Sichere Unterkünfte für Obdachlose – jetzt und auf Dauer

„Bleiben Sie zu Hause“ – dieser Satz ist mit dem Corona-Virus zu unserem ständigen Begleiter geworden. Aber was ist mit Menschen, die nicht eben mal zu Hause bleiben können, ganz einfach, weil sie keines haben? Obdachlose brauchen jetzt besondere Unterstützung. Allen Menschen muss eine sichere Unterkunft zur Verfügung gestellt werden!
18. März 2020 |

Ein Spaziergang durch Wien-Ottakring bietet dieser Tage einen guten Einblick in die extrem problematische, autoritäre Seite der Regierungsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus: Die Polizei vertreibt am Yppenplatz vereinzelt herumsitzende Menschen, fordert sie auf: „Gehen Sie nach Hause“. Wenig später stehen mehrere Polizeiautos vor dem Obdach Josi, dem Tageszentrum für Obdachlose an der U6-Station Josefstädter Straße. Die Polizisten schicken die Menschen, die davor stehen, weg – ob ebenfalls mit dem Aufruf „Gehen Sie nach Hause“ war aus der Entfernung nicht zu hören. Wohin sollen obdachlose oder temporär wohnungslose Menschen gehen?

Viele derzeit getroffene Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus sind ohne Zweifel sinnvoll und unbedingt notwendig. Gerade diejenigen, die am dringendsten auf Unterstützung angewiesen sind, berücksichtigt die Regierung dabei aber nicht. Zu dieser Gruppe gehören Obdachlose. Für sie gibt es die Möglichkeit eines sicheren, isolierten Rückzugsorts nicht.

Obdachloseneinrichtungen unterstützen

Rund 14.000 Menschen in Österreich sind obdachlos. Klaus Schwertner, Chef der Wiener Caritas, rief kürzlich auf, die Gruft, eine Einrichtung der Caritas für obdachlose Menschen, mit mehr Spenden zu unterstützen. Dort kochen normalerweise Freiwillige für die Obdachlosen. Aufgrund der Ausgangssperre und weil einige darunter zur Risikogruppe gehören, gestaltet sich die Aufrechterhaltung des Betriebs jedoch schwierig. „Zum Glück haben wir viele junge Menschen, die den Dienst aufrechterhalten. Sie haben bemerkt, dass in den letzten Tagen mehr Menschen kommen, um sich bei den Ausgabestellen Suppe zu holen“, sagt Schwertner gegenüber moment.at.

Hier ergibt sich eine erneute Schwierigkeit. Da nur 100 Personen in einem Raum erlaubt sind, kommt es mittlerweile zu langen Warteschlagen vor der Essensausgabe. „Wir stellen aber sicher, dass alle obdachlosen Menschen, die kommen, eine warme Mahlzeit erhalten“, erklärt Schwertner weiter. Schwieriger wird es in den Notschlafstätten. Hier schlafen üblicherweise mehrere Menschen in einem Zimmer. Die Ansteckungsgefahr erhöht sich damit drastisch.

Um dem zu entgehen, würden viele Obdachlose lieber im Freien schlafen – bei den immer noch frostigen nächtlichen Temperaturen eine extreme Belastung für die betroffenen Personen. Schwertner ruft daher dazu auf, auf obdachlose Menschen besonders zu achten: „Mit einem Lächeln begegnen, nachfragen, ob man ihnen einen Kaffee oder ein Kipferl bringen soll. Oder in Zeiten wie diesen auch Taschentücher oder Desinfektionsmittel.“

AUGUSTIN digital

Da aber alle Menschen dazu aufgerufen sind, wenn möglich zu Hause zu bleiben, sind auch weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Spenden und spontane Hilfe für Obdachlose sind damit seltener. Das spürt auch die Straßenzeitung AUGUSTIN. Durch deren Verkauf wird nicht nur die Initiative selbst finanziert, sondern auch Angebote für Obdachlose, wie ein Chor, ein Theater oder Computerkurse. Außerdem geht die Hälfte des Verkaufspreises direkt an die Verkäufer_innen. Um dem Verkaufseinbruch entgegenzuwirken, gibt es ab jetzt auch eine digitale Version der Zeitung.

In Hamburg gab es bereits eine Corona-Diagnose in einer Obdachlosen-Notunterkunft. 300 Personen befinden sich dort auf engstem Raum in Quarantäne. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, wurde die Einrichtung für Neuankömmlinge geschlossen. Auch weitere Anlaufstellen machten dicht, so zum Beispiel das Jesus Center. „Bei uns ist es technisch und räumlich nicht möglich, Distanz zu halten“, sagt einer der Zuständigen, Holger Mütze, zur taz. Im Moment wird nach Ausweichräumlichkeiten gesucht, um immerhin die Essensausgabe zu gewährleisten.

Solche Einrichtungen sind absolut wichtig, um obdachlosen Menschen zumindest ein Mindestmaß an Versorgung bereitzustellen. Dass sie aber auf Spenden und Ehrenamtliche aus der Bevölkerung angewiesen sind, ist ein Armutszeugnis unserer Sozialsysteme.

Gesundheitsversorgung sichern

Bobby Watts und Barbara DiPietro vom National Healthcare for the Homeless Council (NHCHC) aus den USA befürchten gerade für obdachlose Menschen katastrophale Auswirkungen: „Wann immer das System unter Druck gerät, sind obdachlose Menschen als verwundbarste Mitglieder der Gesellschaft am stärksten betroffen. Sie leiden nicht nur häufiger an chronischen Krankheiten, sondern haben aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Nahrung und Unterkunft auch nur sehr begrenzte Möglichkeiten, ihr Immunsystem zu stärken.“ Und: „Für Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, gibt es kein Sicherheitsnetz, wenn es um ihre Gesundheit geht, da es oft eine Frage des Geldes ist, das sie einfach nicht haben.“

Zwar ist es um das österreichische Gesundheitssystem noch etwas besser gestellt, eine angemessene Versorgung ist aber auch hier abhängig von Lohntätigkeit und damit der finanziellen Situation jedes Einzelnen.

Dauerhafte Unterkünfte

Das Vermeiden von Sozialkontakten ist ohne Zweifel eine erforderliche Maßnahme. Dass das aber einfacher ist, wenn man zu Hause vor Fernseher und Laptop, mit einem Buch, womöglich noch mit der Familie, seine Zeit verbringen kann, dürfte jedem und jeder einleuchten. Menschen ohne festen Wohnsitz haben diese Möglichkeit nicht. Sie sind angewiesen auf die Hilfe anderer, und damit auf den Kontakt mit anderen Menschen.

Seit Jahren werden Obdachlose von den österreichischen Behörden als kriminell und arbeitsscheu abgestempelt. Sie verdienen jetzt unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir müssen nicht nur dafür einstehen, dass sie während der Corona-Pandemie ihre Grundbedürfnisse – wie essen und schlafen – erfüllen können, sondern wir müssen dafür kämpfen, dass sie das auch auf Dauer können.

#WirHabenPlatz

Und wir dürfen nicht auf scheinbar mitfühlende, dabei aber zutiefst rassistische Maßnahmen einsteigen, wie sie etwa Karl Baron, Klubobmann der Allianz für Österreich (DAÖ, Splitterpartei der FPÖ) vorschlägt. Er will Obdachlose in Asylheimen unterbringen. Asylsuchende müssen aber genauso ein Recht auf sichere Unterkünfte haben, wie Obdachlose.

Wir haben Platz für alle: wir müssen jetzt die ohnehin leeren Hotels und die zahlreichen seit Jahren leerstehenden Häuser für alle Bedürftigen zur Verfügung stellen – und zwar dauerhaft. Wenn „Bleiben Sie zu Hause“ als ernstgemeinte Maßnahme gedacht ist, dann muss die Regierung auch jedem Menschen eine reale Möglichkeit bieten, sich zu schützen. Es braucht endlich eine solidarische, politische Strategie, um allen Menschen eine Bleibe zu sichern.

Hier unsere ausführlichere Stellungnahme: Regierung schützt nicht Menschen vor Corona, sondern die Profite