„Überbevölkerung“: Gibt es zu viele Menschen?
Auf den ersten Blick scheint es logisch, dass mehr Menschen zu Nahrungsknappheit und mehr Emissionen führen würden. Aber eine angebliche „Überbevölkerung“ hat die Klimakrise nicht heraufbeschworen. Wir behaupten, es ist falsch, überhaupt von einem Zuviel an Bevölkerung zu reden – zumindest, solange der Zugang und der Verbrauch von Ressourcen nicht demokratisch reguliert ist.
Das Kapital, nicht der Mensch
Verbrauch und Mangel an Ressourcen und damit Hunger und Umweltzerstörung sind nicht abhängig von absoluten Zahlen, sondern vielmehr vom kapitalistischen Wirtschaftssystem, dessen Grundlage in der Gewinnung von Profit liegt. Basierend auf dem World Food Report der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) argumentiert Jean Ziegler, dass die globale Landwirtschaft problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte – fast das doppelte der Weltbevölkerung.
Alle 10 Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen von Unternährung, alle 8 Sekunden ein Mensch an den Auswirkungen von Übergewicht. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung (3,4 Milliarden Menschen) trug im frühen 21. Jahrhundert nur 7% zu den weltweiten Emissionen bei, während die reichsten 7% (500 Millionen Menschen) für die Hälfte aller Gesamtemissionen verantwortlich waren, zeigen Andreas Malm und Alf Hornburg in The geology of mankind?.
Diese Tatsachen alleine sollten die Angst vor einer vermeintlichen Überbevölkerung schon zerstreuen. Das Bevölkerungswachstum ist in ärmeren Ländern zwar immer noch größer, hat aber am wenigsten Einfluss auf den Planeten. Der richtige Ansatzpunkt für klimabewusste Veränderungen liegt deshalb in den reichen Ländern, die gleichzeitig auch noch die Mittel haben, um diese Änderungen umzusetzen. Und in diesen Ländern wiederum sind die Zentren der multinationalen Konzerne, die sowohl in den entwickelten als auch in den armen Ländern die Hauptverantwortlichen für die Klimakatastrophe sind.
An dem einen Ort werden die Rinder gehalten, an einem komplett anderen wird der Mais für das Futter angebaut © Jeff Vanuga (USDA Natural Resources Conservation Service)
Seit 1988 gehen laut dem Carbon Majors Report 71% der CO2-Emissionen auf das Konto von nur 100 Konzernen. Gemessen an den historischen Emissionen sind sie für über die Hälfte verantwortlich. Genau diese Großunternehmen wälzen jedoch mit dem Verweis auf Angebot und Nachfrage alle Schuld auf die Konsument_innen ab.
Hungersnöte sind also ein Symptom von Armut, nicht von Nahrungsmittelknappheit, und um dieses Problem zu lösen, benötigt es eine gerechtere Ressourcenverteilung und eine nachhaltige Entwicklung dieser Länder. Dazu gehört nicht nur ein Ausbau der Infrastruktur, sondern auch allgemeiner Bildungszugang und Gesundheitsversorgung, was wiederum einer Überbevölkerung entgegenwirkt. Immer wieder hat sich im Laufe der Geschichte gezeigt, dass gleichzeitig mit einer Erhöhung des Lebensstandards auch die Geburtenraten sinken.
Ein rechtes Argument
Wer die Bevölkerungszahl als das größte gesellschaftliche Problem sieht, begeht zwei grobe Fehler: Bevölkerungszahlen steigen nicht von Natur aus ins Unendliche, sondern sind vom gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld abhängig und die eigentliche Gefahr geht von einem rein profitorientierten Wirtschaftssystem aus.
Der erste Fehler geht zurück auf Thomas Malthus, der 1798 postulierte, dass die globale Nahrungsmittelproduktion nie schnell genug gesteigert werden könnte, um mit den wachsenden Bevölkerungszahlen mitzuhalten. Diese Sichtweise konnte schon zu seiner Zeit viele Wissenschafter_innen nicht überzeugen und heute zeigt ein kurzer Blick auf die Fakten, dass sogar mehr Nahrungsmittel produziert werden, als notwendig. Bei richtiger Verteilung könnten wir heute fast die doppelte Weltbevölkerung mit Lebensmitteln versorgen.
Damit wären wir auch bei dem eigentlichen Problem: ein Wirtschaftssystem, das keine faire Verteilung zulässt. Schon damals gab es progressive Strömungen, die dieses Problem erkannten und gegen diese richtete sich Malthus, indem er behauptete, dass das Hungerproblem gar nicht gelöst werden könne. Genau wie von Malthus damals, werden Angstmache, Lügen und Halbwahrheiten heute noch verwendet, um den Status Quo zu verteidigen und sozialen Fortschritt aufzuhalten.
Bevölkerung dezimieren?
Anstatt an grüner Energie, nachhaltiger Wirtschaft und gerechter Verteilung zu arbeiten, werden Angstbilder von einer außer Kontrolle geratenen Bevölkerungsexplosion in Schwellen- und Entwicklungsländern heraufbeschworen. Meist wird mit dem Bild einer Überbevölkerung die Botschaft transportiert, es gebe zu viele arme Menschen, vor allem, es gebe zu viele Menschen im globalen Süden.
Man unterstützt, ob bewusst oder aus einem Missverständnis heraus, die Agenda rechter Parteien und reproduziert rassistische Ideen. Und was folgt auf das Argument, es gebe zu viele Menschen? Man müsste dafür sorgen, dass es weniger werden. Das kann gegen Hilfe für die Hungernden in Regionen der Welt verwendet werden, also als rechtes Argument gegen internationale Solidarität, nach dem Motto: Lasst sie sterben, dann regelt sich das Problem von selbst.
Oder noch schlimmer, man sorgt, wie es schon einmal der Fall war, für Bevölkerungskontrolle: Wozu das führt sah man 1975/1976 in Indien, als 8 Millionen Menschen zwangssterilisiert wurden, oder 1980 in China, als im Namen der Ein-Kind-Politik Eltern mit mehr als 2 Kindern sterilisiert wurden und es zu Zwangsabtreibungen kam. Die Angst vor der Überbevölkerung ist somit nicht nur unbegründet, sondern auch gefährlich. Sie rechtfertigt unmenschliche Politik, die sich gegen den ärmsten Teil der Weltbevölkerung richtet.
Es ist kein Zufall, dass in ärmeren Regionen die Bevölkerung wächst und in reicheren schrumpft. Als in Europa die Kindersterblichkeit noch hoch war und die Altersversorgung nicht durch das Sozialsystem abgesichert, war die Geburtenrate sehr hoch. In Deutschland betrug sie im Jahr 1871 noch 4,7 Kinder je Frau, 2010 nur noch 1,4 Kinder je Frau. In Indien kamen um 1900 noch 5,8 Kinder je Frau, 2010 nur noch auf 2,4 Kinder, also eine gerade noch wachsende Bevölkerung. Das heißt, die ganze Sorge um eine ständig wachsende Bevölkerung übersieht die sozialen Grundlagen für Geburtenraten und Bevölkerungszuwachs.
Die Anzahl der Kinder einer Familie hängt von der Sozialleistung und dem Lebensstandard im jeweiligen Land ab © david jean felix-Blog
Wohlstand für alle
Natürlich sind sehr viele Akteure, die das Argument von Überbevölkerung ins Feld führen nicht dafür, die Bevölkerungszahlen aktiv zu reduzieren, es ist einfach auf den ersten Blick so schlüssig: mehr Menschen, mehr Konsum, mehr Produktion und deshalb mehr Verschmutzung.
Aber, wie oben schon erwähnt, tragen die Regionen, in denen die Menschheit wächst, kaum zur Erderwärmung bei. Beispielswise werden 70 Prozent der Lebensmittel weltweit auf nur 25 Prozent des nutzbaren Bodens produziert – in Gärten und kleinbäuerlichen Betrieben. Wie die großen Agrokonzerne den Boden nutzen, ist extrem verschwenderisch.
Das wichtigste Argument geht bei der Diskussion über Bevölkerungszahlen immer unter: wir müssen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe aussteigen. Das ist machbar und das bedeutet nicht, dass wir auf Wohlstand und Mobilität verzichten müssen. Energie kann und muss nachhaltig gewonnen werden und Transport kann von Verbrennungsmotoren unabhängig gemacht werden.
Das ist wichtig, denn wir wollen, dass auch die Menschen aus den ärmsten Regionen in Wohlstand leben können. Man kann nicht sagen, die heute Armen dürfen nicht unseren Lebensstil haben, sonst geht alles den Bach runter. Wir müssen unser Leben im globalen Maßstab anders organisieren. Das heißt, wir müssen die kapitalistische Produktionsweise überwinden, also Kapitalismus stürzen und unsere Zukunft demokratisch gestalten. Wir nennen das Sozialismus.
Wir befinden uns in der absurden Situation, in der die Verfechter von Ungleichheit, Rassismus und Kapital vor Bevölkerungsexplosion und Massenmigration warnen, während sie gleichzeitig mit allen Mitteln die Lösung dieser konstruierten Probleme bekämpfen: Eine gerechte Ressourcenverteilung und guter Lebensstandard für alle.