Andreas Babler in der Zwickmühle
Eine historische Stärke des SPÖ-Apparates war, zu wissen, wann Richtungsentscheidungen gefällt werden müssen. Durch diese Stärke, sich im richtigen Moment entweder für den linken oder den rechten Flügel zu entscheiden, wurde in der über hundertjährigen Geschichte der Partei jedwede relevante Abspaltung verhindert. Von dieser Stärke ist nichts mehr übrig. Bis zum Schluss versuchte der Apparat Rendi-Wagner irgendwie an der Spitze zu halten. Dieses Projekt scheiterte und die SPÖ-Mitte steht dem beinahe gleich starken linken wie rechten Flügel gegenüber. Auch wenn Bablers ein starkes Zeichen für die Linke innerhalb der SPÖ ist, für eine Dynamik nach links, die durch die Partei in die Gesellschaft wirkt, ist ein Drittel der Mitgliederstimmen zu wenig.
Nach der Mitgliederbefragung konnte sich die SPÖ-Führung noch immer nicht auf eine einheitliche Linie einigen. Die politischen Differenzen und persönlichen Befindlichkeiten sind mittlerweile so tief, dass keine Strategie mehr gefunden werden kann. Der Grundsatz Einheit der Partei mutiert immer mehr zur verzweifelten Floskel in einer völlig zerstrittenen Partei. Die SPÖ-Wien versuchte Doskozil mit der Forderung nach einer erneuten Mitgliederbefragung eine auszuwischen, verlor jedoch die Abstimmung gegen die Bundesländer.
Dass die Wiener SPÖ als inoffizielle Parteiführung ihre Entscheidungen nicht mehr durchsetzen kann, ist ein weiterer Ausdruck der strategischen und organisatorischen Desorientierung der Partei. Am Parteitag werden wir eine Kampfabstimmung zwischen Doskozil und Babler erleben. Tendenziell ist damit zu rechnen, dass sich der Apparat trotz seines Hasses auf Doskozil hinter ihm versammeln wird. Erstens, weil er gewonnen hat und im Falle seiner Niederlage am Parteitag sehr destruktiv werden könnte. Zweitens ist aus der Perspektive der Funktionäre ein unsympathischer Rechter noch immer besser ist als ein Linker. Dieser könnte potenziell Bewegung in die Partei bringen und dadurch ihre Position schwächen. Dass es der Parteiführung primär um Machterhalt und Regierungsmöglichkeit geht, hat sie in der Coronakrise unter Beweis gestellt.
Massenpartei ohne Masse
Dank der Befragung sind die Mitgliederzahlen der SPÖ wieder bekannt. Gegenüber 2018 hat die Partei, trotz der rund 8.000 Neueintritte im Zuge der Befragung, 40.000 Mitglieder verloren. Der Großteil dürfte nicht aufgrund politischer Differenzen gegangen sein, sondern ist gestorben. Falls die medialen Behauptungen des Durchschnittsalters der SPÖ-Mitglieder von 63 Jahren stimmt, wird sich die Partei in den kommenden Jahren weiter verkleinern. Von 700.000 1978 auf 140.000 2023, die SPÖ scheitert seit Jahrzehnten daran, neue Mitglieder zu gewinnen und mutiert immer mehr zu einer Funktionärspartei mit verschwindender Pensionist:innen-Basis.
Babler hat in Ansätzen gezeigt, dass er diesen Prozess umkehren kann. Verliert er am Parteitag, gibt es wenig Gründe anzunehmen, der Mitgliederschwund würde in den kommenden Jahren gestoppt werden. Falls Doskozil gewinnt, ist damit zu rechnen, dass es zu einer kleinen Austrittswelle kommt. Eine Spaltung ist aktuell aber nicht in Sicht. Als radikale Linke gibt es keinen Grund, sich über solch eine desillusionierte Austrittswelle zu freuen. Wenn Alternativen fehlen, verschwinden desillusionierte Menschen meistens in der politischen Passivität. Mit der KPÖ gibt es zum ersten Mal seit langer Zeit zumindest in Ansätzen eine politische Alternative, doch ob desillusionierte sozialdemokratische Parteimitglieder zur KPÖ abwandern würden, wird sich erst zeigen.
Parteiführung bremst Babler
Mit Bernie Sanders und Jeremy Corbyn haben wir in den vergangenen Jahren zwei Versuche erlebt, etablierte Parteien mit starker Funktionärsschicht nach links zu ziehen. Beide Versuche scheiterten aufgrund des vehementen Widerstandes aus der Partei. Jeremy Corobyn wurde von den eigenen Parlamentarier:innnen sabotiert. Eine wichtige Lehre aus diesen Versuchen ist, die einzige Möglichkeit eine sozialdemokratische Partei nach links zu ziehen ist, sich gegen den bestehenden Parteiapparat durchzusetzen.
Bablers Aussichten in einem solchen Kampf sind deutlich schlechter als Corbyns. Dieser wurde von einer echten Massenbewegung (fast 500.000 Leute traten aufgrund von Corbyn in die Labour Partei ein) an die Spitze geschwemmt. Babler dagegen benötigt bereits jetzt die Unterstützung aus dem Parteiapparat, um sich gegen Doskozil durchzusetzen. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Aufweichung seiner Positionen führen. Zu beobachten war dies bereits, als Babler am Tag nach der Mitgliederbefragung zuerst auf Puls24 offen erklärte, ich bin Marxist, um einige Stunden später im ORF auf dieselbe Frage peinlich rumzustottern und zu erklären, dass er ja eigentlich kein Marxist ist. Die völlige Beliebigkeit gegenüber den eigenen Standpunkten, sie beim ersten Ansatz von Kritik aufzugeben, ist einer der Punkte, der Menschen zu Recht an Politiker:innen ankotzt. Das Babler schon jetzt damit beginnt, ist kein gutes Zeichen.
Zugeständnisse bringen uns nicht weiter
War Bablers Kandidatur anfangs mit einer offenen Kritik am derzeitigen Kurs der SPÖ verbunden, rückte er nach der Mitgliederbefragung den Slogan nach Einheit der Partei in den Mittelpunkt. Diese Forderung ist ein unnötiges und vor allem unwirksames Zugeständnis an die politische Mitte. Nach seinem Sieg forderte Corbyn ebenfalls: Jetzt hinter mir zusammenrücken, doch das Partei-Establishment weigerte sich und attackierte ihn bei jeder Gelegenheit. Historisch bedeute die Forderung nach Einheit der Arbeiter:innenbewegung primär in der Praxis im konkreten politischen Kampf vereint aufzutreten. In den gegenwärtigen Konflikten innerhalb sozialdemokratischer Parteien zielt der Slogan viel eher darauf ab, die Linken in Passivität zu halten, während die Rechten bei jeder Gelegenheit versuchen, die Linke zu demütigen. Vor den Nationalratswahlen 2017 trat Doskozil mit Kurz zu einem gemeinsam Interview gegen Flüchtlinge an, um Kern zu schaden. Selbst mitten im Wahlkampf pfeift die Rechte auf Einheit, wenn sie die Chance sieht, die eigene Position zu verbessern. Falls Babler gewinnen würde, wird er sich mit harten Angriffen sowohl vom Rechten als auch vom Zentrums-Flügel konfrontiert sehen.
Offensichtlich unterstützen wir Babler gegen Doskozil. Mittlerweile jedoch eher aus der Perspektive, einen weiteren Rechtsruck der Sozialdemokratie zu verhindern. Für einen Linksruck würde es eine Dynamik benötigen, die Babler und das SPÖ-Zentrum unter Druck setzt. Von selbst wird Babler diese Dynamik nicht mehr auslösen können.