Nach Terrorattacken von Paris: Regierung macht Opposition mundtot

Eine Serie von Schießereien und Selbstmordanschlägen am Freitag, dem 13. November, forderte mindestens 129 Todesopfer an sechs Orten in Paris. Aktivist_innen der Nouveau Parti anticapitaliste (NPA) haben kurz danach mit der britischen Zeitung Socialist Worker (Schwesternzeitung der Neuen Linkswende) gesprochen.
22. November 2015 |

„Paris befindet sich im Schockzustand. Die Menschen haben die ganze Nacht (nach den Anschlägen, Anm.) damit verbracht, zu schauen, ob ihre Freunde, Familien und Kollegen in Sicherheit sind“, erzählt Vanina Giudicelli. „Aber der Schock über die grausamen Anschläge hat die Geschwindigkeit, mit der politische Maßnahmen verabschiedet werden, nicht gebremst.“ Präsident François Hollande erklärte erstmals nach 50 Jahren den Ausnahmezustand und führte wieder Grenzkontrollen ein. In einer erschreckenden Rede aus dem Konzertsaal Bataclan, dem Ort eines der schlimmsten Massaker, kündigte Hollande an: „Wir werden einen Krieg führen, der gnadenlos ist.“

Die „westlichen Werte“ haben uns Terrorismus erst beschert

Die „westlichen Werte“ haben uns Terrorismus erst beschert

Aber Frankreich befindet sich längst im Krieg. Die französischen Streitkräfte begannen erst vor sieben Wochen Bomben in Syrien abzuwerfen, vor einem Jahr im Irak. Der Radiomoderator Pierre Janaszak war während des Anschlags im Bataclan. Er sagte über einen der Angreifer: „Ich habe deutlich gehört, wie sie zu den Geiseln gesagt haben: ‚Hollande ist schuld, euer Präsident ist schuld, er hat nicht in Syrien einzugreifen.‘ Sie haben auch über den Irak gesprochen.“

Rassistischer Backlash

Bereits vor den Anschlägen organisierten rechtsextreme Gruppen „Proteste“ gegen Flüchtlinge. Der Front National (FN) prägt den Wahlkampf in den bevorstehenden Regionalwahlen. Journalist_innen und Politiker_innen machten Muslim_innen auf Twitter für den Terror verantwortlich und forderten, sie müssten sich von der Gewalt distanzieren.

Nach den Massakern in der Redaktion von Charlie Hebdo und im koscheren Supermarkt Hyper Cacher im Jänner folgte eine Welle des Vandalismus auf Moscheen und Attacken auf Muslim_innen. Aktivistin Sellouma sagte: „Es ist klar, dass Muslime teuer dafür bezahlen werden. Die Leute müssen schreckliche Sachen auf in den sozialen Medien lesen – es scheint, als wäre es schlimmer als nach Charlie.“

Vanina hatte Proteste in Solidarität mit Migrant_innen in Paris organisiert. Genau solche Proteste, die am Wochenende nach den Anschlägen hätten stattfinden sollen, wurden nun verboten. Denis Godard, ein führender antirassistischer Aktivist, schrieb in einer Stellungnahme: „Es ist eine grausame und tragische Ironie, dass ausgerechnet um den Place de la Republique so viele Menschen getötet wurden – dort, wo erst ein paar Stunden zuvor das Flüchtlingscamp geräumt wurde.“

Nationale Einheit

Vanina erzählt: „Die Debatte ist beherrscht von Aufrufen zur ‚nationalen Einheit‘. Sogar die Führungsfigur der radikalen Linken Jean-Luc Mélenchon verlangte, dass unsere Regierung alle möglichen Mittel erhält, die sie benötigt.‘“ Es gibt Gegenstimmen, aber diese werden unterdrückt. „Es gibt auch jene, die nicht vergessen haben, was die ‚nationale Einheit‘ im Jänner bedeutet hat. Sie brachte nur mehr autoritäre Gesetze, mehr Rassismus, ein noch größeres Publikum für die extreme Rechte und mehr französische Militärinterventionen – aber keine wirkliche Lösung.“ Vanina ergänzt: „Mehr denn je müssen wir uns den Argumenten stellen.“

Protest nach Pariser Anschlägen: Flüchtlinge sind nicht die Sündenböcke

Die Nouveau Parti anticapitaliste (NPA) kritisierte den Rassismus und die Kriege der Regierung in einer Stellungnahme scharf: „Einmal mehr rufen jene, die für den Ansturm der Gewalt verantwortlich sind, zur ‚nationalen Einheit‘ auf. Sie wollen die tragischen Ereignisse zu ihrem Vorteil ummünzen, um die Empörung und Revolte zu unterdrücken. Und dafür haben sie bereits einen Sündenböck: Muslim_innen.“ Sie warnen: „Um den Terrorismus zu beenden, müssen wir die imperialistischen Kriege beenden.“

Artikel ist zuerst auf socialistworker.co.uk erschienen
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.