Carla Amina Baghajati: „Wir müssen offensiv werden!“

Karin Wilflingseder hat mit Carla Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), über antimuslimischen Rassismus und die jüngste Ausladung bei Women’s March Vienna gesprochen.
30. Januar 2017 |

Karin Wilflingseder: Darf ich dir zuerst meine große Hochachtung ausdrücken. Als standhafte muslimische Frauenrechtlerin bist du einerseits ein Vorbild für viele junge Frauen, andererseits kommen viele Angriffe. Leider wurde erst kürzlich deine Rede beim Women’s March Vienna verhindert. Wie geht es dir jetzt damit und welche Schlüsse ziehst du, beziehungsweise soll die Bewegung gegen Rassismus und Sexismus daraus ziehen?

Carla Amina Baghajati: Ich war davon ausgegangen, dass Frauensolidarität gerade jetzt, wo so viele reaktionäre Tendenzen uns bedrohen, eine starke Ausgangsbasis bildet. Darum hatte ich mich über die Einladung auch so gefreut und hätte sehr gerne eine starke Rede gehalten. So wie man mich von anderen Frauendemos kennt, vor allem das Gemeinsame betonend.

Was dann passiert ist, war auch ein Stück entlarvend – selbst wenn es um eine überschaubare Zahl „Verhinderer“ geht – und hat ans Licht gebracht, wie viel Dialogbedarf selbst in der Frauenbewegung besteht. Wichtigen Akteurinnen ist das bewusst geworden. Wir sind zusammen gesessen und es gab eine Entschuldigung – wobei sich die eigentlichen Betreiberinnen der Ausladung weiterhin bedeckt halten. Auch das ist entlarvend. Aber das wichtigste ist, nun ernsthaft, offensiv und zugleich mit optimistischer Energie gemeinsam für die Zukunft zu planen.

Welche Reaktionen hast du nach dem Women’s March Vienna erlebt, gerade auch aus der muslimischen Community?

Großen Rückhalt und auch berechtigte Hartnäckigkeit wissen zu wollen, was da gelaufen ist. Schon bevor der March losging, kamen Anrufe und sowohl engagierte Frauen als auch zivilgesellschaftliche Gruppen wie das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft haben über die sozialen Medien nicht lockergelassen, anklagend Aufklärung zu fordern. Sie haben es mit ihrem selbstbewussten Auftreten geschafft, die ganze Absurdität der Situation bewusst zu machen.

Das angedachte Kopftuchverbot ist ein Angriff auf jene Musliminnen, die eine Unterwerfung an die Normen westlicher Eliten verweigern. Du als Lehrerin würdest dich dem rassistischen Verbot nicht beugen, das hast du Gernot Blümel (ÖVP) im ORF ins Gesicht gesagt und gut gegen das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst argumentiert. Denkst du, kollektive Zivilcourage kann staatliche Angriffe stoppen?

Ja! Da spielen Politiker populistisch mit Ängsten in der Bevölkerung, anstatt etwas für den sozialen Zusammenhalt zu tun. Und eben diese Bevölkerung durchschaut die Symbolpolitik, die den Muslimen als den „bedrohlichen Fremden“ Unterwerfungsgesten abverlangen will – bezeichnenderweise den Frauen, die man auch noch zu „befreien“ behauptet. Klassischer männlicher Paternalismus. Mir haben besonders die humorvollen aktionistischen Ideen gefallen, etwa als Frauen überlegt haben, wenn es ernst würde, alle ein Kopftuch aufzusetzen…

Ich empfinde es als absurd, dass einer Frau mit Kopftuch oft ein individueller Charakter abgesprochen wird. Ihr ganzes Wesen wird auf diesen einen Aspekt ihres Aussehens reduziert. Islamfeindliche Gewalt ist bezeichnenderweise auch die einzige Form von rassistischer Gewalt, in der die Mehrzahl der Opfer Frauen sind. Wie schätzt du die Lage bezüglich verbaler und körperlicher Attacken ein?

Bei der Dokustelle für Muslime häufen sich die Meldungen. Ihre Arbeit ist auch darum wichtig, weil selbst bei einer polizeilichen Anzeige der islamfeindliche Hintergrund nicht gesondert festgehalten wird. Mit diesem Datenmaterial kann politisch der dringende Handlungsbedarf aufgezeigt werden. Mir gefällt der Zugang der Dokustelle, sich nicht zum Opfer stempeln zu lassen. Dokumentiert wird auch die Zivilcourage, wenn Leute dazwischen gehen, und am Empowerment für Frauen gearbeitet.

Ich empfehle an dieser Stelle dein Buch „Muslimin sein. 25 Fragen – 25 Orientierungen“. Darin gehst du auf wichtige Fragen ein, zum Beispiel „Bin ich als Muslimin auf die Rolle als Hausfrau festgelegt? Gilt ein Bub mehr als ein Mädchen?“ Was hat dich motiviert das Buch zu schreiben?

Ich wollte ein Buch für zwei Zielgruppen schreiben. Einerseits für Musliminnen, die Argumente brauchen, um gegen patriarchale Auslegungstraditionen zu agieren und sich selbst zu stärken. Andererseits für alle Interessierten, die neugierig sind, eine differenziertere Sicht auf „Frau im Islam“ zu gewinnen. Damit möchte ich die Kluft zwischen Außenwahrnehmung  und Innensicht überwinden helfen und aufzeigen, wie über Kultur und Religion hinaus Frauen immer wieder mit ähnlichen Mustern der Marginalisierung zu kämpfen haben. Essentialistische Zuschreibungen als „schwaches Geschlecht“, weswegen die Frau „beschützt“ werden müssen, gibt es in vielfältigem Gewand.

#NoMuslimBan als Vorbild: Rebelliert gegen das geplante Kopftuchverbot!

#NoMuslimBan als Vorbild: Rebelliert gegen das geplante Kopftuchverbot!

Umso spannender ist es, als Frauen gemeinsame Strategien dagegen zu entwickeln. Im interreligiösen Dialog ist da schon einiges gelungen – auch im interfeministischen. Nun bin ich zuversichtlich, dass wir dort noch mehr Auftrieb bekommen, weil so vielen Frauen klar geworden ist, dass wir derartige Begegnungen, Diskussionen und erst recht gemeinsame Aktionen füreinander brauchen. Ich freue mich darauf!

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.