Ryan Gattis: In den Straßen die Wut

Rowohlt Taschenbuch Verlag; 528 Seiten; 16,99 Euro
4. April 2016 |

Am 29. April 1992 begann eine gewalttätige Revolte der Armen, der Schwarzen und der Latinos in Los Angeles. Während der bürgerkriegsähnlichen Zustände wurde demonstriert, geplündert, der Polizei wurden Schießereien geliefert. Auslöser der sogenannten LA-Riots war der Freispruch für vier Polizisten gewesen, die mit ihren Schlagstöcken auf den Schwarzen Rodney King eingeprügelt hatten, auch als dieser schon hilflos am Boden lag. Ein verstörendes Video von der Aktion war an die Öffentlichkeit gelangt.
Oberflächlich gesehen liefern die Riots nur den Hintergrund für die Geschichten, die männliche und weibliche Gangmitglieder, Mitläufer, O.G.s (Altgangster), Polizisten und Feuerwehrleute zu erzählen haben. Denn In den Straßen die Wut liefert das Sittenbild eines verfallenden Amerika, in dem sich der „amerikanische Traum“ inmitten von Hoffnungslosigkeit, Rassismus und Armut nur noch mit einer Straßen-Gangster-Karriere verwirklichen lässt. Die Story spielt hauptsächlich unter den Mitgliedern diverser Chicano (mexikanische Einwanderer)-Gangs, den „Clicas“.

„La clica es mi vida!“

(Die Gang ist mein Leben)

lautet die Devise. Unbedingter Gehorsam, unsägliche Brutalität, Kälte und auch Verrat herrschen in den Gruppen, die dennoch als Familienersatz gesehen werden.
Rodney King interessiert die jungen Kriminellen, die mit automatischen Waffen und Sprengstoff aufeinander losgehen, wenig. „Hier im Barrio kennt jeder einen Rodney King“, meint einer. Für sie bedeuten Nächte, in denen die Polizei mit den Riots beschäftigt ist, die Freiheit, sich alles zu holen und vor allem, alte Rechnungen blutig zu begleichen. Versuche, die mexikanischen Gangs, alle mexikanischen Einwanderer_innen („la Raza“) zu einen, wie das in den 1960ern, als die „Young Lords“-Gang zu einer politischen, antirassistischen Kraft wurde, annähernd gelang, schlagen kläglich fehl.
Die Polizei reagiert mit vermummten Schwadronen, die in die Häuser der Gangmitglieder eindringen und ihnen ohne jeden gesetzlichen Auftrag Arme und Beine brechen. Der Rassismus ist so „normal“ und allgegenwärtig, dass er den Protagonist_innen des Buchs nicht mehr extra auffällt. In den USA von heute hat man als Schwarzer oder Latino eine etwa acht mal höhere Chance, von der Polizei belästigt zu werden als als Weißer. Die Latinos und Latinas in den „Problembezirken“, in South-Central-LA sehen die Polizei schon seit Generationen nur mehr als unberechenbare, brutale, feindliche Gang. In regelmäßigen Abständen brechen Aufstände in LA aus. Die Motive von Armut, Diskriminierung und Polizeigewalt bleiben immer die gleichen.

„LA hat ein verdammt kurzes Gedächtnis, diese Stadt lernt nichts“, sagt ein Jung-Homie im Buch – Diese Aussage gilt wohl für die gesamten USA.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.