Interviews #Karlsplatz: Die Wut der Jugend ist gerechtfertigt

In der Nacht von 4. auf 5. Juni wurde Wien Teil der globalen Mini-Riots gegen die Polizei. Stuttgart, Paris, Zürich, Brüssel, Bern, Paris, Amsterdam, Rotterdam, Brüssel – das sind nur einige Städte in denen sich in diesem Sommer Jugendliche gegen die Polizei wehrten. Der Ablauf dieser Mini-Riots ähnelt sich. Feiernde Jugendliche werden so lange von der Polizei schikaniert, bis sie zurückschlagen. Linkswende jetzt führte Interviews mit Menschen, die am Karlsplatz waren. Auf Wunsch wurden einige Namen geändert.
10. Juni 2021 |

Alan, 17 Jahre, verlor im Zuge der Coronakrise seine Lehrstelle, weil das Unternehmen pleite ging: „Ich war die letzten Wochenenden immer am Donaukanal fort. Irgendwas muss man ja tun. Ich bin jetzt eh ein halbes Jahr nur vor der Playstation gesessen. Lehrstelle hab ich ja keine mehr und eine neue find ich aktuell eh nicht. Aber ja, wir hatten schon am Donaukanal immer wieder Stress mit der Polizei. Halt immer wieder Kontrollen auf Drogen, und Diskussionen: Was macht ihr hier? Geht nach Hause! Wo habt ihr euer Gras versteckt? Und diese ganzen Sachen. Dabei kiff ich nicht mal. Und ja, eigentlich wollt ich das Wochenende entspannt sein und darum am Karlsplatz abhängen, aber dann waren die schon wieder da. Ein Schritt aus der U-Bahn draußen und direkt Kontrolle. Man wird da irgendwann echt aggressiv. Aber wir haben dann immer aufeinander aufgepasst: ja jetzt keinen Stress anfangen. Das ist es nicht wert. Ja also dann haben wir uns dann so Richtung Stiege vor der Karlskirche gesetzt. Halt gechillt. Bissi was getrunken, Musik gehört. Und keine Ahnung was dann genau passiert ist, aber plötzlich gabs eine laute Durchsage die niemand verstanden hat. Und dann stürmen so 40-50 Polizisten mit Schilden und Schlagstöcken auf einen zu. Haben ausgesehen wie Stormtrooper in Star Wars. Ja und da wurden dann Leute zu Boden geschubst, auch ein Bekannter von mir der nur rumgestanden ist. Einfach mit dem Schild aus dem Weg geräumt. Und ja, was haben die erwartet? Natürlich haben sich dann Leute so gut es geht gewehrt und paar Flaschen auf die geworfen. Aber ja, so schlimm kann das für die eh nicht gewesen sein. Also ich mein, ja ist schon unangenehm. Aber die tragen Helme, Schutzausrüstung, Schilder, wie sich einer von denen verletzt haben soll ist mir schleierhaft. Auf jeden Fall: die sind schuld, dass das eskaliert ist. Wir wollten nur in Ruhe bisschen draußen rumsitzen. Das können sie uns gar nicht verbieten. Wenn nicht am Karlsplatz, treffen wir uns halt wo anders.“ 

Grund für Eskalation

Der britische Journalist Paul Mason stellt in seinem Artikel „Wie Corona die Generation Z radikalisiert“ fest: „Der Corona-Schock ist in vielerlei Hinsicht größer als der Schock von 2008. Er hat einer ganzen Generation verdeutlicht, dass niemand zur Hilfe eilen wird, wenn es ernst wird. Und dass, dank des demografischen Wandels, die Politik gegen sie arbeitet. Die Frage ist nun: Wie reagieren die Jungen? Sie werden überall feiern und an manchen Orten randalieren. Und sie werden nach politischen Alternativen suchen.“

Zehntausende Jugendliche verloren im Zuge der Coronapandemie ihre Jobs und Lehrstellen. Währenddessen erhielten Konzerne Förderungen in Milliardenhöhe. Soziale Isolation, monatelange Trennung von ihren Freundinnen und die Zunahme von psychischen Erkrankungen sind nur einige der Probleme, denen junge Menschen in der Pandemie ausgesetzt waren. Konsequent hielt die Politik den Großteil der Wirtschaft offen, während das Privatleben durch die Polizei überwacht wurde. Drei der fünf interviewten Personen erhielten in Phasen der Ausgangsbeschränkungen Strafen durch die Polizei. Vermutlich werden die meisten von den Leuten, die am Karlsplatz herumsaßen, schon ähnliche Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. 

Sich wieder mit Freundinnen und Freunden abends treffen zu dürfen, nicht schon wieder ein Wochenende mit Netflix und Videospielen zu verbringen, ist einer der wenigen Fluchtpunkte, welche nach Stress in der Schule, Ärger zu Hause usw. noch bleiben. Tobias, 15: „Wir waren in der Stadt unterwegs. Wieder bisschen rauskommen, nachdem wir solange zu Hause gesessen sind. Wollten alle mal wieder raus und was erleben. Ich versteh schon warum das notwendig war, das sich zu Hause Einschließen und, dass wir aufpassen sollten uns nicht anzustecken. Hab selbst Angst gehabt, dass sich mein Opa infiziert aber ja, ist alles gut gegangen. Und irgendwann muss man ja mal wieder raus und Menschen sehen. Ich kenn fast niemanden aus meiner Schule, also nur übers Internet. Und dann haben wir uns ausgemacht, dass wir uns draußen treffen. Und sind länger am Karlsplatz gesessen, also zum Glück eh relativ weit unten. Nicht direkt da, wo die Polizei reingestürmt ist. Aber ich weiß eigentlich nicht warum die plötzlich da voll reingegangen sind mit Schildern und Schlagstöcken. Das versteh ich echt nicht. Ja wir haben nicht alle Maske getragen, aber da muss man doch nicht reinprügeln. Hat sich angefühlt als wären wir in den USA oder so. Ja doch es gab ja letztes Jahr diese großen Proteste gegen Rassismus in der Polizei. Also ich hätt nicht gedacht, dass die Polizei in Österreich so verrückt drauf ist.“ 

Ähnlich beschreibt auch Pavle, 18 Jahre, die Situation: „ Ja also die letzten Wochen über war die Polizei ja immer fleißig in der Stadt unterwegs und hat kontrolliert. Ich kann ja vielleicht noch verstehen, dass sie da sind um Präsenz oder so zu zeigen. Aber dann müssten sie nicht dauernd Leute kontrollieren, die nichts gemacht haben. Also voll, ich mein Ja, wenn viele Leute viel trinken, dann kommts immer wieder zu leichten Schlägereien. Also ich hab sowas in den letzten Wochen schon öfter erlebt als in Clubs vor Corona. Aber das hat sich halt auch immer ganz gut gelöst, ohne dass jemand ernsthaft verletzt worden wäre. Also, es haben sich dann halt immer andere Leute dazwischen gestellt. Aber bei sowas da würd ichs noch verstehen, wenn die Polizei kommt und für Ruhe sorgt. Aber das können sie ja gar nicht immer machen und darum kontrollierens dauernd. Ja und auch dieses Wochenende am Karlsplatz wars schon auch wieder ähnlich. Also ich glaub, bevor sie losgestürmt sind, haben sie schon am Rand ab und zu Leute kontrolliert. Aber ja, eigentlich nicht anders als sonst, die Stimmung war echt entspannt eigentlich. Niemand hat gestresst, alle sind rumgesessen und haben halt gechillt. Und dann plötzlich laufen Leute weg und andere wehren sich gegen die Polizei. Ja so wars, wir haben uns gewehrt, und dann ist es immer mehr losgegangen. Pfefferspray, klirrende Flaschen, volles Chaos. Also wenn du mich fragst, die wollten da eine Eskalation haben. Weiß nicht warum, aber das ist nicht irgendwie außer Kontrolle geraten. Die hatten ganz klar den Auftrag hier zu eskalieren. Jeder hätte ihnen sagen können, wenn ihr da reinstürmt, dann gibts eine Eskalation.“ 

Jugendliche als Feindbild 

Im ersten Moment wirkt das staatliche Vorgehen gegen die feiernden Jugendlichen absurd. Welchen Grund hatte die Polizei die Feier anzugreifen? 

Durch Protestbewegungen wie Black Lives Matter, die Aktionen gegen Abschiebungen von Kindern, wie auch die Klimaproteste, haben sich Jugendliche in den Augen der Polizei den Ruf als Linke erarbeitet. Gerade in einem Land wie Österreich, in dem die Polizei mit rechtsextremen FPÖ-Wählern und Burschenschaftern durchsetzt ist, gelten diese linken Protestbewegungen als Feindbild. 

Wir hatten schon am Donaukanal immer wieder Stress mit der Polizei. Halt immer wieder Kontrollen auf Drogen, und Diskussionen: Was macht ihr hier? Geht nach Hause! Wo habt ihr euer Gras versteckt? Und diese ganzen Sachen.

Migrantische Jugendliche sind für die Polizei ohnehin Hassobjekt. Alan erklärte: „Ich hab früher im 10. gewohnt. Also ganz Nähe Reumannplatz. Und da wusst ich immer, spät abends auf der Straße angetroffen zu werden, halt an Orten wo wir gechillt haben, Fußballkäfig, Mc Donalds und so, wenn da die Polizei vorbeikommt, dann heißts Taschen ausleeren und an der Wand stehen.“ 

Die Polizei ist eine Institution die im Auftrag der herrschenden Klasse dafür zuständig ist, den öffentlichen Raum zu überwachen. Politik fand und findet für die Arbeiter_innenklasse primär auf der Straße mit Protesten, Versammlungen und Demonstrationen statt. Die Kontrolle der Polizei über die Straßen soll den Unzufriedenen die Macht des Staates demonstrieren. Die Polizeipräsenz auf den Straßen soll uns daran gewöhnen unsinnigen Anordnungen zu folgen und nicht solidarisch mit unseren Mitmenschen zu sein. Wer traut sich schon, wenn er alleine ist und eine rassistische Polizeikontrolle beobachtet, sich einzumischen? Öffentliche Versammlungen von jungen Menschen um gemeinsam Zeit zu verbringen, sind der Polizei aus all diesen Gründen ein Dorn im Auge. Die polizeiliche Rechtfertigung für die Auflösung, Menschen seien auf Statuen geklettert, ist lächerlich.  Noch absurder ist die Behauptung die Polizei wollte Sachbeschädigungen vorbeugend verhindern. Mit der Rechtfertigung es könnte etwas passieren ist die Definition von staatlicher Willkür. 

Wie auch immer die offizielle Rechtfertigung lauten mag, wir sollten an die treffende Definition des marxistischen Historikers Sidney Harring denken: „Die juristische Definition von ‚Störung der öffentlichen Ordnung‘ kommt der historischen Beschreibung der Freizeitbeschäftigungen von Werktätigen gefährlich nahe.“ 

Wir sind alle linksradikal 

Die Polizei setzt auf das Lügenmärchen, dass die Eskalation von Linksradikalen geplant und gezielt herbeigeführt wurde. Völliger Unsinn, aber wenn der Staat meint, dieser Widerstand gegen Polizeiwillkür war links motiviert, dann geben wir ihm recht. Es ist richtig und legitim sich einer Institution in den Weg zu stellen, die tagtäglich Abschiebungen durchführt, Menschen rassistisch drangsaliert und auf Demonstrationen mit Pfefferspray und Schlagstöcken einprügelt. 

Milo, 24: „ Das lächerliche ist ja wie die Polizei versucht das ganze darzustellen. Alle reden immer über Trump und Fake News und jetzt lügen sie selber. Die wurden nicht koordiniert angegriffen, niemand hat sich verabredet um den Bullen eins auszuwischen. Das ist einfach Unsinn. Ja es sind Flaschen geflogen und auch ein oder zwei Böller. Aber was haben sie erwartet. Menschen sind erschöpft und wollen jetzt auch einmal wieder Spaß haben. Wir haben keine Häuser am Land, wo wir draußen sein können und feiern. Darum treffen wir uns am Karlsplatz oder am Donaukanal. Und es ist doch absurd, das zu verbieten. Die Flaschen waren einfach eine Antwort aufs Reinstürmen. Da sieht man, da werden Freunde von einem attackiert, und dann wehrt man sich halt. So ist das Ganze entstanden, dass hatte zuerst nichts mit Politik zu tun. Einfach mit Zusammenhalt und Freundschaft, man wehrt sich. Und jetzt sind wir alle Linksradikale. Also nicht, dass ich ein großes Problem damit hätte. Mein Opa war Scharfschütze bei der Roten Armee, vielleicht genügt das schon, um als Linksradikaler durchzugehn. Was ich mein, man muss die Wahrheit sagen. Da ist einfach eine gemütliche Feier von der Polizei eskaliert worden. Ich glaube viele werden nach diesen Ereignissen der Polizei noch weniger über den Weg trauen.“

Polizei abschaffen 

Im Zuge der Black Lives Matter Revolte wurde weltweit der Ruf nach der Abschaffung der Polizei (#AbolishThePolice) erhoben. Die jüngsten Ereignisse am Karlsplatz zeigen, dass diese Forderung zentraler Bestandteil linker Politik sein muss. Die Polizei ist eine in sich autoritäre, rassistische Institution ohne demokratische Legitimation. Als solche kann sie nicht reformiert werden, sondern gehört abgeschafft.