposition eingliedert. In meinen Augen hatten in dieser Auseinandersetzung weder Trotzki noch Frey eine besonders glückliche Hand. Trotzki hat dies indirekt später eingestanden, als er erklärte, wegen der Frage, wie die Organisation konkret aufgebaut sein sollte, sollte man sich auf internationaler Ebene nicht spalten.

Kannst du den „Bolschewiesierungsprozss“ innerhalb der KPÖ am Rande vorstellen. Was waren die konkreten Konfliktlinien?

Das ist schwierig zu beantworten, weil die Konfliktlinien nicht immer klar waren. Eindeutig war Koplenigs Position, egal was Stalin sagt, wir gehen mit ihm. In den Jahren 1922/1923 hatte Frey die Parteiführung der KP inne. In dieser Phase versuchte er gegen ultra-linke Widerstände die Taktik der Einheitsfront, das heißt die Bereitschaft, mit sozialdemokratischen Organisationen in konkreten Konflikten zusammenzuarbeiten. Mit der Niederlage im deutschen Oktober wurden jene Linke, die solch eine Strategie verfolgten, mit der Ausschaltung von Thalheimer und Brandler in der KPD an den Rand gedrängt. Dies wirkte sich auch auf Österreich aus. Dazu kommt noch, 1924/25 wird Frey nach Berlin in die Spionageabteilung der sowjetischen Gesandtschaft in Berlin beordert und konnte in die Fraktionskämpfe in Österreich nicht eingreifen.

Die Jahre 24, bis Frühjahr 26 waren ein zermürbender Kleinkrieg in einer immer schwächer werdenden KPÖ. Politische, fraktionelle und persönliche Differenzen überlagerten sich. Koplenig übernahm konsequent alle Wendungen und konnte dadurch als stabiler Kern erscheinen. Eine fragliche Darstellung, denn politisch schwankte Koplenig hin und her. Frey forderte bis in die 1940er Jahre, eigentlich bis zu seinem Tod, dass sich Österreich in eine gesamtdeutsche Revolution eingliedern müsse. Für die Koplenig-Fraktion war es einmal die Eigenständigkeit Österreichs, einmal eine Donau-Balkan Föderation, das nächste Mal Eingliederung in die deutsche Revolution. Erst in den 30er Jahren wurde die Eigenständigkeit Österreichs unumstrittenes und unhinterfragbares Programm, weil sie in Stalins damalige Ausrichtung passte.

Ist es der Linksopposition nach dem Justizpalastbrand gelungen, an die Radikalisierung sozialdemokratischer Arbeiter_innen anzuknüpfen?

Natürlich gab es Anknüpfungspunkte, der Großteil des Trotzkismus kam aus der Sozialdemokratie bzw. dem Schutzbund. Aber ein unüberwindbares Problem war letztlich die Schwäche der Kommunistischen Partei. Die Linksopposition verstand sich als ausgeschlossene Fraktion einer Minoritäten-Gruppierung, die am Rand der Arbeiter_innenbewegung dahinvegetierte. Außerdem müssen wir bedenken, dass ab dem Jahr 27 die Sozialfaschismustheorie die Anknüpfungspunkte zu linken Sozialdemokraten kappte. Die Linksopposition in Österreich stand vor grundlegenden Problemen, die sie von sich aus nicht so leicht produktiv überwinden konnte.

In Österreich erlebten wir das interessante Phänomen, dass die kommunistische Bewegung, die in der Legalität wenig zusammenbrachte, in der Illegalität aufblühte. Erst in der Phase der Illegalität wurde die KP zu einer Partei mit ansatzweise Massenrückhalt. Wie wirkte sich die Illegalität auf die Linksopposition aus?

Die Enttäuschung über die Niederlage der Sozialdemokratie bereitete auch hier den Boden auf. Mit der Illegalität und parallel zum Anwachsen der KP konnte sich also auch der Trotzkismus konsolidieren. Es gab drei größere Gruppierungen, die sich auf Trotzki bezogen. Der Kampfbund für die Befreiung der Arbeiterklasse, kurz Kampfbund genannt und angeführt von Frey. Die Bolschewiki-Leninisten, welche sich um den Februar 34 gründeten und eine Strategie des Entrismus in die Sozialdemokratie verfolgten. Darum verfügten sie über die besten Kontakte zu sozialdemokratischen Arbeiter_innen. Die dritte Gruppe war die bereits angesprochene Formierung um den Mahnruf in der Steiermark, die auch in Wien nach dem Übertritt von Kurt Landau und einigen anderen ab 1929 eine Präsenz hatte.

Sowohl die KP, als auch die trotzkistischen Gruppen konnten also aus dem Reservoir von mit der Sozialdemokratie enttäuschten Arbeiter_innen schöpfen. Besonders Mitglieder des Schutzbundes oder der Wehrturner zog es zu den Strömungen der radikalen Linken.

Kannst du die Unterschiede zwischen Kampfbund und Bolschewiki-Leninisten kurz darstellen?

Die Bolschewiki-Leninisten waren ein relativ lose organisierter Diskussionszirkel und gaben eine Zeitung heraus, die als offizielle Sektion der Internationalen Linksopposition den Vorteil hatte, relativ leicht auch Trotzki-Texte nachdrucken zu können. Gestärkt wurden sie durch eine Linksentwicklung im Kommunistischen Jugendverband, aus der die Revolutionären Kommunisten entstanden. Diese waren das dynamischste Element der Kräfte links der KPÖ und übernahmen nach kurzer Zeit die Bolschewiki-Leninisten. Eine aktivistische Jugendgruppe, die fünf Minuten Streiks organisiert, Zeitungen und Flugblätter verteilt, relativ offen um Unterstützung warb. Der Aktivismus führte einerseits zu einem raschen Anwachsen der Gruppe, gleichzeitig gerieten sie aber auch leichter ins Visier des Staatsschutzes. Im Zuge von Verhaftungen wurde die Gruppe dann schon bald, 1936/1937, schwer geschwächt. Einige flüchteten nach Frankreich und waren in der französischen Illegalität aktiv, bspw. Georg Scheuer, oder gingen wie Josef Hindels, eine spätere Ikone der SP-Linken, nach Skandinavien.

Der Kampfbund hingegen war extrem straff organisiert. Das war sicher auch Ergebnis davon, dass Frey als Soldatenrat und durch die Ausbildung in der sowjetischen Gegenspionage das technische Know-how für konspirative Gruppen mitbrachte. Auf der einen Seite verhindert diese geheime, straffe Organisierung, dass sich der Kampfbund explosionsartig in Richtung Sozialdemokratie ausweitete, es gab punktuelle Anknüpfungspunkte und eine letztlich recht erfolgreiche Fraktionsarbeit im Schutzbund. Aber die Revolutionären Kommunisten waren in ihrem jugendlichen Aktivismus da kurzfristig im Vorteil. Auf der anderen Seite war die extreme Vorsicht ein Garant dafür, dass ein Großteil der Organisation auch den Nazi-Faschismus unbeschadet überstand. Mit einer Ausnahme aus der Kampfbund-Tradition, das war die Gruppe Gegen den Strom, welche von der Gestapo zerschlagen wurde.

Wie muss man sich die Organisierung des Kampfbundes in den 30er Jahren vorstellen?

Es gibt eine Monatszeitung und ein sehr ausgeprägtes Schulungswesen. Die tiefgehenden und straff organisierten Schulungen waren ein Hauptprojekt im internen Leben des Kampfbundes. Der Schulungskurs von Frey hatte bereits in den 1930er Jahren mehrere hundert Seiten, in den 1950er wuchs er auf über 1.000 Seiten. In Kleingruppen wurden diese Texte gelesen, man traf sich aber bspw. auch in der Lobau zu politischen „Wandertagen“, um die Texte zu diskutieren. An solchen Schulungen in den Donauauen nahmen zeitweise über 100 Menschen teil.

Aber wir dürfen nicht vergessen: Politische Arbeit war extrem riskant und das Risiko kam nicht nur vonseiten des Staatsschutzes, sondern auch von der KPÖ. Zum Schutz vor Repression gab es in den Zellen immer nur eine Person, die andere Zellenleiter kannte. Wer bei den Schulungen mitmachte, ja sogar wer im Kampfbund organisiert war, wusste nicht, wer die Führungspersönlichkeiten des Kampfbundes waren. Es gab keinen direkten Kontakt der (einfachen) Mitglieder mit der Leitung.

Der Kampfbund war übrigens damals mit Ausnahme von Josef Frey und einigen wenigen anderen eine rein proletarische Organisation. Generell ist der österreichische Trotzkismus ein Arbeitertrotzkismus und nicht auf den Universitäten entstanden. Ich würde schätzen, dass bei der KPÖ (Opposition) und dann später im Kampfbund 95 % der Mitglieder Arbeiter_innen oder Arbeitslose waren, beim Mahnruf in Graz dürfte dies ähnlich gewesen sein. Wobei: Die tragenden Persönlichkeiten wie Frey oder Landau waren Intellektuelle.

Die sehr proletarische Basis des österreichischen Trotzkismus ist interessant. War dies eine bewusste politische Entscheidung oder eher Ergebnis der Umstände.

Ich glaube beides. Frey hatte einen starken anti-intellektuellen Reflex. Auf der anderen Seite, die gesamte KPÖ-Tradition ist stark in der Arbeitslosenbewegung verankert gewesen – deutlich weniger in intellektuellen Schichten. Es gab vereinzelte Intellektuelle oder Studierende, aber im Wesentlichen rekrutierten sich KPÖ wie Trotzkismus aus der Arbeiter_innenklasse und primär aus den Schichten der Arbeitslosen. Dies trifft bis Anfang der 70er Jahre zu. Dann begann eine Periode des Trotzkismus, die stark intellektuell und von der Student_innenbewegung geprägt war.

Der Kampfbund war keine einheitliche Organisation, es gab unterschiedliche Fraktionen, die sich über die Position zum Zweiten Weltkrieg differenzierten. Kannst du darauf kurz eingehen?

Bis 1937 war der Kampfbund straff und einheitlich organisiert. Die Fraktionierungen setzten Ende 1937 innerhalb des Kampfbundes ein und waren dann aber auch für den Nachkriegstrotzkismus relevant. Der Kampfbund geht in seinen Kriegsthesen 1936 richtig davon aus, der Zweite Weltkrieg wird in der nächsten Zeit beginnen. Dadurch ist der Bestand der Sowjetunion, des degenerierten Arbeiterstaates in Gefahr. Auch richtig eingeschätzt wurde, dass Stalin potenziell mit demokratischen Imperialisten ein Bündnis gegen Hitler schmieden könnte. Also, dass Länder wie Frankreich auf der Seite der Sowjetunion gegen Hitler stehen. Anfangs verfolgte der Kampfbund in dieser Konstellation die klassische Position des revolutionären Defätismus. In imperialistischen Staaten muss also die Arbeiterklasse für die Niederlage des eigenen Imperialismus kämpfen, dreht die Gewehre um usw.

Von dieser Position bewegte sich Frey mit seiner Theorie der „kombinierte Kriegstaktik“ Ende 37 weg. Er argumentierte: „Was machen wir in einem Land wie Frankreich, das mit der Waffe in der Hand gegen Hitler kämpft und sich in einem Bündnis mit der Sowjetunion befindet? Wir müssen, um die Sowjetunion zu schützen, auf den Defätismus in den Ländern, welche im Bündnis mit der Sowjetunion sind, verzichten. Erst, wenn die Sowjetunion stark genug ist, sich selbst zu verteidigen, können wir zu Defätismus zurückkehren.“ Ein Großteil der Kampfbund-Kader stand dieser Strategie in meinen Augen berechtigterweise ablehnend gegenüber und forderte das Festhalten am revolutionären Defätismus. Innerhalb des Kampfbundes entstanden in kurzer Zeit drei Fraktionen, die Proletarischen Internationalisten, die Proletarischen Revolutionäre und die Linksfraktion des Kampfbundes, die später als Gruppe Gegen den Strom auftrat. Alle Gruppierungen waren einig im Kampf gegen die „Kombinierte Kriegstaktik“, die Differenzen untereinander sind hier nicht so sehr von Bedeutung. Im Laufe der Zeit, von 1938 bis 1943, avancierten die Proletarischen Internationalisten zum neuen Zentrum der Vereinigung, zu der auch mehrmals Teile des Kampfbundes übergingen und in denen die Proletarischen Revolutionäre aufgingen.

Im Nationalsozialismus war es noch schwieriger, Strukturen aufrechtzuerhalten. Gab es noch funktionierende Zusammenhänge?

Die Strömung um die Revolutionären Kommunisten / Bolschewiki-Leninisten wurde in den 30er-Jahren vom austrofaschistischen Regime zerschlagen. Die Gruppe Gegen den Strom wurde im Frühjahr 1943 enttarnt, zwei Genossen wurden von den Nazis ermordet. Bis Frühjahr 1943 gibt es aber ein überraschend intensives Organisationsleben der verschiedenen Gruppierungen. Während der Nationalsozialismus wütete, Europa mit Krieg überzog und Oppositionelle im KZ oder am Schafott landeten, wurde intensive Schulungsarbeit betrieben, unter großen Gefahren regelmäßig Zeitungen produziert und Debatten abgehalten.

Natürlich wurde dies alles durch Einberufungen im Laufe des Krieges behindert. Aber wie gesagt: es gab regelmäßige Zeitungen, regelmäßig stattfindende Schulungen, Broschüren und Flugschriften. Das Aufrechterhalten des Kampfbundes und seiner Abspaltungen war letztlich das Ergebnis der strikten Beachtung der konspirativen Regeln, die es aber wiederum schwer machten, zu wachsen. Für die internationale trotzkistische Bewegung war der österreichische Trotzkismus das Paradebeispiel für eine straff organisierte Gruppe. Ernst Mandel kommentierte das einmal so: „Bei euch muss man nur mehr einen Schritt weitermachen, dann ist schon Gefängnis!“, so streng wurde auf die Einhaltung der Regeln geachtet.

Wenn das Gefühl vorhanden war, es ist Gefahr im Verzug, wurde bspw. der Kontakt der einzelnen Zellen auf Sichtkontakt beschränkt. Wenn um 15:35 ein Treffen ausgemacht war, ist man um 15:36 wieder weggegangen. Die Zeitungen wurden nur an ausgewählte Kontakte verteilt, auf Seidenpapier gedruckt und z.B. in Fahrradpumpen versteckt. Im Frühjahr 1943, als die Gruppe Gegen den Strom aufgerollt wurde, stellten sich aus Sicherheitsgründen die anderen Gruppierungen für mehr als ein Jahr „tot“, um nicht auch im Strudel der Verfolgung unterzugehen.

Letztlich gelang es, den Kaderstamm über die langen Jahre der Verfolgung aufrechtzuerhalten. Aus den Proletarischen Internationalisten ging Ende 1944 der Karl-Liebknecht-Bund hervor, der dann im Jänner 1945 die nach der Verhaftungswelle 1943 eingestellte Publikationstätigkeit mit einer ersten Nummer des „Spartakist“ wiederaufnahm. Dass trotz jahrlanger Isolierung der österreichische Trotzkismus seine politische Handlungsfähigkeit behielt und auch weitgehend richtige Positionen einnahm, davon zeugt diese Spartakist-Nummer, die sich mit Griechenland, einem Testfall für Stalins Bereitschaft, eine Revolution zu verraten, beschäftigte, aber auch die „Thesen zum 10. April 1945“. Sozialdemokratie und die „offizielle“ KP sollte bei jedem wirklichen Schritt im Interesse des Proletariats unterstützt werden, die Kriegskosten auf die Unternehmer abgewälzt werden.

Knapp nach Ende des Krieges dürfte der Karl-Liebknecht-Bund mehrere Dutzend Mitglieder umfasst haben. 1946 erfassten die Internationalen Kommunisten Österreichs, wie sich die Sektion der IV. Internationale ab 1946 nannte, dann fast 200 zellenmäßig erfasste Genoss_innen: etwas über 70 Mitglieder, über 50 Kandidat_innen, zwei Dutzend organisierte Sympathisant_innen und noch sogenannte „Propagandafälle“, das heißt enge Kontakte, die an Schulungen teilnahmen und an die die Zeitung weitergegeben wurde.

Je weiter die Rote Armee Richtung Deutschland vorrückte, desto eher kam es zu Widerstand innerhalb der österreichischen Arbeiter_innenbewegung bspw. Donawitz, Ottakring usw. Gab es hier Anknüpfungspunkte für den Trotzkismus oder war der Widerstand KP-dominiert?

Das war natürlich immer der Plan, aber die Angst, dass Stalin kurzen Prozess mit Linksabweichlern macht, war allgegenwärtig. Dadurch waren die Hürden so hoch, dass man außerhalb des engsten persönlichen Umfeldes nicht aktiv werden konnte.

Es war also ein fortgesetzter zwei-Fronten-Krieg einerseits Staat andererseits KP?

Ja, so könnte man sagen. Die Angst vor KP und Stalin war aber, und das ist wichtig dabei, kein Hirngespinst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Repräsentant der früheren Revolutionären Kommunisten, Karl Fischer, in Linz – er war bei der Arbeiterkammer beschäftigt – über die Zonengrenze nach Urfahr gelockt, von stalinistischen Agenten festgenommen und für fast 10 Jahre in den sowjetischen Gulag verschleppt. Er kam als gebrochener Mann nach Österreich zurück. Also: Die Bedrohung war real und nicht eingebildet. Sie hat die Ausbreitung des österreichischen Trotzkismus massiv verhindert.

Natürlich muss auch festgehalten werden, dass der Kampfbund wie auch der Mainstream des internationalen Trotzkismus von einer falschen theoretischen Grundannahme ausging. Nämlich, dass der Zweite Weltkrieg so enden würde wie der Erste. Der Krieg sollte die Revolution und damit das Ende des Krieges hervorbringen. Diese Revolutionen wurden in Griechenland abgewürgt und blieb in Österreich in den Vorformen stecken.

Konnte sich der Trotzkismus nach 45 trotz dieser falschen Grundannahmen konsolidieren oder verschwand er?

Wir haben schon davon gesprochen, dass die Linksopposition in Österreich nicht einheitlich organisiert war. Es blieb auch nach 1945 dabei, dass der österreichische Trotzkismus nicht einheitlich war. Während die Revolutionären Kommunisten nach 1945 kein Revival erlebten, gingen aus der Kampfbund-Tradition nach 45 zwei Strömungen hervor: der Kampfbund, der die kombinierte Kriegstaktik nach wie vor verteidigte, und der Karl-Liebknecht-Bund. Die Vereinigung dieser beiden Gruppierungen im Jahr 1946 scheiterte schon im Folgejahr. Der Kampfbund führte dann eine illegale Existenz bis Mitte der 1970er Jahre fort. Begründet wurde die Illegalität damit, dass der Zweite Weltkrieg nicht vorbei sei, was heute natürlich sehr wild klingt. Vergessen werden darf aber nicht, dass der Kalte Krieg eine Realität war, allerdings wurde er lediglich als Zwischenetappe eingeschätzt, die „früher oder später“ wieder in eine heiße Phase des Krieges umschlagen wird. Anfang der 1970er Jahre war diese Konzeption aber so nicht mehr länger haltbar. Aus dieser Öffnung des ein Vierteljahrhundert streng abgeschotteten Kampfbundes gingen jene Genoss_innen hervor, die mit der Illegalität brachen und 1976 an der Gründung der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) mitbeteiligt waren. Der Karl-Liebknecht-Bund hatte sich ja 1946 mit der Anerkennung als österreichische Sektion der IV. Internationale in Internationale Kommunisten Österreichs (IKÖ) umbenannt. Sie gab den Spartakist heraus und versuchte nach 45 Entrismusarbeit innerhalb der Sozialdemokratie.

Kannst du noch kurz auf das Konzept Entrismus eingehen?

Entrismus ist ein Konzept, das Trotzki in den 30er Jahren als kurzfristige Perspektive entwickelte, um innerhalb der Sozialdemokratie in Frankreich Arbeiter_innen, die eine Alternative suchen, für sich zu gewinnen. Das Entrismus-Konzept, das nach 1945 vom Internationalen Sekretariat (Pablo und Mandel) entwickelt wurde, ist ein anderes. Es geht davon aus, dass sowohl Sozialdemokratie als auch stalinistische Parteien relativ stabile, auf lange Zeit ausgerichtete Gruppierungen sind. Rasche politische Brüche sind nicht zu erwarten, deshalb muss eine langfristige Verankerung versucht werden. Dieser „tiefe Entrismus“ führt in Österreich ab 1948 zu einer umfassenden inner-trotzkistischen Diskussion, die die IKÖmehr oder weniger an den Rand des Abgrunds brachte. Der Kampfbund blieb davon kaum berührt, bereits in den 1930er Jahren war dieser ja ein Gegner des Entrismus gewesen, ein langfristiger, „tiefer“ Entrismus erschien ihm umso mehr als reiner Verrat.

Generell lehnte die Mehrheit des österreichischen Trotzkismus, der Kampfbund sowieso und auch die Mehrheit der IKÖ, den tiefen Entrismus ab. Nur eine Minderheit um Franz Modlik folgte den Empfehlungen des Internationalen Sekretariats und versuchte mit wenig Erfolg als IKÖ-Opposition Entrismus in der SPÖ. Erst 1954 vereinigte sich auf massiven internationalen Druck die inzwischen stark dezimierte Organisation wieder.

Waren die nicht-entristischen Strategien von Kampfbund und Co. erfolgreicher?

Das entscheidende Element war zweifellos die Stabilisierung des Nachkriegs-Kapitalismus in Österreich. Die Erwartungen, die an einen Aufschwung der revolutionären Bewegungen nach 45 geknüpft wurden, endeten allerspätestens mit der Niederschlagung des Oktoberstreiks 1950. Diese objektiven Ursachen wurden dann durch interne Differenzen verstärkt, bzw. wir könnten auch sagen: Dort, wo uns der Wind des Objektiven entgegenbläst, nehmen interne Konflikte zu. Dies passierte in der IKÖ.

Für den Kampfbund gilt das nicht. Er zog sich auf sich selbst zurück und gab eine Monatszeitung mit insgesamt 232 Nummern in der Illegalität heraus. Auch die intensive Schulungstätigkeit wurde weitergeführt, neue Mitglieder wurden überwiegend individuell rekrutiert. Beeindruckend ist, dass der Kampfbund seinen Kaderstamm über die 40er, 50er, 60er und frühen 70er erhalten konnte. Aber ein Blick nach außen war kaum mehr vorhanden.

Zusammenfassend könnte man sagen: Die trotzkistische Tradition der 30er Jahre klingt mit der Stabilisierung des Kapitalismus in den 50er Jahren aus. Viele Kader geben auf, einige wenige agieren als österreichische Sektion der IV. Internationale, versinken in der Sozialdemokratie oder führen wie die Kampfbündler_innen ein abgeschottetes Dasein in der Illegalität. Die neu entstehenden trotzkistischen Gruppen in Österreich ab den 70er Jahren entstehen ohne direkten Bezugspunkt zu dieser Tradition an den Universitäten oder anknüpfend an internationale Strömungen. Das gilt auch für die Gruppe Revolutionäre Marxisten, die spätere SOAL, die weniger auf die spärlichen personellen Links zum bisherigen österreichischen Trotzkismus zurückgriff, sondern eher auf Diskussionen in der internationalen studentischen Linken fokussiert Und dies gilt natürlich für die anderen Strömungen noch viel mehr (Tony Cliff, Militant-Tendency usw.) Der heutige Arbeiter*innenstandpunkt knüpfte in personeller Hinsicht an den Kampfbund an, ist jedoch keine direkte Weiterführung der Kampfbund-Tradition, weil mit der Gründung der IKL schon mit vielen theoretischen Eckpunkten der Kampfbund-Tradition gebrochen wurde.

Was ist vom österreichischen Trotzkismus geblieben? Eines ist klar: Die gesellschaftliche Lage unterscheidet sich heute in vielem von der Ersten Republik, erst recht von der austro- und nazifaschistischen Diktatur. Aber auch die Periode der alliierten Besatzung stellte andere Anforderungen, als sie heute prägend sind. Aber anderes kommt uns wieder bekannt vor: revolutionäre Kräfte als Minderheit der Arbeiter_innenbewegung, ein Spagat zwischen opportunistischer Anpassung und sektiererischer Abschottung, wie gestalten wir das Verhältnis zu den „schweren Bataillonen des Proletariats“? Aus den Erfahrungen auch des österreichischen Trotzkismus der letzten Jahrzehnte – den positiven und den negativen – den kleinen Erfolgen und den bitteren Niederlagen, können wir immens viel lernen. Aber das verlangt auch, uns mit dem revolutionären Erbe vorangegangener Generationen auseinanderzusetzen. Und vor allem einmal nötigt uns die Geschichte des österreichischen Trotzkismus tiefen Respekt ab: Respekt vor den revolutionären Kämpfer_innen, die trotz Not und Verfolgung an ihrem Ziel der Befreiung der Menschheit festhielten. Es ist das Ziel, dem auch wir uns verpflichtet fühlen und da bietet die Tradition des österreichischen Trotzkismus sicher einen Bezugspunkt, der es Wert ist, bewahrt und hochgehalten zu werden.

Trotzkistisches Archiv Österreichs

Das Interview führte David Reisinger