Sexualisierte Gewalt im ÖSV: Nationalhelden, Macht & Abhängigkeiten

Die aktuellen Reaktionen von Sportgrößen und Politik auf die Missbrauchsvorfälle im Österreichischen Skiverband sprechen Bände über Sexismus, Machtverhältnisse und Profitgier im österreichischen Sport.
6. März 2018 |

Dank der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg werden sexuelle Übergriffe im Spitzensport wohl nicht mehr so leicht unter den Tisch gekehrt werden können wie früher. Im November vergangenen Jahres trat sie an die Öffentlichkeit und schilderte, wie sie in den 1970er Jahren von Trainern und Kollegen missbraucht worden ist. Ebenfalls in der 1970er Jahren soll eine ihrer Kolleginnen heimlich beim Sex gefilmt worden sein, daraufhin beendete sie verzweifelt ihre Karriere. Doch auch erst vor ein paar Jahren wurde eine Kollegin sexuell belästigt, so Werdenigg. Der Fall wurde ans ÖSV-Management herangetragen – und dann vertuscht.

Sexismus

Missbrauch und sexualisierte Gewalt passieren nicht im luftleeren Raum. Im Fernsehen werden die Skidamen nach wie vor mit abfälligen Macho-Sprüchen (Bode Miller: die Heirat von Anna Veith sei an ihren Rückfall bei Olympia mit schuld) nach ihrem Frau-Sein oder Aussehen anstatt ihrer Leistung beurteilt. Das Betreuerpersonal besteht immer noch zu 90 Prozent aus Männern. Missbrauch wird in der Trainerausbildung nicht thematisiert: weder was den Unterschied zwischen helfendem Hingreifen und Übergriff anbelangt, noch was Schutzmaßnahmen oder Strategien, Betroffene aus der Schweige- und Stigmatisierungsspirale zu helfen, betrifft. Hier hat nicht nur der ÖSV ein Problem. Es erklärt aber, warum so wenige (bis niemand) gegen sexuellen Missbrauch einschreiten.

Für den Tabubruch, über sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im ÖSV zu reden, erntete Werdenigg blöde Sprüche von den alten Männern im ÖSV: Präsident Peter Schröcksnadel – einer unter vielen Alten im Verband – verharmloste die Anschuldigungen als „Pantscherl“ und stellte Werdenigg das Ultimatum, Namen zu nennen, sonst erhalte sie einen Anwaltsbrief. Mittlerweile wird er von seiner PR-Managerin besser beraten, er zog die Drohung zurück und richtete eine Meldestelle für Betroffene ein – mit Ablaufdatum Ende Mai.

Ebenso lässt die Aufklärung von Übergriffen in der Skihauptschule Neustift und anderen Ausbildungsstätten nach wie vor auf sich warten. Das Problem beschränkt sich aber keinesfalls auf den Skisport: Auch die Untersuchung des sexuellen Missbrauchs durch den Nationaltrainer des Karatebundes Österreich versandete.

„Nationalhelden“

Das sagt viel über Österreich und sein Verhältnis zum Sport aus. Die Macher der „Skination“ lassen sich ihre Helden nicht nehmen. Und wer es doch versucht, muss mit Widerstand rechnen. Der Fall Toni Sailer, der 1974 in Polen eine Frau „sexuell auf das Übelste misshandelt“ haben soll, ist exemplarisch: Er selbst wollte nicht mehr auf den Vergewaltigungsvorwurf angesprochen werden. Wer es doch tat, wurde vom ÖSV zur Persona non grata erklärt, wie Reporter Bernd Dörler.

Das zieht sich bis heute: Man solle nicht über jemanden richten, der sich nicht mehr wehren kann (weil 2008 verstorben) – so die gängige Meinung. Aber: Dreck, der vor Jahrzehnten unter den Teppich gekehrt wurde, wird eines Tages wieder hervorkriechen. Es wird auf Vertuschung statt Aufklärung gesetzt, eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, und Ski-Ikonen wie Sailer vehement verteidigt – aktuell von Sportminister Heinz-Christian Strache, der von einer „miesen Kampagne“ spricht.

Die Erinnerung an Österreichs Jahrhundertsportler gilt als unantastbar. Medien und Politik, die mit dem „Helden“-Image Geld machen, wollen keine wie Werdenigg, die diesen Mythos aufbricht. Dem Skiverband Förderungen entziehen, will Strache nicht: „Die Subventionen zu kürzen – das wäre ein völliger Irrweg“, meint er gegenüber der APA. Das hat sicher nichts damit zu tun, dass sich Graz mit Schladming um die Austragung der Winterspiele 2026 bewerben will (obwohl Graz 1,3 Milliarden Euro Schulden hat). Eingesessene Ski-Dynastien und die Wintersportindustrie mit zig Millionen Euro Steuergeld machen sich dafür stark. Die „Aufklärung“ wird im Interesse des „großen Ganzen“ auf Eis gelegt.

Autoritäres System

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Demütigungen, Initiationsrituale (Stichwort: Genitalien mit Schuhpaste eincremen) und entmündigende Abhängigkeit junger Athlet_innen von den Trainern – das ist die autoritäre Kultur im Spitzensport. Werdenigg ging es darum, dieses tendenziell totalitäre System aufzubrechen, das solche Methoden immer noch toleriert (und praktiziert). Die „Parallelwelt des Spitzensports“ kann nicht alles einem diffusen Nationalstolz und Patriotismus unterordnen, sondern muss ihre Grenzen haben – dort wo sexualisierte Gewalt entsteht oder sogar ausgeübt wird.