35 Stunden sind genug! Sozialarbeiterinnen drohen mit Streik

Beschäftigte im Sozialbereich forderten in dieser Woche auf Kundgebungen und Demonstrationen in ganz Österreich eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und drohen mit Streiks. Die Kollektivvertragsverhandlungen waren zuvor ergebnislos abgebrochen worden.
5. Februar 2020 |

In ganz Österreich gingen in dieser Woche Pfleger_innen, Sozialarbeiter_innen und Betreuer_innen auf die Straße, darunter in mehreren Einrichtungen in Niederösterreich (bereits vorige Wochen protestierten Belegschaften in St. Pölten) in der Steiermark (in Graz hielten über 100 Beschäftigte eine Mahnwache ab),  Oberösterreich, Kärnten, Salzburg und in Wien.

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), bekräftigte auf der Kundgebung am Stephansplatz vor 800 Teilnehmer_innen in Wien: „Wir haben bei den diesjährigen KV-Verhandlungen nur eine einzige Forderung auf den Tisch gelegt: Die 35-Stunden-Woche bei vollem Personal- und Lohnausgleich! Warum? Weil Pflege, Betreuung und Sozialarbeit körperliche und emotionale Schwerstarbeit ist.“

Arbeitsbedingungen

Eine Kollegin aus der mobilen Pflege erzählte aus ihrem Arbeitsalltag: „35 Stunden in der Hauskrankenpflege sind genug! Weil wir jeden Tag von Klient zu Klient laufen. Wir müssen heben, mobilisieren, uns bücken und strecken.“ – wobei die Anwesenden ihr „strecken“ schon mehr als Aufforderung zu „streiken“ interpretieren konnten.

Österreichweit gibt es derzeit 30.000 Pflegekräfte, die zwar registriert sind, aber derzeit nicht im Sozialbereich arbeiten, kritisierte Beatrix Eiletz, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark. Viele nur Teilzeit, sodass eine Arbeitszeitverkürzung und ordentliche Arbeitsverhältnisse die Bedingungen enorm verbessern würden. Die GPA-djp rechnet mit Gehaltszuwächsen von rund 8,6 Prozent.

Regierung im Visier

Eine Heimhilfe, die bislang 27,5 Stunden Teilzeit arbeitet und 1.100 Euro verdient, würde so 100 Euro mehr bekommen. Ein Betriebsrat der Lebenshilfe ging dabei direkt auf Kanzler Sebastian Kurz los, bezeichnete ihn als „Ohrwaschelkaktus“, weil „uns dieser Mensch einfach immer nur verarscht“: „Wenn ich bedenke, dass bei den Casinos jemand 600.000 Euro für Nichts bekommt, und wir uns um einen Hunderter für eine Behindertenbetreuerin streiten. Das ist absolut lächerlich!“

https://www.facebook.com/gewerkschaftvida/videos/168069241274950/

Auch Gerald Mjka, Vorsitzender des Fachbereis Gesundheit in der Gewerkschaft vida, nahm die neue schwarz-grüne Koalition in die Pflicht: „Unsere Eltern und Großeltern haben es verdient, dass sie in Würde und mit Zeit gepflegt werden. Deshalb ist es Zeit, dass sich diese Bundesregierung dazu bekennt, die Pflege langfristig mit ausreichenden Mitteln auszustatten.“

Frauen unterbezahlt

Statt der Arbeitsreduzierung haben die Arbeitgeber eine geringfügige Gehalts- und Lohnerhöhung von 2,35 Prozent angeboten. Axel Magnus, Betriebsrat bei der Sucht- und Drogenkoordination Wien (SDW), lehnte das auf der Kundgebung in Wien ab: „Sie wollen, dass wir uns mit 2,35 Prozent zufrieden geben, in einer Branche, die massiv unterbezahlt ist!“  

Selma Schacht, Betriebsrätin des Vereins Wiener Kinder- und Jugendbetreuung, ergänzte, warum das eine besondere Frechheit ist: „Wir Frauen verdienen im Sozial- und Gesundheitsbereich zwischen 17 und 20 Prozent unter dem Durschnitt. Bleibt es bei den 2,35 Prozent, würde dieser Unterschied größer werden. Das Angebot ist einfach viel zu wenig!“ Mehr als 70 Prozent in der Branche sind Frauen.

Solidarität gefordert

GPA-djp und die vida verhandeln derzeit den Kollektivvertrag (KV) der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- & Sozialberufe (BAGS). Die Gewerkschaften fordern für die 125.000 Beschäftigten in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), dem Verband der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen, eine sofortige Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei gleichem Lohn für Vollzeitbeschäftigte, gleiches Stundenausmaß für Teilzeitbeschäftigte und vollem Personalausgleich.

Am 29. Jänner wurden die Verhandlungen bisher ergebnislos abgebrochen. Die Arbeitgeber verweigerten – bis auf die Volkshilfe Österreich, hier deren Stellungnahme, und wenige weitere Ausnahmen – die Gespräche über eine Stundenreduktion völlig. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der Dachverband der Teilgewerkschaften, hat bereits die Streikfreigabe erteilt.

Menschen können sich solidarisch zeigen, indem sie die Proteste unterstützen und die Petition der Gewerkschaft für die 35-Stunden-Woche unterzeichnen. Zur SWÖ gehören die Volkshilfe Österreich, die Lebenshilfe, das Österreichische Hilfswerk, der Arbeiter-Samariter-Bund und viele andere Betriebe aus den Sozialsparten.

Redaktionelle Mitarbeit: Karin Wilflingseder.