Kopftuchverbots-Debatte: Für das Selbstbestimmungsrecht der Frau!
Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte erneut ein Kopftuchverbot, dieses Mal im öffentlichen Dienst. Dem üblichen Ritual folgend stützte er sich auf den „Expertenrat für Integration“ seines Beraters Heinz Faßmann.
Dass es seit der Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes 2004 explizit verboten ist, Arbeitnehmer_innen religiös zu diskriminieren, ist der ÖVP dabei egal. Im Gesetz heißt es: „Auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung darf im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.“
Selbstbestimmungsrecht der Frau
Die Frauensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) Carla-Amina Baghajati ist empört: „Gerade der Staat als Arbeitgeber soll sich an die Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung halten.“ Die Initiative Muslime gegen Antisemitismus und Juden gegen Islamfeindlichkeit nennen den Vorschlag „diskriminierend und religionsfeindlich“. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch protestiert gegen die „religiöse Ungleichbehandlung“.
Auch die Plattform 20000 Frauen stellt sich gegen den unerhörten Angriff. Bärbel Danneberg schrieb: „Die Kopftuch-Debatte, mit der Feindbilder produziert werden, erinnert fatal an unsere Vergangenheit. Eine ‚historisch gewachsene Kultur‘ schloss das ‚Andere‘, das ‚Fremde‘ schon einmal aus dem Wertekatalog aus. Der rassistische Völkermord war die Folge. Deshalb solidarisieren wir uns mit den muslimischen Frauen, die auch in ihrem Beruf ein Kopftuch tragen wollen und verurteilen die billige Stimmenfängerei im rechten Lager durch ‚Integrations‘minister Kurz auf Kosten des Selbstbestimmungsrechts von Frauen.“
Als früher Frauen mit Kopftuch nur Putzfrauen waren, störte das ebenso wenig wie unterbezahlte Gastarbeiter_innen in den Fabriken. Aber als emanzipierte, selbstbewusste Kolleg_innen in allen anderen Branchen werden Muslim_innen, egal ob hier geboren oder nicht, bekämpft. Rechte Frauenverachter instrumentalisieren Frauenrechte als Waffe, um Frauen in ihren Rechten zu beschneiden. Das Kopftuch wird von Unterdrückern als Unterdrückungsinstrument dargestellt, um muslimische Frauen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen.
Rassistisches Klima…
Musliminnen sind in den vergangenen Jahren immer häufiger Opfer rassistischer Anfeindungen und Übergriffe gewesen. Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) beschreibt, wieso Musliminnen europaweit „als erste den Preis für Islamfeindlichkeit“ zahlen. In ihrem Bericht „Die Auswirkungen von Islamophobie auf muslimische Frauen“ wird beschrieben, wie Vorurteile und stereotype Darstellungen von muslimischen Frauen in den Medien und öffentlichen Diskursen das Klima schaffen für diskriminierende Praktiken, Gewalt und strukturelle Ungleichbehandlungen.
Musliminnen sind, so ENAR, die ungeschützteste Personengruppe. Sowohl bei der Diskriminierung im Alltag als auch bei Hassverbrechen ist das Kopftuch der Auslöser, da es als sichtbares Zeichen der Identität als Muslimin und Frau wahrgenommen wird. Die Jagd nach Sensationen und Wähler_innen – bei der Islam mit Terror und Demokratiefeindlichkeit gleichgesetzt wird – nimmt in Kauf, dass Stiefelglatzen aus der „Mitte“ animiert werden islamische Einrichtungen anzugreifen. Das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft kritisiert genau darum das von Kurz vorgeschlagene Kopftuchverbot: „Erneut werden sichtbare Musliminnen zur Zielscheibe von Gewalt gemacht.“
… fördert rechte Gewalt
Wir haben kein Problem mit „Islamisierung“, sondern mit rassistischer Verhetzung. Der norwegische Neonazi-Terrorist Anders Behring Breivik rechtfertigte seinen Massenmord mit Wahnvorstellungen über eine angebliche „Islamisierung Europas“. Rechtsextreme Straßenbewegungen von Pegida bis zu den „Identitären“ setzen ebenso auf das Thema wie neofaschistische bis konservative Parteien.
In Österreich ist der Mob durch scheinbare „Bürgerinitiativen“ angeführt von der FPÖ gegen Muslime und deren Einrichtungen organisiert worden. Kurz nach einer Brandrede des freiheitlichen Parteichefs Heinz-Christian Strache bei einem Aufmarsch des rassistischen Mobs gegen ein islamisches Kulturzentrum in Floridsdorf 2010 verübten Neonazis zwei Brandanschläge auf ein Zuwanderer-Wohnheim. Andere „Islamkritiker“ schmierten auf die Mauer der Gedenkstätte des KZ Mauthausen unmissverständlich: „Was unseren Vätern war der Jud, das ist uns heut’ die Moslembrut. Seid auf der Hut“.
Die rassistische Gewalt nimmt zu. In Deutschland stiegen laut dem Bundeskriminalamt die Angriffe auf Moscheen von 23 im Jahr 2010 auf 75 im Jahr 2015 – die tatsächlichen Zahlen dürfe laut Recherchen der Tageszeitung taz und dem Recherchezentrum Correctiv noch wesentlich höher liegen. Auch in Österreich nehmen negative Rassismus-Erfahrungen von Diskriminierung und Gewalt gegen Muslim_innen im realen Leben zu. „Die Internet-Hassbotschaften, die uns gemeldet werden, sind sowieso immer sehr zahlreich“, sagte Dina Malandi, Leiterin der Beratungsstelle Zara im Juli 2016 gegenüber der Presse.
„Krieg gegen den Terror“
Islamfeindlichkeit wurde die dominante Ideologie seit dem Ende des Kalten Krieges für den imperialistischen „Krieg gegen den Terror“. Was Heinz Faßmann für Sebastian Kurz ist, war für den damaligen US-Präsidenten G.W. Bush der Autor Samuel Huntington. Huntington argumentierte in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ für die „Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert“ durch den „zivilisierten“ Westen gegen die „barbarische“, islamisch geprägte Welt.
Für diese „Zivilisation“ stehen die imperialistischen Bombenteppiche, dem Erdboden gleichgemachte Städte, Millionen Tote und Verletzte, dichte Grenzen und ein massiver Ausbau des Überwachungsstaates. Schon der alte Kolonialismus funktionierte nur mit einer passenden Ideologie, die die Verrohung rechtfertigte.
Laien-Ideologie für US-Imperialismus
Der politische Autor Arun Kundnani analysierte Islamfeindlichkeit als eine Art „Laien-Ideologie“, die den alltäglichen „Hausverstand“ ansprechen und eine einfache Erklärung für Krisenereignisse wie Terroranschläge liefern soll. Die politischen Hintergründe (Rassismus und Widerstand gegen Angriffskriege) werden dabei geleugnet. Stattdessen werden die Erklärungsmuster auf eine „kulturelle Ebene“ verschoben und Krisenereignisse einer unveränderlichen Natur der „Anderen“ als „muslimisch“ zugeschrieben.
Dieses Manöver ist, so Kundnani, auch ein Akt der Projektion (im psychoanalytischen Sinn). Die rassistische und imperialistische Gewalt des dominanten, US-geführten Kapitalismus kann in einer liberalen Gesellschaft nicht akzeptiert werden, deshalb wird diese Gewalt auf die Persönlichkeit von Muslimen (die angeblich „außerhalb“ der gesellschaftlichen Ordnung stehen würden) projiziert. Der „Krieg gegen den Terror“ in anderen Ländern ist dann nur eine „angemessene Reaktion auf die inhärent aggressive und bedrohliche Natur des fanatischen, muslimischen Feinds“.
Gemeinsamer Kampf
Diese „Kulturkämpfe“, Sicherheits- und Menschenrechtsdebatten werden im Inland immer wieder über die Köpfe von Frauen ausgetragen. Die rassistische Ideologie der Herrschenden hat das gesellschaftliche Klima vergiftet und zeigt ihren Einfluss selbst in dieser Atmosphäre in liberalen und linken Kreisen als „fortschrittliche Religionskritik“. Auch daher sind antirassistische Reaktionen der Plattform 20000 Frauen oder von SOS-Mitmensch so wichtig.
Die unterschiedlichen Interessen verlaufen zwischen Klassen, nicht zwischen Religionen, Geschlechtern oder Herkunft. Erfolg gegen den Irrsinn des Kapitalismus hat nur ein gemeinsamer Kampf von unten – geführt von Muslimen und Nichtmuslimen, von Frauen, Männern und aller hier lebenden Menschen. Lassen wir uns von Kriegstreibern und sexistischen Rassisten nicht spalten. Unsere aktive Solidarität muss den muslimischen Frauen gegen den österreichischen Staatsrassismus gelten.