Rassismus ist die falsche Antwort auf das Türkei-Referendum

Die Linke muss sich um Solidarität mit der türkischen Community und gleichzeitig der kurdischen Bewegung bemühen. Die Antwort auf die durch Einschüchterung und Manipulation erreichte Entdemokratisierung in der Türkei darf hierzulande nicht Rassismus sein.
25. April 2017 |

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am 16. April die Abstimmung über die Einführung eines autoritären Präsidialsystems knapp mit 51,4 Prozent gewonnen – in Österreich wurden ihm die Wähler_innen durch die omnipräsente rassistische Hetze quasi zugetrieben. Künftig darf der Präsident 12 der 15 Verfassungsrichter_innen ernennen, jederzeit das Parlament auflösen und an selbigem vorbei regieren, nämlich auch ohne Ausnahmezustand per Dekret Gesetze durchpeitschen. Das alles stellt die Demokratie- und Friedensbewegung in der Türkei vor eine schwierige Herausforderung.

Ein wirklicher Erfolg für den Autokraten am Bosporus ist das Ergebnis allerdings auch nicht. Erdoğan konnte die Mehrheit nur mittels Unterstützung durch die faschistische MHP und massiver Einschüchterung, Wahlfälschung und Kontrolle der Medien sichern. Erdoğans AKP bekam in den letzten 10 Tagen vor dem Referendum 5.000 Minuten Sendezeit, während die rechte CHP und die prokurdische HDP, die beide für ein Nein warben, nur auf 1.000 beziehungsweise 33 Minuten kamen.

Die Wahlkommissionen manipulierten offensichtlich und ließen bis zu 2,5 Millionen Stimmzettel ohne gültiges Amtssiegel nachträglich zu. Ja und Nein trennten im Ergebnis 1,25 Millionen Stimmen. Trotzdem verlor Erdoğan in den größten Städten des Landes – in İzmir, Ankara und in seiner Heimatstadt Istanbul, in der er Bürgermeister war und seine politische Karriere begann.

Antitürkischer Rassismus

Die Reaktionen von Medien und Politiker_innen hierzulande waren mehrheitlich ekelhaft rassistisch. In Österreich stimmten 73 Prozent oder 38.215 Menschen für Ja. Obwohl das bezogen auf die Wahlberechtigten eigentlich nur schwache 35 Prozent waren, warf die Kronenzeitung alle in einen Topf und titelte: „Austro-Türken, was wollt ihr?“ FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache forderte, man müsse sofort Doppelstaatsbürger_innen den österreichischen Pass entziehen und meinte, die „Freunde der Diktatur“ sollten „am besten sofort in die Türkei zurückkehren“.

Unterstützung bekommt er dabei leider vom Grünen Peter Pilz, der offenbar dem oberösterreichischen FPÖ-Landesrat und Germania-Burschenschafter Elmar Podgorschek Listen mit Doppelstaatsbürgerschaften zuspielen will. Natürlich ist Pilz’ Hauptmotivation die Sympathie für die kurdischen Bewegung. Und die Allianz der AKP mit dem tiefen Staat und der MHP gegen die Kurden ist ein unverzeihlicher Sündenfall, der Erdoğan noch richtig um die Ohren fliegen sollte. Aber das wird nicht passieren, wenn die Linke scheinbar Erdoğan Recht gibt und in den rassistischen Chor der FPÖ und Rechten einstimmt.

Gastarbeiter_innen

Die türkischen Gastarbeiter_innen waren in Österreich schon immer ein beliebtes Feindbild und brauchen als solche besondere Solidarität von uns Linken. Sie verdienen weniger als ihre österreichischen Kolleg_innen, sind häufiger armutsgefährdet und haben weniger Wohnfläche zu Verfügung. Rund die Hälfte der Befragten gaben in einer Studie des Österreichischen Integrationsfonds an, dass sie diskriminiert werden und sich ihre Lebenssituation in den letzten fünf Jahren verschlechtert hat.

Ihnen vorzuwerfen, sie hätten Österreich so viel zu verdanken – wie Michael Jeannée das in der Kronenzeitung nach dem Referendum wieder getan hat – ist eine unglaubliche Verhöhnung. Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka hat mit seiner monatelangen Kampagne um Auftrittsverbote für türkische Politiker_innen und gegen gefährliche türkische Vereine praktisch für das Ja im Referendum geworben, weil es Erdoğan erlaubte, sich als „Opfer“ zu inszenieren.

Carla Amina Baghajati: „Wir müssen offensiv werden!“

Carla Amina Baghajati: „Wir müssen offensiv werden!“

Die Linke sollte sich ganz grundsätzlich davor hüten, den Staat und die Europäische Union im Kampf gegen Erdoğans autoritären Kurs ins Spiel zu bringen, sondern muss sich um die aktive Solidarität mit der türkischen Community und der kurdischen Befreiungsbewegung bemühen.

 

Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist ein Schwerpunkt am antikapitalistischen Kongress Marx is Muss von 5. bis 7. Mai im Wiener Amerlinghaus. Carla Amina Baghajati (Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft, IGGÖ) spricht mit Karin Wilflingseder am Samstag, 6. Mai um 13:15 Uhr zu „Schwestern im Kampf gegen islamfeindlichen Rassismus“. Das gesamte Programm findest du hier.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.