Kaouther Adimi: Dezemberkids
Eine kleine Zeitungsnotiz war es, die Kaouther Adimi auf die Geschichte der Dezemberkids brachte: „Schlägerei zwischen Jugendlichen und Offizieren“. In der Cité du 11-Décembre, einem Stadtteil von Dely Brahim, einem Vorort von Algier (wo die Autorin selbst aufwuchs), hatten Militärs ein Brachfläche gekauft, um dort ihre Villen zu bauen. Die Fläche gehörte aber längst schon anderen: den Jugendlichen, die sie als Bolzplatz nutzten. An die Spitze der Revolte setzt Adimi die elfjährige Ines und ihre Freunde Dschamil und Mahdi. Die etwas Älteren, die den Offizieren als Erste entgegentraten, werden zunächst von der Polizei mitgenommen und mit dem Damokles-Schwert der versauten Zukunft zum Schweigen gebracht. „Ist dir klar, dass das für dich das Ende ist? Du wirst im Kittchen landen, weißt du das?“ muss Jussef, einer der Jugendlichen, sich anhören. „Aber wir wollten doch nur unseren Bolzplatz behalten. […] Wir haben doch sonst nichts! Und die, die haben ganz Algerien, können sie uns denn nicht wenigstens dieses Stück Land lassen?“
Geschichte der Gewalt
Die Kinder besetzen dieses Stück Land, auf das sie ihrer Meinung nach einfach mehr Recht haben als die Offiziere – aus der einfachen Logik heraus, dass sie die Fläche seit Jahren nutzen, während die Offiziere nur auf dem Papier Anspruch darauf erheben. Im Kleinen schildert Adimi einen Kampf, der Algerien seit Jahrzehnten prägt. Der Bolzplatz wird zur Arena, in deren Mitte die Unabhängigkeitskämpfer auf den Kolonialismus treffen, die Arbeiter auf die Offiziere, die Kinder auf die sich duckenden Eltern. Die Geschichte ist in die Figuren eingeschrieben: Ines’ Großmutter Adila ist eine bekannte Mudschahida, eine Widerstandkämpferin. Die Erinnerung an das „schwarze Jahrzehnt“, während dem Tausende bei islamistischen Anschlägen oder den Gegenschlägen der Regierung ums Leben kamen, ist in der Abwesenheit oder Verstümmelung der Väter konserviert. Ein Großteil der sehr jungen Bevölkerung Algeriens hat die Unabhängigkeit nicht miterlebt. Das Argument der Regierenden, dass die Menschen in ihrer Schuld stehen, greift innerhalb der nachkommenden Generationen nicht mehr. Adimis Hauptpersonen stehen einem verknöcherten Regime korrupter Militärs gegenüber. Ihre Familiengeschichten sind geprägt von Gewalt. Auch wenn die Kinder den „friedlichen“ Weg der Besetzung wählen, ist sie präsent. Während die Offiziere ihre Waffen ziehen, suchen die Kinder sich Steine.
Hoffnung in die junge Generation
In einem Nachwort liefert die Übersetzerin Regina Leil-Sagawe einen Überblick über die komplexe Geschichte Algeriens und ordnet die Dezemberkids in die gegenwärtige Situation ein. Seit Anfang 2019 erhebt sich in Algerien die Hirak-Bewegung gegen die Regierung. Die Zäsur der Corona-Pandemie nutzte die Regierung, um bekannte Gesichter der Bewegung zu verhaften.
Großteil der sehr jungen Bevölkerung Algeriens hat die Unabhängigkeit nicht miterlebt. Das Argument der Regierenden, dass die Menschen in ihrer Schuld stehen, greift innerhalb der nachkommenden Generationen nicht mehr.
Es ist eine hoffnungsvolle Geschichte, die Adimi erzählt. Die Besetzung wird zum Entwurf des friedlichen Zusammenlebens: Konzerte werden improvisiert, Picknicks veranstaltet. Die Kinder schlafen in ihren Zelten, „den Kopf voller Träume, im Herzen eine große Hoffnung“ – und spielen Fußball. „Aus diesem Frühling wird nie eine Anekdote, über die wir später lachen werden. […] Unsere Füsse versinken im Schlamm. Wir rühren uns nicht von hier weg.
Es ist eine hoffnungsvolle Geschichte, die Adimi erzählt. Die Besetzung wird zum Entwurf des friedlichen Zusammenlebens: Konzerte werden improvisiert, Picknicks veranstaltet. Die Kinder schlafen in ihren Zelten, „den Kopf voller Träume, im Herzen eine große Hoffnung“ – und spielen Fußball. „Aus diesem Frühling wird nie eine Anekdote, über die wir später lachen werden. […] Unsere Füsse versinken im Schlamm. Wir rühren uns nicht von hier weg.“
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