Ursache für das Feuer war Rassismus
Linkswende jetzt: Seit dem Brand in Moria spricht die EU über den „neuen Pakt“ für Asyl- und Migrationsmanagement, der vor allem eine verschärfte Version der bestehenden Schengen-Regeln werden dürfte – mit mehr Einschränkungen für Asylwerber_innen, mit mehr Möglichkeiten Menschen zu deportieren und noch mehr Verantwortung für Länder wie Griechenland und Italien.
Petros Constantinou: Ich fange am besten damit an, was in Moria geschehen ist. Es ist eine Kombination rassistischer Maßnahmen, die von der Regierung gegen die Corona-Pandemie ergriffen wurden. Man muss sich vorstellen, in Moria lebten 30.000 Menschen, meistens in Zelten und ohne heißem Wasser und oft ohne einer Möglichkeit sich zu waschen oder Distanz zu halten.
Die griechische Regierung hat eine Quarantäne über das Lager verhängt, nachdem man 23 Flüchtlinge positiv auf Covid-19 getestet hat. Anstatt die Infizierten in ein Krankenhaus zu bringen, befahl man ihnen in ein Lagerhaus zu gehen, das komplett leer war. Das war der Funken, der die Revolte dort ausgelöst hat. Wir wissen nicht wer das Feuer gelegt hat, aber wir wissen, was die Ursache für das Feuer war. Die Ursache für das Feuer war Rassismus, die Politik der Isolierung der Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge lebten länger als zwei oder drei Jahre unter diesen schrecklichen Bedingungen. Das ist das Resultat der Politik der Europäischen Union, die ihre Grenzen geschlossen hat, die sogar illegale Push-Backs (Aussetzen von Menschen auf hoher See) in der Ägäis und am Grenzfluss Evros organisiert. Tausende ertrinken im Mittelmeer, Menschen werden dort ermordet. Griechische Inseln wurden zu großen Gefängnissen. Sogar wenn man Asyl bekommen hat, steht man vor diesen Grenzen, man darf von Inseln wie Lesbos nicht aufs Festland, außer die Polizei gibt einem eine Ausnahmegenehmigung. Tausende dort haben Asyl und sitzen trotzdem auf den Inseln fest. Das ist die Situation, die zu dem Feuer geführt hat.
Nur zwei Wochen nach dem Feuer hat die Regierung das neue Lager Kara Tepe errichtet, in einer Region an der Küste, wo es im Winter unter Null Grad haben kann – und dort gibt es nur Zelte als Unterkünfte. Es ist ähnlich dem alten Lager, nur viel schlimmer.
Deshalb fordern wir als antirassistische Bewegung die Öffnung der Inseln, Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge in ganz Europa. Wir solidarisieren uns mit allen Bewegungen in Europa, die Flüchtlinge Willkommen heißen. In Deutschland gibt es bereits mehr als 180 Städte, die für Flüchtlinge offen sind.
In dieser Situation bewegt sich die EU auf die Unterzeichnung eines neues Übereinkommens zu, dem „neuen Pakt für Migration und Asyl“, in dem alle rassistischen Maßnahmen, die unsere Regierung praktiziert hat, bestätigt und legal festgeschrieben werden.
Die rassistischen Maßnahmen der griechischen Behörden sind zur Grundlage des neuen Pakts geworden: die totale Schließung der Grenzen am Fluss Evros, die illegalen Push-Backs, und die Gefangennahme und Kriminalisierung der Asylwerber_innen.
Linkswende jetzt: KEERFA ist gleichzeitig sehr erfolgreich im Kampf gegen die faschistische Goldene Morgenröte.
Petros: Man muss den Kampf gegen Faschismus mit dem Kampf gegen Rassismus zusammenbringen. Rassistische Politik ist der Nährboden für die Faschisten, um ihre Bewegungen aufzubauen. Die Grundlage unserer Arbeit muss deshalb die antirassistische Arbeit sein, die Solidarität mit Flüchtlingen. Das muss zentral sein. Wenn wir die Rassisten bezwingen, dann besiegen wir damit auch die Faschisten. Wir haben aber auch die faschistischen Politiker selbst konfrontiert, als sie ins Parlament gekommen sind.
Linkswende jetzt: Solidarität mit Flüchtlingen ist ganz klar eine Schlüsselfrage für die antirassistischen Bewegungen. Aber Liberale und Konservative behaupten heute, dass die sogenannte Flüchtlingswelle von 2015 die rassistische Rechte gestärkt hat. Wenn man nach Griechenland schaut, dann ist diese Behauptung ganz klar widerlegt.
Petros: Es ist die rassistische Politik der Regierung, die die extreme Rechte stärkt. Wir sind in einer Periode der ökonomischen Rezession. Sie laden die ganzen Sparmaßnahmen auf den Rücken der Arbeiter_innen ab, deshalb wollen sie die Arbeiter_innen spalten; in verschiedene Nationalitäten, Religionen, Geschlecht und so weiter, das ist die Grundlage von „Teile und Herrsche“. Diese Hexenjagd auf Zuwanderer und Flüchtlinge und die Islamophobie öffnet der extremen Rechten die Tore. Ihre ehemals marginalisierten Ansichten sind heute Mainstream und legalisiert worden.
Wir können also nicht den Flüchtlingen die Schuld geben, sondern nur den Regierungen, die vor den Rassisten zurückweichen und ihnen nachgeben.
Linkswende jetzt: Die Medien hier vermitteln den Eindruck, dass die griechische Bevölkerung sich gegen Flüchtlinge stellt, und dass auf den Inseln gegen Flüchtlinge protestiert wird.
Petros: Nein, das entspricht nicht der Wahrheit. Wir haben eine neue konservative Regierung. Sie und die lokalen Verwaltungen versuchen gemeinsam die Bevölkerung gegen die Flüchtlinge aufzubringen und so die Wut auf die neoliberale Politik umzulenken.
Man braucht sich nur das Beispiel von Lesbos ansehen. Im Februar hat die Regierung versucht, dort den Bau eines neuen Gefangenenlagers zu erzwingen. Es kam deswegen zu einer sozialen Explosion. Drei Tage lang gab es einen Generalstreik der lokalen Gewerkschaften. Die Polizei wurde von der Insel vertrieben, die Regierung konnte das geschlossene Lager nicht durchsetzen. Es gibt Widerstand, die Arbeiterbewegung ist aktiv. Die Darstellung, dass sich der öffentliche Zorn gegen die Flüchtlinge gewendet hat, ist Fake News. In den letzten beiden Wochen waren die Faschisten auf Lesbos, sie haben Rückendeckung durch die Polizei, aber die Faschisten konnten die lokale Bevölkerung überhaupt nicht auf ihre Seite ziehen. Stattdessen haben Tausende in Solidarität mit Flüchtlingen demonstriert.
Linkswende jetzt: Eine weit verbreitete Sichtweise ist die einer EU, die eigentlich faire Lösungen für Flüchtlinge sucht, aber von Staaten wie Österreich und Ungarn daran gehindert wird. Dabei sind doch die Lager auf den griechischen Inseln die direkte Konsequenz der EU-Flüchtlingspolitik, obwohl es stimmt, dass Österreich eine besonders schmutzige Rolle spielt.
Petros: Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, war an der griechischen Grenze mit der Türkei, als die griechische Armee Flüchtlinge gemeinsam mit paramilitärischen Einheiten und Faschisten attackiert und getötet hat. Sie hat sich bei der Gelegenheit dafür bedankt, dass hier die europäischen Grenzen verteidigt würden.
Und sie geben der Regierung Erdogan sechs Milliarden Euro! Warum? Weil es die Strategie der Europäischen Union ist, die Flüchtlinge aus der EU draußen zu halten und in Lagern, wie denen in Libyen, wo es zur Versklavung von Flüchtlingen kommt. Das ist das Resultat der Politik der EU.
Linkswende jetzt: Worum geht es bei dem Prozess gegen die Politiker der Goldenen Morgenröte und bei eurem Protest am 7. Oktober?
Petros: Am 7. Oktober ist der Tag an dem das Gericht seine Urteil über die 68 Neonazis der Goldenen Morgenröte bekannt geben wird, die beschuldigt sind, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben und an den Morden an Pavlos Fyssas und Shazat Luqman beteiligt gewesen zu sein, sowie an zahlreichen anderen brutalen Attacken auf Linke und Gewerkschafter. Dieser Tag ist deshalb besonders wichtig. Wenn der Staat sie freisprechen würde, dann bekämen die Neonazis Zugriff auf mehr als acht Millionen Euro, dem Geld von den gesperrten Konten. Außerdem wäre es ein Signal an alle Faschisten ihre Angriffe auf die Bewegungen, die Arbeiter und Zuwanderer wieder fortzusetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass sie verurteilt werden und im Gefängnis bleiben.
Wir brauchen internationale Solidarität und auch finanzielle Unterstützung für unsere Kampagne für die Verurteilung der Goldenen Morgenröte.