Was die Faschisten in den Koalitionsgesprächen forderten

Hat Kickl sich verspekuliert? Ist mit dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen endlich der Aufstieg der FPÖ am Ende? Oder hat Kickl sich auch im politischen Praxistest als unbeugsamer Kämpfer gegen das System inszenieren können? Die Antwort fällt für eine rein rechts-populistische Partei ganz anders aus, als für eine ernsthaft faschistische Partei.
17. Februar 2025 |

Ob man sich wirklich verspekuliert hat, ist für die FPÖ weniger klar als für die ÖVP. Im Wahlkampf hat die ÖVP noch vor der FPÖ gewarnt, und gemeint, dass Kickl ein Rechtsextremer sei, mit dem man nicht regieren könne. Und dann, nachdem sie ihr großes Wahlversprechen, niemals mit so jemanden regieren zu wollen, gebrochen hat, musste sie herausfinden, dass Kickl tatsächlich kein bloßer Populist ist, sondern ein sehr politischer Rechtsextremer. Wenn Rechtspopulisten gegen Fremde, Minderheiten oder etwa Klimaschützer hetzen, dann soll das Stimmen bringen, und diese Stimmen würden sie dann im Ringen um Macht und Einfluss als Verhandlungsmasse einsetzen, aber die Themen selbst blieben eine Nebensache. Echte Rechtsextreme dagegen sind von ihren typischen Themen, wie ethnischer Reinheit (Homogenität), Familie, Zuwanderung, Muslime oder ihren Verschwörungstheorien richtiggehend besessen.

Schwurbler mit absoluter Macht

Aber auch „rechtsextrem“ greift zu kurz, denn zwischen rechtsextrem und faschistisch gibt es einen riesengroßen Unterschied. Faschisten haben ein relativ geschlossenes Weltbild und eine klare Vorstellung davon, wie ihre Regierungsform aussehen soll: mehr oder weniger wie die NS-Diktatur unter Adolf Hitler. Im Faschismus wird Männern und Frauen, Anhängern der krudesten Verschwörungstheorien und des reaktionärsten Menschenbildes, die Macht über Leben und Tod gegeben. Diese Menschen füllten damals die Ränge der SS und KZ-Aufseher,

Bedingungen für den Bürgerkrieg

Allen Faschisten, die noch etwas Realitätssinn besitzen, ist völlig klar, dass sie eine solche Diktatur nicht einfach von oben per Regierungsdekret umsetzen können. Dazu müssen sie die etablierte Gesellschaftsordnung vorher in einem Bürgerkrieg zerschlagen bzw. weichklopfen. Ganz konkret müssen sie die Gewerkschaften und die anderen Kräfte der Arbeiter:innenbewegung zerschlagen und ihrer Möglichkeiten zum Widerstand berauben, bevor sie so weit wie Hitlers Schergen gehen können. Und weil die Zeit für diesen Bürgerkrieg noch nicht gekommen ist, müssten Faschisten, wenn sie heute an die Macht kommen, alles daransetzen, die Bedingungen für den kommenden Machtkampf zu verbessern. Diese Ausrichtung auf den Bürgerkrieg hat die Burschenschaft Olympia, aus der zahlreiche FPÖ-Politiker stammen, in einem Text mit dem Titel „Umsturz 2010“ völlig unverblümt publiziert: „Wir müssen uns durch mentale wie politische Vorbereitung rüsten, um dann, wenn es darauf ankommt, unsere Handlungsfreiheit bewahren zu können und uns zum Wohle unseres Volkes mit aller Kraft in die Waagschale werfen zu können! Jede Krise bringt ihre Revolution mit sich – lasst uns diese zu unserer werden“. Für die Faschisten ist die Marschrichtung also völlig klar, nur ihre liberalen Gegner wollen das nicht wahrhaben.

Geht man davon aus, dass man es bei der FPÖ mit einer waschechten faschistischen Partei zu tun hat, dann machen ihre Forderungen aus dem öffentlich gewordenen Dokument zum Stand der Koalitionsverhandlungen, knapp vor deren Abbruch, tatsächlich Sinn.

Im Sinne der Schwächung ihrer Gegner und von hinderlichen Regelwerken verlangten sie:

  • die Abwertung der Menschenrechte
  • die Abschaffung des Rechtsextremismusberichtes
  • die Legalisierung der aktuell illegalen Pushbacks an den EU-Grenzen
  • eine massive Einschränkung des Demonstrationsrechts
  • unliebsame Parteien wie die „Liste Gaza“ sollen verboten werden
  • Klimaproteste – Stichwort Klimakleber – würden illegal
  • Umweltorganisation sollten ihre Großspender offenlegen
  • die Herabsetzung des Alters für Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre
  • den Ausbau von Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen
  • die Stigmatisierung fremdsprachiger Kinder in Sonderklassen
  • öffentliche Mittel für den unliebsamen ORF und für Qualitätsmedien wurden infrage gestellt

Der Unterschied zu einer bloß rechtsextremen Partei wird völlig klar, wenn man diese Liste an Forderungen in den richtigen Zusammenhang stellt. So würde eine faschistische Partei agieren, der einerseits bewusst ist, dass die Zeit für Bürgerkrieg und Diktatur noch nicht reif ist, die aber in der glücklichen Lage ist, dank ihrer Wahlerfolge die Politik eines Landes zu prägen. Kickl ist sich wahrscheinlich mehr als andere FPÖ-Politiker bewusst, wie schmal der Grat ist, auf dem sie wandeln. Auf der einen Seite winken Posten, Macht und Geld – Versuchungen, denen seine Vorgänger oft erlegen sind. Auf der anderen Seite droht der politische Absturz, wenn man sich zu offensichtlich oder zu früh als faschistisch entpuppt. Die FPÖ ist als NSDAP-Nachfolgepartei in diesem Balanceakt geübter als ihre europäischen Mitstreiter von der AfD bis zum Rassemblement National. Dieser Balanceakt braucht ein ständiges Ausloten, wie weit man sich nach rechts hinauslehnen kann, ohne von den etablierten politischen Parteien und den Medien als Nazipartei gebrandmarkt zu werden und ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.

Keine Hure der Reichen

Nach dem im Jänner 2024 aufgedeckten Skandal von Potsdam, wo Martin Sellner vor AfD-Politikern über „millionenfache Remigration“ schwafeln durfte, hat Kickl sich als einziger rechter Parteiführer nicht von diesen Fantasien distanziert. Er hat vor den anderen verstanden, dass die Zeit dafür schon reif ist. Wahrscheinlich hätte er solche Pläne mit der ÖVP sogar verwirklichen können, aber der Preis dafür dürfte ihm zu hoch gewesen sein. Die ÖVP hat scheinbar darauf beharrt, dass Österreich ein treuer EU- und NATO-Partner bleibt. Der Rechtskurs der ÖVP hat eine andere Grundlage als die Politik der FPÖ. Die Konservativen sind natürlich überall dabei, wo es gelingen könnte, rechte Politik und das rechte Lager insgesamt auf Kosten der Arbeiter:innenbewegung zu stärken, aber sie versteht sich quasi offiziell als „Hure für die Reichen“ (Zitat: Thomas Schmid), und das macht es eben schwierig, frontal gegen das herrschende System anzutreten. Faschistische Parteien haben im Gegensatz dazu ein eigenständiges Programm, das sich zwar zu einem großen Teil mit den Interessen des Kapitals deckt, sind aber keineswegs nur Erfüllungsgehilfen der Reichen. Sie wissen, dass sie ohne eine gewisse Unterstützung des kapitalistischen Staats ihre Pläne nicht werden durchsetzen können. Vor allem Justiz, Polizei und Militär dürfen sie sich nicht zum Feind machen – diese Institutionen werden stattdessen von ihnen unterwandert.

Was jetzt droht

Die FPÖ behält wahrscheinlich recht, wenn sie auf eine weitere Vertiefung der Krise setzt, und ihren Kurs darauf abstimmt. Die Krisen sind jetzt schon so destruktiv, dass das politische Zentrum nicht mehr standhalten kann. Es bröckelt und verliert an die radikalen Pole. Die Linke darf nicht den Fehler machen, die Polarisierung den Rechten zu überlassen. Auch die Linke muss in der Krise stärker werden und ihre Kräfte aufbauen, einerseits aus defensiven Überlegungen, weil wir den Demokratieabbau verhindern und die Betroffenen verteidigen müssen; andererseits muss sie sich auch auf die Offensive vorbereiten. Nur wenn die radikale Linke als Kraft wahrgenommen wird, die das kapitalistische System bekämpft und von den Mächtigen gefürchtet wird, kann sie von der Polarisierung profitieren und Massen hinter sich sammeln. Wir müssen einen beherzten Kampf gegen das System führen, denn solange Kapitalismus herrscht und die Menschheit in katastrophale Krisen führt, solange wird Faschismus immer wieder sein schmutziges Haupt erheben.