Linker Wahlssieg in Chile: „Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus ist, wird es auch sein Grab sein”

„Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus ist, wird es auch sein Grab sein.“ Unter diesem Motto führte der 36-jährige ehemalige Studentenführer Gabriel Boric seinen Wahlkampf. Boric gewann die Wahlen mit den meisten Stimmen in der Geschichte Chiles gegen den rechtsextremen Kandidaten José Antonio Kast.
20. Dezember 2021 |

Angst der Bosse

Die herrschende Klasse Chiles unternahm alles, um den Wahlsieg von Boric zu verhindern. Kast warnte vor linkem Terror auf den Straßen, der öffentliche Busverkehr wurde am Wahltag von den Bossen eingestellt, damit die arme Bevölkerung nicht an den Wahlen teilnimmt. In Reaktion bildeten sich in den Armenvierteln Fahrgemeinschaften, um allen die Teilnahme an den Wahlen zu ermöglichen.

Massenbewegung 2019

Der Sieg wäre nicht möglich gewesen ohne die antikapitalistische Massenbewegung, welche Chile seit 2019 erschüttert. Ausgehend von Jugendlichen, welche gegen eine Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Verkehr demonstrierten, indem sie die Fahrkartenautomaten zertrümmerten, kämpften Millionen Arbeiter_innen und Indigene gegen die Regierung. Mindestens 20 Menschen wurden von der Polizei ermordet, Hunderte verstümmelt, Tausende eingesperrt. Unter dem Slogan „Es geht nicht um 30 Pesos, es geht um 30 Jahre“ forderten die Demonstrant_innen die Abrechnung mit dem neoliberalen System Chiles.

Pinochets Putsch

Am 11. September 1973 unterstützten die USA den Putsch des Generals Pinochet gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Allende. Tausende Sozialist_innen, Kommunist_innen und Arbeiter_innen wurden von der reaktionären Regierung ermordet. Angeführt vom Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman verwandelten die „Chicago Boys“ Chile ins Versuchslabor des Neoliberalismus mit brutalen Folgen für die Bevölkerung. Während vor dem Putsch 20 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten, waren es 1980 gigantische 44 %.

Außerparlamentarische Massenbewegung

Anders als unsere Medien warnen, ist Boric leider kein Revolutionär. Sein Wahlprogramm zielt auf einen Bruch mit dem neoliberalen System in Chile ab, nicht mit dem Kapitalismus im Generellen. Doch sein Sieg eröffnet gigantische Chancen für die Arbeiter_innen, Frauen, Klima und indigene Bewegungen in Chile. Trotzdem sollten wir uns keine zu großen Illusionen mit Boric machen.

Während im November 2019 auf Chiles Straßen der Klassenkampf tobte – unter dem Druck der Massen mussten die Gewerkschaften einen Generalstreik organisieren – schmiedeten die linken Parteien angeführt von Boric einen Hinterzimmerdeal für „Frieden und eine neue Regierung“ mit dem damaligen Präsidenten Piñera. Der Deal zielte darauf ab, die Wut der Massen in institutionelle Bahnen zu lenken. Solch eine versöhnlerische Politik gegenüber den Rechten droht auch jetzt. Im Zuge des Wahlkampfes bewegte sich Boric zusehends in die politische Mitte und nahm linke Forderungen zurück, bspw. die Begnadigung für alle Kämpfer_innen, die im Zuge der Aufstandsbewegung von 2019 verhaftet wurden.

Der linke Wahlsieg ist ein riesiger Erfolg, aber es wird weiterhin die außerparlamentarische Massenbewegung brauchen, um die Früchte dieses Erfolgs zu ernten.

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