Neruda

Eine so vielschichtige, faszinierende und widersprüchliche Persönlichkeit wie den Dichter, Diplomaten und Kommunisten Pablo Neruda ist selten zu finden. Regisseur Pablo Larraín („Jackie“) erzählt in „Neruda“ die Geschichte der Flucht des Dichters Neruda 1949 aus Chile, wo die Polizei hinter ihm her war. Larraín komponiert aus historischen Tatsachen und fiktionaler Handlung etwas, das als Film funktioniert und die Poesie Nerudas reflektiert.
28. März 2017 |

Atemlos wird im Film das Jahr (Anfang 1948 bis Anfang 1949) gezeigt, in dem sich Neruda (Luis Gnecco) vor den Behörden verstecken musste, die eine Menschenjagd auf ihn veranstalteten. Fiktional ist die Gestalt des Detektivs Oscar Peluchonneau (Gael García Bernal), der mit wunderbarem Pathos und fast lächerlicher Ernsthaftigkeit die Geschichte erzählt. Es scheint, dass gerade dieser erfundene Antagonist, der „Böse“ im Film, etwas von Nerudas Poesie in sich trägt.

Mit Jumpcuts und schnellen Perspektivenwechseln erzeugt Kameramann Sergio Armstrong ein ständiges Gefühl der Rastlosigkeit. Mal verfolgt die Kamera die Protagonisten, mal „schafft“ sie es vor die Darsteller. Dieses Gefühl wird durch den Schnitt, der beispielsweise Achsensprünge einsetzt, noch verstärkt.

Auf der Seite der Arbeiter

Auf Neruda wurde Jagd gemacht, weil er als Senator in einer Art Anklageschrift streikende Arbeiter_innen und kommunistische Genoss_innen verteidigt hatte, die man in einem Lager in der Wüste „konzentriert“ hatte.

In Schwierigkeiten komme ich, weil ich Kommunist bin.

(Pablo Neruda)

So beginnt der Film „Neruda“ mit zahlreichen Warnungen an den Senator, auf seine Sprache zu achten. Kurz bevor er flüchten muss, hört Neruda von Präsident Videla (Alfredo Castro), dass er sich zurückhalten solle, sonst würde er in Schwierigkeiten kommen. Neruda antwortet: „In Schwierigkeiten komme ich, weil ich Kommunist bin.“

Als Dichter konnte Neruda (etwa 1945 in Brasilien) bis zu 100.000 Menschen versammeln, Gabriel García Márquez nannte ihn den größten Poeten des 20. Jahrhunderts.

Poet und Antifaschist

Das politische Engagement Nerudas war geprägt von seinen Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg, wo er als chilenischer Botschafter in Barcelona und ab 1935 in Madrid tätig war. Einer seiner engsten Freunde dort war der spanische Dichter Federico García Lorca, wegen seiner Homosexualität und seines Engagements für die spanische Republik von Francos Faschisten gehasst wie wenige andere.

Lorcas Ermordung war für Neruda ein Wendepunkt in seinem Leben. Für ihn wurde es zur Verantwortung des Künstlers, sich gegen die Grausamkeiten des Faschismus zu wehren. Nicht länger wollte er von Träumen und Schönheit schreiben, sondern vom Blut auf den Straßen der spanischen Städte. „Ich konnte meinen Gedichten nicht die Tür zur Straße verriegeln, wie ich meinem Dichterherzen auch nicht die Tür zur Liebe verriegeln konnte.“

Der Kampf gegen den Faschismus, die Sehnsucht nach Freiheit und einer gerechten Gesellschaft haben Neruda immer angetrieben.

Wie so viele Künstler und Intellektuelle seiner Generation war der Stalinismus für ihn das Gegenkonzept zu Kapitalismus und Faschismus. Fast schon naiv schlug sich Neruda in innerlinken Auseinandersetzungen auf die Seite Stalins. Als in Mexiko auf Stalins Befehl ein Mordanschlag auf den neben Lenin wichtigsten bolschewistischen Führer Leo Trotzki versucht wurde, verhalf Neruda einem der Täter zur Flucht.

Putsch in Chile

Nach den zahlreichen, diplomatischen Posten, die Neruda in seinem Leben bekleidete, wurde er Senator für die kommunistische Partei

Das berühmte Filmplakat zu Neruda

Chiles. Als die KP 1948 unter Präsident Videla verboten wurde, sollte auch Neruda verhaftet werden. Er tauchte unter und begann seine Flucht nach Argentinien – von diesem Versteckspiel mit der Polizei handelt der Film. Jahre später kehrte Neruda nach Chile zurück, um den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Allende zu beraten.

Nachdem er den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte, las Neruda seine Poesie vor 70.000 Menschen im Nationalstadium. Als General Pinochet mit US-Unterstützung gegen Allende putschte, befand sich Neruda gerade im Spital. Wie man inzwischen weiß, wurde ihm dort auf Anweisung Pinochets eine Giftspritze verabreicht. Neruda verstarb sechs Stunden nach dieser „Behandlung“. Die rechte Militärjunta unter Pinochet untersagte ein öffentliches Begräbnis, aber tausende Chilen_innen trotzten dem Verbot und trauerten in den Straßen.

Lüge und Wahrheit

Ein guter Freund Nerudas, Pablo Picasso, sagte einmal: „Kunst ist eine Lüge, die die Wahrheit erzählt.“ Und für die Wahrheit braucht Regisseur Larraín den erfundenen Detektiv, er braucht es, sich nicht sklavisch an historische Tatsachen halten zu müssen, er braucht Fantasie und eine Prise Humor um die Wahrheit über Neruda zu erzählen (Ganz anders als in „Jackie“).

„Neruda“ ist gleichzeitig die Biographie eines überragenden Dichters, Detektiv-Story und Fiktion. Die gewollte Künstlichkeit drückt sich etwa darin aus, dass Blicke aus Autofenstern per Rückprojektion gefilmt wurden, was Assoziationen zu alten Hitchcock-Filmen weckt. Doch gerade das Artifizielle, die Fantasie, die Lüge bringen die Wahrheit über Neruda ans Licht.

Im Film erklärt Präsident Videla die Bedeutung des politischen Poeten: „Er konnte ein Stück Papier aus der Tasche ziehen und zehntausend Arbeiter würden still sein, um ihn zu hören, wie er seine Poesie liest, mit seiner eigenen Stimme.“

Der Film ist seit 17. März in den Kinos in Wien zu sehen.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.