Klimaforschung: Wissenschaftliche Debatten machen das politische Versagen deutlich

Im Oktober 2018 wurde vom Weltklimarat, dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), ein Sonderbericht zur Erwärmung von 1,5°C veröffentlicht. Dieser zeigt: 1,5°C könnten schon zu viel sein, die Erwärmung muss so stark wie möglich begrenzt werden. Die gegenwärtige Klimapolitik steuert jedoch auf eine Erwärmung von über 3°C zu. Klimaskeptiker, Wirtschaft und Politik verfälschen das Bild der wissenschaftlichen Debatte, wie so oft, um die Seriosität des IPCC oder der Klimaforschung insgesamt in Frage zu stellen.
5. November 2018 |

Klimawandelleugner haben es sehr einfach. Willkürliche Behauptungen werden auf irgendeine Internetseite gepostet, von dort ohne Überprüfung verbreitet und schließlich von Politiker_innen aufgeschnappt. So behauptete FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der offenbar auf solchen dubiosen, meist rechtsextremen Internetseiten verkehrt, dass es in Grönland Weinanbau gegeben habe. Auch, wenn manche Behauptungen von Klimawandelleugnern für Laien schwer zu widerlegen sind, hält keine auch nur ansatzweise einer fachlichen Prüfung stand.

Bevor es zu diesen Überprüfungen kommt, sind die Gerüchte schon in die Welt gestreut. Vor allem durch Öl-Konzerne finanzierte Think Tanks wie das Competitive Enterprise Institute (CEI) nutzen in den 1990er-Jahren diese Strategie, um allerlei Unwahrheiten zu verbreiten, die bis heute kursieren und immer wieder von Klimawandelleugnern aufgewärmt werden. Die Wissenschaft hat es deutlich schwieriger.

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 vom Umweltprogramm der UNO und der Weltorganisation für Meteorologie ins Leben gerufen und hat die Aufgabe, den Forschungsstand zum Klimawandel zusammenzufassen. Er betreibt keine eigene Forschung. Die Berichte des IPCC dienen jedoch auch dazu, Wissenslücken und zentrale Fragestellungen aufzuzeigen, um zukünftige Forschung in diese Richtung zu motivieren. Für die Berichte werden tausende Wissenschafter_innen weltweit aus verschiedenen Disziplinen beauftragt, diese bekommen dafür keine zusätzliche Bezahlung.

Seit April 2016 wurden für den aktuellen IPCC-Sonderbericht von 91 Wissenschafter_innen aus 40 verschiedenen Staaten über 6.000 Studien zusammengefasst.

Veröffentlichungsprozess

Der zweijährigen Zusammenfassungsarbeit des IPCCs geht eine Unmenge an Arbeit tausender Forschungsgruppen voraus: Messungen, Modellierungen, Experimente, Recherche und Überprüfungen. Jede wissenschaftliche Studie muss, um in einem Fachjournal veröffentlicht zu werden, von einem oder mehreren Gutachter_innen aus demselben Fachgebiet geprüft werden. Man nennt das „Peer-Review“. In der Regel bleiben diese Gutachter_innen anonym. Werden Mängel festgestellt, müssen diese überarbeitet werden. Bei größeren Mängeln wird eine Studie abgewiesen. Bis zur Veröffentlichung von Artikeln vergehen mehrere Monate, zum Teil sogar Jahre.

Dieser aufwändige Veröffentlichungsprozess ist für die Wissenschaft notwendig, um eine möglichst verlässliche Qualität der Artikel zu garantieren, schließlich lässt man die Ergebnisse anderer Studien auch in die eigene Arbeit einfließen. Die Berichte des IPCCs werden dann nochmals einem dreistufigen Begutachtungs-Verfahren unterzogen, bevor sie letztlich veröffentlicht werden.

Die Häufung von Extremwetterlagen wurde von der Klimaforschung schon lange vorhergesagt. Die Taifune Nabi und Talim. ©Foto: National Ocianic and Atmospheric Administration

 

Verschiedene Disziplinen

Die zentralen Aussagen des aktuellen IPCC-Sonderberichts sind wissenschaftlicher Konsens. Die Menschheit hat die Erde um 1°C erwärmt, die Folgen der Erwärmung sind bereits deutlich zu spüren. Vor allem Wetterextreme stellen eine akute Gefahr dar. Jede weitere Erwärmung führt zu katastrophaleren Auswirkungen. Daher müssen die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich gedrosselt und so früh wie möglich muss vollständig aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe ausgestiegen werden.

Verschiedene Disziplinen vervollständigen unser Verständnis vom Klimawandel. Glaziolog_innen (Gletscherforscher_innen) liefern immer mehr Erkenntnisse über die Auswirkungen des Klimawandels auf Gletscher, insbesondere auf die Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Satelliten steuern immer genauere Messungen über Eis-Dicke und –Bewegungen bei.

Meteorolog_innen können immer besser nachvollziehen, warum es zu mehr Wetterextremen kommt. Biolog_innen sammeln Erkenntnisse über die Auswirkungen der Erwärmung auf Ökosysteme. Für Sozialwissenschaftler_innen werden die bestehenden und möglichen zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen immer deutlicher. Die Liste ließe sich sehr lange fortsetzen.

Fakt ist, dass sich das Bild vom Klimawandel immer weiter vervollständigt und dabei die Notwendigkeit der Begrenzung der Erwärmung immer deutlicher wird. Die Forschung ist jedoch noch lange nicht am Ende und es werden lebendige Debatten geführt. Einige der zentralsten wurden im Sonderbericht zum 1,5°C-Ziel ausgeführt.

Ist 1,5°C-Ziel noch einhaltbar?

Der Sonderbericht sagt, dass das 1,5°C-Ziel noch zu erreichen sei. Die Machbarkeit hängt von mehreren Aspekten ab, die im Bericht einzeln ausgeführt werden: die geophysikalische Machbarkeit, die Umweltverträglichkeit, die technologische Machbarkeit, die soziale Verträglichkeit, die ökonomische und die institutionelle Umsetzbarkeit.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das 1,5°C-Ziel ohne weiteres erreichbar. Auch technologisch stellt es keine besonders große Herausforderung dar. Einigkeit herrscht auch dahingehend, dass es massive ökonomische und soziale Veränderungen braucht, die für manche mehr und für andere weniger realistisch sind. Anders gesagt: Bleibt die politische Lage wie bisher, ist das Ziel keinesfalls zu erreichen, käme es jedoch zu entsprechenden Umbrüchen, stünde dem Ziel nichts im Wege.

Das verbleibende CO2-Budget

Da CO2 sehr lange in der Atmosphäre verbleibt, ist die Summe des insgesamt ausgestoßenen CO2 entscheidend dafür, wie stark sich die Erde erwärmt. Für jedes Grad Erwärmung ergibt sich eine Menge CO2. Wird dieses Budget verbraucht, erwärmt sich die Erde um die entsprechende Temperatur. Je nachdem, welche Messungen verwendet werden, ergeben sich unterschiedliche Budget-Werte. Der Bericht nennt zwei Werte, mit denen das 1,5°C-Ziel mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zu erreichen wäre: 580 Gigatonnen und 770 Gigatonnen (der weltweite CO2-Ausstoß lag 2017 bei etwa 42 Gigatonnen).

Die Unsicherheit wird unter anderem noch dadurch vergrößert, dass nicht genau bekannt ist, welche Menge an Treibhausgasen aus den auftauenden Permafrostböden freigesetzt wird. Je mehr Permafrostböden auftauen, desto geringer wird das CO2-Budget (das wir noch verpulvern dürfen!). So oder so: Sicherer ist es, sich an einem kleineren Budget zu orientieren.

CO2-Entzug aus Atmosphäre

Einer der meist debattierten Punkte des Sonderberichtes stellt die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre dar. Alle im Bericht dargestellten Emissions-Pfade, welche die Möglichkeiten zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels darstellen, beinhalten CO2-Entnahme. In wie weit zur Einhaltung des Ziels eine CO2-Entnahme nötig ist, hängt von der Menge an Emissionen ab. Je weniger emittiert wurde, desto weniger muss entzogen werden.

Wie genau das am besten zu machen wäre, ist noch Gegenstand der Forschung, hängt aber stark von der Einschätzung der politischen Umsetzbarkeit ab. Als sicherste Methode gilt die vermehrte Produktion von Biomasse und deren Einlagerung an Land, beispielsweise durch Aufforstung, Wiedervernässung von Mooren und Produktion von Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS).

Politisches Problem bleibt

Der IPCC-Sonderbericht und die wissenschaftlichen Debatten bezeugen nicht nur eine bemerkenswerte Seriosität, sie zeigen auch, dass wir das Know-How haben, um das 1,5°C-Ziel zu schaffen. Angesichts dessen bleibt nur festzustellen, dass es eindeutig ein politisches Problem ist, ob das 1,5°C-Ziel erreicht wird oder nicht.

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Der deutsche Klimaforscher Mojib Latif sagte im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR): „Aus naturwissenschaftlicher Sicht und technischer Sicht sind 1,5°C zu schaffen. Es hapert am politischen Willen.“ Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) wurde er noch deutlicher: „Ich hasse es selbst, es so deutlich zu sagen, aber es gibt im Moment keinen Klimaschutz. Alle reden darüber, aber wir haben totalen Stillstand in Deutschland.“ Man stelle sich vor, wir „einfachen“ Menschen würden den politisch und wirtschaftlich Mächtigen das Zepter aus der Hand reißen und die Welt selbst gestalten. Wir wüssten, was zu tun wäre.