Kriegsdrohungen in der Ukraine

Kriegsdrohungen in der Ukraine werden lauter. Alex Callinicos sieht den westlichen Expansionsdrang als einen Faktor für die Gefahr eines Krieges in der Ukraine. Der Artikel erschien zuerst auf Socialist Worker. Übersetzung von Rosemarie Nünning.
21. Dezember 2021 |

Kriegsdrohungen in der Ukraine begannen damit, dass die westlich orientierte ukrainische Regierung auf die Ansammlung von 175.000 russischen Soldaten an ihrer Grenze hinwies. Dann folgten die USA und erklärten, Russland könnte schon für Anfang 2022 einen Einmarsch in die Ukraine planen. Die Außenminister der führenden westlichen G7-Staaten warnten: »Russland sollte keinen Zweifel daran haben, dass eine weitere militärische Aggression gegen die Ukraine schwere Folgen haben und sehr teuer werden wird.«

Es ist allerdings fast sicher, dass Russlands Präsident Wladimir Putin kein Interesse an einem regelrechten Krieg in der Ukraine hat. Allerdings unterstützt er seit 2014 niedrigschwellige Kriegshandlungen prorussischer Elemente in der südöstlichen Ukraine. Er benutzt den militärischen Aufmarsch, um den USA diplomatische Zugeständnisse abzuringen. Insbesondere verlangt er das Versprechen, dass die Ukraine dem Militärbündnis der Nato nicht beitreten darf.

Nach dem kalten Krieg

Diese Art Auseinandersetzung geht auf das Ende des Kalten Krieges 1990/91 zurück. Michael Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion, stimmte der Aufnahme des wiedervereinigten Deutschlands in die Nato zu. Außenminister James Baker versprach im Gegenzug, dass die »Militärhoheit der Nato nicht ein Zoll in östlicher Richtung ausgedehnt« werde. Dieses Versprechen wurde schon bald von US-Präsident Bill Clinton in den 1990er Jahren gebrochen. Die europäische Union (EU) und die Nato wurden gleichzeitig um die ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten und -Regionen Mittel- und Osteuropas erweitert.

Die Wahrheit ist, dass der liberale Kapitalismus wirtschaftlich gescheitert ist.

Diese Politik zeugt von der Überheblichkeit der USA nach der Beendigung des Kalten Kriegs. Unter Artikel 5 des Nordatlantikpakts sind Nato-Mitglieder dazu verpflichtet, sich gegenseitig bei einem Angriff zu verteidigen. Doch war zu erwarten, dass die USA und die führenden kapitalistischen Staaten Westeuropas wirklich mit Russland zum Beispiel wegen Lettland Krieg führen würden? Clinton war bereit, dieses Risiko einzugehen, weil Russland unter Boris Jeltsin schwach wirkte. Als Putin im Jahr 1999 Jeltsin ablöste, benutzte er die steigenden Einkünfte aus dem Energiebereich, um Russlands militärische Schlagkraft auszubauen.

Westlicher Expansionsdrang

Im April 2008 forderte US-Präsident George W. Bush auf einem Nato-Gipfel, die Ukraine und Georgien aufzunehmen. Damit würde das von den USA beherrschte Bündnis bis an die Grenze Russlands reichen. Putin antwortete im August 2008 mit einem brutalen Viertagekrieg gegen Georgien. Frankreich und Deutschland hatten schon ihr Veto gegen die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens eingelegt, und sie blockierten Vergeltungsaktionen gegen Russland. Doch Putins Besetzung der Krim im Jahr 2014 markierte eine schärfere Polarisierung zwischen dem russischen und westlichen Imperialismus.

Die USA und die EU haben seitdem eine Reihe Sanktionen über Russland verhängt. Die ukrainische Regierung bemüht sich intensiv um Militärhilfe und die Mitgliedschaft in der Nato. Nach einem Gipfel mit Putin in der vergangenen Woche machte Joe Biden ein möglicherweise wichtiges Zugeständnis: Er hatte bereits ein militärisches Vorgehen gegen Russland ausgeschlossen. Nun versprach er, einen Gipfel mit den USA, Russland und den europäischen Mächte einzuberufen, um Putins Forderung nach einer neuen Sicherheitsordnung zu diskutieren. Das kam in der Ukraine und in den mittel- und osteuropäischen Staaten schlecht an, die die Nato als ihr Schutzschild gegen Russland ansehen.

»autoritär« gegen »liberal«?

Das Problem besteht zum Teil darin, dass die USA wie ihre europäischen Verbündeten sich schwer damit tun, die berechtigten Befürchtungen Russlands anzuerkennen. Sie bleiben der liberal internationalistischen Ideologie verhaftet, die den westlichen Triumph im Kalten Krieg zum Ausdruck brachte. Nach dieser Ideologie bindet der liberale Kapitalismus Staaten ökonomisch zusammen und schafft auf diese Weise starke gemeinsame Interessen. Kriege werden so undenkbar. Aus dieser Sicht kann Putin als »autoritäres« Fossil abgetan werden.

Es gibt allerdings ein kleines Problem bei dieser Sichtweise: Was die USA als »Autoritarismus« verurteilen, herrscht in der erfolgreichsten Industrie- und Exportwirtschaft der Welt, nämlich in China. China dehnt auch seinen Einfluss auf osteuropäische EU-Mitgliedstaaten aus. Und Putins Bewunderer Donald Trump saß bis Januar im Weißen Haus und genießt immer noch große Popularität. Die Wahrheit ist, dass der liberale Kapitalismus wirtschaftlich gescheitert ist, wie wir in den Jahren nach dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise von 2007 gesehen haben.

Außerdem gibt es viele ernsthafte Interessenkonflikte zwischen den westlichen Staaten. Beispiele sind die Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und Frankreich und die von Deutschland immer noch gepflegten engen Beziehungen mit Russland. Die westlichen Staaten weigern sich einfach, diese Realität anzuerkennen, aber sie können ihr nicht entkommen.