Neue Dokumente zeigen Staatsrassismus: 25 Jahre nach dem Nazi-Attentat von Oberwart

Vor genau 25 Jahren, in der Nacht von 4. auf 5. Februar 1995, wurden in Oberwart im Burgenland vier Roma durch eine Rohrbombe des Nazi-Terroristen Franz Fuchs ermordet. Ein erst jetzt veröffentlichtes Polizeiprotokoll zeigt minutiös, wie Polizei und Verfassungsschutz in den ersten Stunden versuchten, aus den Opfern Täter zu machen.
4. Februar 2020 |

Josef Simon (40 Jahre), Peter Sárközi (27) und die beiden Brüder Karl (22) und Erwin Horvath (18) waren in der Nacht auf den 5. Februar 1995 auf Patrouille, weil ihre Gemeinschaft zu dieser Zeit regelmäßig mit Gewalt bedroht wurde. Als sie auf ihrem Rundgang ein Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ entfernen wollten, löste ein Zündmechanismus aus. Die Bombe des Nazi-Terroristen Franz Fuchs, Mitglied der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“, tötete die vier Roma auf der Stelle.

Es war der schlimmste rassistisch motivierte Terroranschlag der österreichischen Nachkriegsgeschichte.

Der Großvater der beiden Brüder, Karl und Erwin Horvath, erinnerte kurz nach dem Attentat im ORF: „Wir waren hier in Oberwart über 350 Zigeuner und nur 13 bis 15 sind heimgekommen, die anderen sind alle vergast worden: Meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern. Und jetzt habe ich meine zwei Enkelkinder verloren und einen guten Kollegen (Josef Simon, Anm.), dessen Vater mit mir im Konzentrationslager war.“ 1938 wurde die Siedlung von den Nazis zerstört. Um die 500.000 Roma und Sinti wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern systematisch ermordet.

Bisher unveröffentlichte Dokumente

Die Polizei verhöhnte zunächst die Opfer, machte sie zu Tätern und ließ offen, ob diese „selbst mit Sprengstoff hantiert haben oder ob es sich um einen von Rechtsextremisten gezielten Anschlag gehandelt hat“.

Der ORF-Burgenland veröffentlichte jetzt 25 Jahre später ausführliche Polizeiprotokolle, die ein Sittenbild des Staatsrassismus in Österreich zeigen. Anstatt eine Fahndung nach den tatsächlichen Tätern einzuleiten, ordnete die Polizei an, das Krankenhaus Oberwart sowie alle umliegenden Ärzte zu überprüfen, ob „möglicherweise ein Verletzter ROMA sich zwecks Behandlung dorthin begeben hat“, als handle es sich um Verdächtige (ROMA ist, nebenbei bemerkt, durchgehend in Blockbuchstaben geschrieben).

Auszug aus dem bislang unveröffentlichtem Polizeiprotokoll

Der am Tatort eintreffende Verfassungsschutz führte unmittelbar Hausdurchsuchungen in allen Häusern der Roma-Siedlung durch, inklusive der Opfer. Dabei sollten, so die Anordnung, „auf folgende Suchgegenstände besonders Bedacht genommen werden […] Selbstlaborate (selbst hergestellte Sprengstoffe, Anm.) […] Fachliteratur über die Herstellung von Sprengstoff“. Im Polizeibericht wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer Roma-Trauerversammlung am Abend einer der Referenten „einen leicht alkoholisierten Eindruck erweckt“ – eine direkte Anspielung auf das rassistische Klischee des ständig betrunkenen, drogensüchtigen Zigeuners.

Noch Stunden später behauptete SPÖ-Innenminister Franz Löschnak – nach Unterweisung der Beamten vor Ort – vor hunderttausenden Zuseher_innen in der Zeit im Bild im ORF, dass es keine Hinweise auf einen Anschlag gebe.

FPÖ nimmt Steilvorlage der Polizei auf

Jahre später, nachdem der Attentäter Fuchs gefasst und vor Gericht gestellt wurde, reduzierten die Behörden den Fall auf einen „verrückten Einzeltäter“, obwohl die „Sonderkommission Briefbomben“ gegen mindestens drei weitere Hintermänner ermittelte. Noch 2009 lehnte die Staatsanwaltschaft Graz einen Antrag eines Opfers auf neue Ermittlungen ab.

Unmittelbar nach dem Anschlag verunglimpfte der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider im Gleichklang mit der Polizei die Mordopfer – und entschuldigte damit gleichzeitig die gesuchten Neonazi-Attentäter: „Wer sagt, dass es da nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem Autoschieber-Deal oder um Drogen gegangen ist?“ Als die grüne Abgeordnete Terezija Stoisits nur wenige Monate später Haider dafür im Parlament attackierte, rechtfertigte sich die FPÖ mittels Zwischenrufen: „Die Polizei hat das gemacht!“

Aufbereitung des rassistischen Klimas

Der Attentäter Franz Fuchs verübte zwischen 1993 und bis zu seiner Verhaftung 1997 insgesamt 25 Brief- und Rohrbombenattentate, ermordete vier Menschen und verletzte fünfzehn zum Teil schwer. Aus seinen ausführlichen Bekennerschreiben spricht der gesamte Wort- und Phrasenschatz des Anti-Ausländer-Volksbegehrens der FPÖ von 1993. Der Psychiater Reinhard Haller schrieb in seinem Gutachten über Fuchs, dass dessen Idee, gegen „Überfremdung“ kämpfen zu müssen, nicht durch das unmittelbare Umfeld gegeben wurde, sondern „durch die damalige politische Diskussion“.

„Die Tat hat in gewisser Weise das Klima in Österreich widergespiegelt“, kommentierte der Historiker Gerhard Botz den Anschlag. Der Politikwissenschafter Anton Pelinka sprach von einer „Radikalisierung des innenpolitisch aufgeheizten Klimas.“

Die FPÖ profitierte Anfang der 1990er-Jahre besonders von der offiziellen Hetze gegen Flüchtlinge aus dem ehemaligen Ostblock. Sie war eine Kleinstpartei, bis 1990 die ersten Menschen aus Rumänien in Österreich ankamen. Die Rechten organisierten Proteste gegen die Unterbringung der Flüchtlinge in der Bundesheerkaserne von Kaisersteinbruch. SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky gab nach und ließ die Flüchtlinge in geschlossenen Waggons zurück nach Rumänien deportieren und Militär an der Grenze stationieren. Das beflügelte Haider und die Rechtsextremen.

Mahnung

1992 initiierte die FPÖ das Anti-Ausländer-Volksbegehren, das 400.000 Menschen unterschrieben und die Terroranschläge vorbereitete. Im Nazi-Jargon wetterten die Freiheitlichen gegen die „Überfremdung“ und die „Umvolkung“ Österreichs. Die Bekennerschreiben von Franz Fuchs griffen diese Begrifflichkeiten auf. 1995 führten Täterprofile die Ermittler auf der Suche nach dem Attentäter zur FPÖ-nahen Zeitschrift Aula, mehrere Wohnungen von Abonnenten der Aula wurden durchsucht. Sogar der Oberste Gerichtshof musste später zulassen, dass man Haider den  „politischen Ziehvater des rechtsextremen Terrorismus“ in Österreich bezeichnen darf.

Im „Historikerbericht“ der FPÖ kommt Oberwart übrigens – wenig überraschend – nicht vor. Ebenso wenig wie die Serie an rechtsextremen Terroranschlägen, die darauf im Umfeld der FPÖ folgten (siehe Liste unten).

Ursula Krechel: Geisterbahn

Ursula Krechel: Geisterbahn

In seinem Theaterstück Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner (2005) lässt Stefan Horvath, Vater des ermordeten Peter Sárközi, seinen Protagonisten sagen, er sei der „ewige Zigeuner, der hier in der zweiten Roma-Siedlung geboren wurde und aufgewachsen ist, und alle Jahrzehnte des Schweigens genauso stumm ertragen hat wie die anderen. Der die zerfetzten Leiber der vier Opfer gesehen hat. Der das Grauen am Tatort miterlebt hat. Der seinem toten Sohn in die gebrochenen Augen geblickt hat und seitdem die Stimmen seiner Vorfahren aus dem Jenseits hört. Ich bin aber auch der Zigeuner, der seine Stadt liebt, genauso wie seine Vorfahren diese Stadt geliebt haben, obwohl der Rassismus und die Vorurteile oftmals größer waren, als der Weg von der Roma-Siedlung in die Stadt lang ist.“

Rassismus tötet. Der Anschlag von Oberwart ist eine unfassbare Tragödie, die das grausliche Zusammenspiel von Staat und Rechtsextremen offenbarte. Es muss uns eine Mahnung sein und eine Aufforderung zu bedingungsloser Solidarität mit allen Menschen, die Opfer rassistischer Anfeindungen und Gewalt werden.

Rechtsextreme Terroranschläge in Österreich seit 2005

Auswahl von Anschlägen im Umfeld der FPÖ auf islamische Einrichtungen und Asyl- und Zuwandererwohnheime der letzten Jahre:

  • Rassistische Attentäter verübten am 16. November 2005 einen Bombenanschlag auf ein muslimisches Gebetshaus in der Mariengasse in Wien-Hernals. Ein Attentäter, der bereits wegen Schüssen auf einen ausländischen Jugendlichen verurteilt war, konnte gefasst werden. Obwohl er seine ausländerfeindliche Motivation vor Gericht eingestanden hatte, wurde er nur wegen Sachbeschädigung verurteilt.
  • Mutmaßlich Rechtsextreme zündeten im Juni 2007 mithilfe von Brandbeschleunigern ein Flüchtlingsheim in Innsbruck an, das dabei fast völlig zerstört wurde. Die Polizei wollte erst gar nicht ermitteln und schloss Brandstiftung aus.
  • Rechtsextreme führten am 12. Juni 2008 einen folgenschweren Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Klagenfurt durch. Ein Asylwerber wurde getötet, 19 verletzt. Obwohl die Polizei herausfand, dass Brandbeschleuniger benutzt worden waren, und wusste, dass rechtsextreme Fußballfans sich in der Gegend herumgetrieben hatten, vertuschte sie das rechtsextreme Motiv. In bewährter Schuldumkehr wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, eine Zigarette sei der Auslöser des Brandes gewesen.
  • Im November 2009 brannte in St. Jakob bei Wolfsberg (Kärnten) wieder ein Flüchtlingsheim, die Ermittlungen wurden eingestellt.
  • Ende August/Anfang September 2010 explodierten innerhalb von drei Wochen drei Bomben in einem Flüchtlingsheim in Graz. Die ersten beiden Male waren es „nur“ Feuerwerkskörper, beim dritten Mal, am 10. September, kam ein professioneller Sprengkörper zur Detonation, der Menschen hätte töten können. In diese Zeit fiel der steirische Wahlkampf und die Veröffentlichung des bereits erwähnten FPÖ-Spiels „Moschee Baba“ (30. August), in dem User auf Minarette und Muezzine gegen die „drohende Islamisierung“ schießen konnten. Verantwortlich dafür war der FPÖ-Landeschef Gerhard Kurzmann, der bereits zuvor mit Flugblättern gegen das Flüchtlingsheim gehetzt hatte. Die FPÖ Graz produzierte ein Flugblatt, das an Grazer Haushalte ging, mit dem sie Stimmung gegen das „Asylantenheim“ machte und gegen die „Asylantenflut“ wetterte. Kurzmann persönlich sprach von einer „Not“ und „Ohnmacht“, die es durch „Zivilcourage“ zu überwinden gelte.
  • Am 6. Juli und 11. Juli 2010 verübten Rechtsextreme zwei Brandanschläge auf ein Zuwandererwohnheim in Wien-Floridsdorf. Die Täter hinterließen an den Wänden sogar den Namen ihrer Gruppe „Hammerskinz rule Floridsdorf“ und beschmierten sie mit „Hier leben bald tote Tschuschen“. Dieselbe Neonazi-Truppe „Hammerskinz“ war kurz zuvor am 18. Juni aufgefallen, als sie FPÖ-Chef Strache auf einer Kundgebung der rassistischen Bürgerinitiative Rappgasse gegen ein islamisches Kulturzentrum in unmittelbarer Nähe applaudierten. Laut Experten der Feuerwehr hätten Menschen sterben können, hätten sie sich zum Zeitpunkt des Anschlags in den Gängen des Hauses befunden. Noch vor dem ersten Anschlag riefen die Heimbewohner wegen rassistischer Morddrohungen an ihren Haustüren die Polizei, die allerdings nichts unternahm.
  • Drei Rechtsextreme verübten am 15. Jänner 2011 einen Brandanschlag auf einen muslimischen Gebetsraum in Kufstein (Tirol). Sie sollen zuvor Gebäude mit Hakenkreuzen, SS-Zeichen und der Zahl „88“ (Code für „Heil Hitler“) beschmiert haben, schütteten dann Benzin vor die Eingangstüre und warfen einen Molotov-Cocktail gegen den Gebetsraum. Der Erstangeklagte erklärte vor Gericht, dass er mit dem Anschlag zeigen wollte, dass sich „die Österreicher“ gegen die Türken wehren könnten. Zwei der drei Angeklagten mussten für mehrere Monate hinter Gitter, vom Vorwurf der nationalsozialistischen Wiederbetätigung wurden sie hingegen freigesprochen.
  • Am 22. Juli 2011 (am selben Tag des Breivik-Massakers in Norwegen) schoss Johann N. mit einem Kleinkalibergewehr in Traun (Oberösterreich) auf eine rumänische Familie, tötete den Vater Alecsandr H. (65 Jahre) und verletzte Mutter Olga (63) und Sohn Adrian (37) schwer. Die Polizei ging wie so oft zuerst von einem „unpolitischen“ Fall aus. Erst nach dem Selbstmord von N. in der Gefängniszelle wurde bekannt, dass er geplant hatte, weit mehr Menschen umzubringen, und er Österreich „von Ausländern befreien“ wollte. Dazu rüstete er sich mit acht Reservemagazinen und einem Messer aus. Er hoffte, von „gleichgesinnten Österreichern“ als „Retter des Landes“ aus dem Gefängnis befreit zu werden. Die Neonazi-Szene in Traun applaudierte der Tat: „Der Täter ist ein Österreicher … Als Österreicher bist du dort in der Minderheit. Immer mehr Österreicher wachen aus ihrem Tiefschlaf auf und wehren sich gegen die Unterwanderung.“
  • Rechtsextreme warfen am 27. Jänner 2013 einen Molotow-Cocktail auf das Flüchtlingsheim in Batschuns bei Feldkirch (Vorarlberg). Es folgte ein Gerichtsprozess wegen versuchter Brandstiftung. Der Schöffensenat verurteilte die Angeklagten zu Geld- und unbedingten Freiheitsstrafen (nicht rechtskräftig) und kam zu dem Schluss, dass „das Ganze nicht spontan“ passierte und sich die Täter „damit abgefunden“ hatten, „dass es zu einer größeren Feuersbrunst kommt“. Einer der Verurteilten hatte Kontakt zur rechten Szene und verwendete den Nazi-Code „88“ in seiner Email-Adresse.
  • In der Nacht auf 6. September 2015 zündeten mutmaßlich Rechtsextreme das Gasthaus Bad Eisenstein in Wörgl (Tirol) an, das für 48 Flüchtlinge als Unterkunft dienen sollte.
  • Am 14. Februar 2016 legten Rechtsextreme in einem Roma-Lager auf dem Voest-Gelände Feuer und zerstörten mindestens 15 Zelte. Zwei Tage später wurde erneut Zelte von mutmaßlich Neonazis abgefackelt. Am 2. März brannten unbekannte Täter erneut die Zelte einer 15-köpfigen Roma-Familie in der Linzer Unionsstraße ab. Wie so oft ermittelte die Polizei „in alle Richtungen“. Die Anschläge folgten jahrelanger Hetze gegen Roma und Sinti durch „Bettelverbote“ der Linzer Stadtregierung.
  • In der Nacht auf 1. Juni 2016 zündeten Rechtsextreme eine neugebaute, noch leerstehende Asylunterkunft in Altenfelden (Oberösterreich) an. Das Gebäude brannte vollständig ab. Die Behörden ermittelten „in alle Richtungen“, ehe die Staatsanwaltschaft das Verfahren nur fünf Monate später einstellte. In Altenfelden siegte die Solidarität: Das Heim wurde wieder aufgebaut und wurde feierlich eingeweiht. Zahlreiche Freiwillige mehr meldeten sich, um im Heim mitzuhelfen.
  • Vier Rechtsradikale warfen am 27. November 2016 mehrere Molotow-Cocktails auf das Asylheim in Himberg (Niederösterreich). Drei der Terroristen kamen laut Polizei aus dem Umfeld der FPÖ-nahen Neonazi-Organisation „Identitäre“, einer hat ein Hakenkreuz auf seine Brust tätowiert. Vor dem Gebäude wurde ein Lastwagen mit dem Identitären-Slogan „Phalanx“ beschmiert. Bei den Hausdurchsuchungen wurden verbotene Waffen und Nazi-Devotionalien gefunden. Der Prozess beginnt am 13. März 2020.