Bahnhof. Kein Zutritt für Obdachlose!

Ein Bericht von Aktivist Michael
22. Juni 2021 |

Vielleicht hat die ein oder andere oder der eine oder andere es gewagt zu Zeiten der Ausgangssperren den Wiener Westbahnhof zu besuchen und so wie ich festgestellt, dass dieser nach 20 Uhr wie leergefegt war. Grund dafür ist die Verdrängung von Obdachlosen.

Als ich in der kälteren Zeit spät abends am Westbahnhof war, beobachtete ich das gewohnte vielleicht etwas reduzierte Treiben bei den Warte- und Sitzgelegenheiten. Auch nicht ungewöhnlich war, dass das Sicherheitspersonal der ÖBB mit einem Besucher diskutierte. Dieser wurde nach kurzer Zeit aus der Halle geschickt. Danach forderte das Personal weitere Personen auf, den Bereich zu verlassen. Auffällig war, dass nur diejenigen, die äußerlich einen (für manche) etwas unordentlichen Anschein machten, den Bahnhof verlassen mussten.

Als dann die „Service and Security“ der ÖBB auf mich zukam – ich trug einen recht heruntergekommenen Mantel – und mich baten, ich möge den Bahnhof verlassen, fragte ich nach dem Grund. Die Antwort war, dass Ausgangssperre herrsche und alle nach Hause gehen müssen. Draußen habe ich dann eine kleine Gruppe angesprochen, die rausgeworfen wurde. Sie erzählten mir, dass das seit Tagen so geht. Alle Obdachlosen werden vor die Tür gesetzt. Einer, Gerhard hieß er, hat mir sogar erzählt, dass er eigentlich auf seinen Zug gewartet hat und das Sicherheitspersonal hätte es ihm nicht geglaubt, weil er halt auch kein feinsäuberliches und rausgeputztes Äußeres aufwies. Als er dann protestierte wurden die Sicherheitsleute handgreiflich.

Es müssen mehr und leichter zugängliche Wohnmöglichkeiten für diese Menschen geschaffen werden. Dass unzählige Wohnungen leer stehen, damit Vermögende ihr Kapital im sogenannten Beton-Gold vermehren können, darf ein Staat, darf eine Regierung nicht zulassen!

Gerade für Menschen die keinen oder sehr erschwerten Zugang zu den digitalen Angeboten haben, lässt sich das menschliche Bedürfnis nach Gesellschaft – und sei es nur das auf Distanz geführte kleine Gespräch– nicht abstellen. Für viele von ihnen ist die (äußerst kritisch zu betrachtende) digitalisierte Unterhaltungsform neben der Zugangshürden kein Ersatz. Das ist er wohl für die wenigsten von uns, aber wir haben immer noch unsere warmen Wohnungen und müssen nicht in überfüllten Schlafstätten nächtigen, die aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stellenweise geschlossen wurden.

Ich habe das dann in den folgenden Tagen beobachtet und nach einigen Tagen war der Bahnhof ausgestorben. Mit der Zeit wurde ich immer wütender. Da werden Personen, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft stehen, aus Gründen des Infektionsschutzes fortgejagt. Schon klar, meine Begründung war eine eher luxuriöse – ich wollte die zehn Minuten die ich zu meiner Wohnung brauche nicht abwarten; aber was ist mit den Personen, die auf der Straße leben? Dass Kontakte reduziert werden sollen und Schutzkonzepte entworfen werden müssen, um der Pandemie zu begegnen ist klar, aber muss das so weit gehen, dass Menschen aus öffentlichen Einrichtungen gejagt werden? Ich finde nicht. Sie an Abstand und Maske zu erinnern, muss reichen.

Es müssen mehr und leichter zugängliche Wohnmöglichkeiten für diese Menschen geschaffen werden. Dass unzählige Wohnungen leer stehen, damit Vermögende ihr Kapital im sogenannten Beton-Gold vermehren können, darf ein Staat, darf eine Regierung nicht zulassen – gerade eine Regierung nämlich, die nicht verpasst ständig zu wiederholen, dass die Schwächsten unserer Gesellschaft geschützt werden müssen.
Gesetze sind da und dort sinnvoll, ihre Einhaltung muss aber immer von menschlichen und menschenwürdigen Faktoren bestimmt sein. In Fällen wo Menschen aus öffentlichen Gebäuden vertrieben werden, darf ein Gesetz nicht einfach schwarz-weiß angewandt werden. Wobei vor allem die Entwickler dieser Gesetze und weniger die Ausführenden zu verurteilen wären, denn Zweitere müssen um ihre Arbeit fürchten, wenn sie sich den Anweisungen verweigern. Zur Hölle mit diesem System…

Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider