Zwischen Horror und Hoffnung: Der Kampf gegen den Faschismus
Wovon hängt es ab, ob am Ende Horror oder Hoffnung siegen werden? Entscheidend ist die Politik, die im Massenkampf zum Ausdruck kommt – wenn die Politik klar und wirksam ist und die Bewegungen auf einem soliden Fundament stehen, kann die Barbarei besiegt werden. Vor dreißig Jahren warnte der britische Marxist Chris Harman vor dem Wiederaufleben des Faschismus in Europa – „die Bestie ist zurück“, sagte er. Mitte der 1990er Jahre konnte Harman auf die Wahlerfolge von Jean-Marie Le Pens Front National in Frankreich oder den Anstieg der Stimmen in Süditalien für die alte MSI-Partei verweisen, die 1946 von Veteranen des Mussolini-Regimes gegründet worden war. Er berichtete auch von der Welle der Nazi-Straßengewalt gegen Ausländer im wiedervereinten Deutschland und dem bescheidenen Wahlerfolg der faschistischen Republikaner.
Heute, Jahrzehnte später, sieht die Lage noch viel schlimmer aus. Le Pens Tochter Marine hat es bei den letzten beiden französischen Präsidentschaftswahlen bis in die Stichwahl geschafft – und ihre Stimmenzahl ist auf über 13 Millionen angewachsen. Ihre Partei stellt jetzt 89 Abgeordnete im französischen Parlament. In Deutschland ist die Alternative für Deutschland mit ihrem mächtigen Naziflügel um Björn Hocke weitaus erfolgreicher als die Republikaner es je waren, und liegt in den Umfragen auf Platz zwei. In Italien wurde die MSI als Fratelli d’Italia wiedergeboren, und Georgia Meloni, die als 15-Jährige der MSI beitrat, ist jetzt italienische Ministerpräsidentin.
Was den Faschismus von anderen konservativen oder sogar rechtsextremen Kräften unterscheidet, ist das Ziel, eine Massenbewegung aufzubauen, die in der Lage ist, jede Demokratie und alle Organisationsformen der Arbeiter:innenklasse zu zerschlagen
In Belgien hat der Vlaams Belang, dessen Vorgängerpartei Vlaams Blok wegen Rassismus verboten war, vor den diesjährigen Parlamentswahlen in den Umfragen zugelegt. Die faschistischen Schwedendemokraten haben sich im politischen System Schwedens fest etabliert. Und selbst in Ländern, die einst aufgrund der historischen Erfahrung von autoritären Regimen als immun gegen ein faschistisches Wiederaufleben galten, wie Spanien und Portugal, ist ein dramatischer Aufstieg der faschistischen Parteien zu verzeichnen. Chega („Genug“) erreichte bei den jüngsten Wahlen in Portugal 18 Prozent. Und die FPÖ, die in den 1950er Jahren von ehemaligen SS-Offizieren gegründet wurde, ist auf dem besten Weg, die Wahlen in Österreich im Herbst zu gewinnen.
Was ist Faschismus?
Wie Harman allerdings auch betont hat, ist der Faschismus nicht nur ein Wahlkampfprojekt. Was den Faschismus von anderen konservativen oder sogar rechtsextremen Kräften unterscheidet, ist das Ziel, eine Massenbewegung aufzubauen, die in der Lage ist, jede Demokratie und alle Organisationsformen der Arbeiter:innenklasse zu zerschlagen, angefangen bei den revolutionären bis hin zu den mildesten Ausprägungen des Reformismus. Dazu brauchen sie eine Straßenarmee, die bereit ist, die Linke, ethnische Minderheiten und die Arbeiter:innenbewegung mit aller Härte anzugreifen.
So wurde Mussolinis Weg zur Macht 1922 durch seine bewaffneten Schwarzhemden-Kader geebnet, die ihre Gegner und die Organisationen der Arbeiter:innenklasse terrorisiert und vernichtet haben. Hitler verfügte über 100.000 Sturmtruppen in der SA, als die Nazis 1930 ihren ersten großen Wahlerfolg erzielten, und bis 1932 war die Zahl auf 400.000 angestiegen – obwohl er die viel mächtigere deutsche Arbeiter:innenklasse erst endgültig zerschlagen konnte, nachdem er an die Macht gekommen war und die volle Rückendeckung des Staatsapparats hatte. Aber die Errichtung solcher paramilitärischen Kräfte allein reicht nicht aus, um dem Faschismus zum Erfolg zu verhelfen. Sie benötigen die Unterstützung von zentralen Teilen der herrschenden Klasse und des Staatsapparats, um an die Macht zu gelangen. Wie Harman es ausdrückt: „Die faschistischen Führer sagten zur herrschenden Klasse: ‚Ihr steht vor einer tiefen Krise. Ihr braucht Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter:innen, die selbst die feigsten ihrer Vertreter:innen nicht hinnehmen können. Wir haben die Massenorganisationen, die mit der Polizei und der Armee zusammenarbeiten können, um ihre Organisationen zu zerschlagen.‘“
In Österreich, wie auch in Deutschland, ist es den Faschisten gelungen, Netzwerke von Unterstützer:innen innerhalb des Staatsapparats aufzubauen, vor allem unter den Institutionen, die die größten Zwänge ausüben, der Polizei und dem Militär
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir beruhigt sein dürfen. Solche Entwicklungen haben bereits begonnen. Der faschistische Flügel der AfD hat sich auf dem Rücken der islamfeindlichen Pegida-Straßenbewegung aufgebaut. Höcke hat versucht, die AfD auf die Straßen zu führen und sich mit den offen nazistischen Schlägertrupps zu verbünden. Donald Trump repräsentiert vielleicht nicht das Herzstück der amerikanischen herrschenden Klasse, aber sie sind auch nicht bereit, sich ihm entgegenzustellen, obwohl er versucht hat, seine Anhänger zu einem Putsch am 6. Januar 2021 zu ermutigen, bei dem Faschisten wie die Proud Boys eine zentrale Rolle spielten. Trump selbst mag kein Faschist sein, aber er hat es den Faschisten ermöglicht, an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Trump könnte im November wieder an die Macht kommen und damit den Faschisten den Weg ebnen – nicht nur in den USA.
In Österreich, wie auch in Deutschland, ist es den Faschisten gelungen, Netzwerke von Unterstützer:innen innerhalb des Staatsapparats aufzubauen, vor allem unter den Institutionen, die die größten Zwänge ausüben, der Polizei und dem Militär. All das bedeutet, dass die Faschisten spüren, dass sich die Grenzen dessen, was möglich ist und womit sie durchkommen, zu ihren Gunsten verschieben. Während sie sich früher darauf konzentrierten, eine Maske der Integrität aufzusetzen, ihre Verbindungen zum historischen Faschismus zu leugnen und ihr Engagement für die Demokratie zu verkünden, streben einige heute nach viel radikaleren autoritären Projekten.
Welche Art von Antifaschismus?
Bedeutet die Bedrohung durch den Faschismus, dass wir uns mit der neoliberalen Mitte als „kleinerem Übel“ verbünden müssen? Eine solche Strategie wäre verhängnisvoll. Wie ich 2019 schrieb, „ist es genau die neoliberale Elite, die die Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt und die eine anhaltende Islamfeindlichkeit durchgesetzt hat, aus der die extreme Rechte erwachsen ist. All das tat sie, während sie gleichzeitig die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft durchsetzte, die in weiten Teilen der Bevölkerung ein gewaltiges Klima der Verbitterung und Unsicherheit erzeugt hat. Ein Bündnis mit der liberalen Mitte ermöglicht es, den Faschisten und der extremen Rechten lediglich, die Linke mit dem Establishment zu identifizieren und sich fälschlicherweise als die einzig wahre Alternative darzustellen.“ Das bedeutet nicht, dass Sozialist:innen sich nicht beteiligen sollten, wenn die liberale Mitte – wie opportunistisch auch immer – Proteste gegen die Faschisten initiiert, wie wir es zum Beispiel in Deutschland nach den Enthüllungen über das Potsdamer Geheimtreffen gesehen haben.
Im Gegenteil, wir sollten dies energisch tun, aber mit dem Ziel, die Notwendigkeit aufzuzeigen, noch einen Schritt weiterzugehen und den Faschisten jeglichen öffentlichen Raum zu verweigern – man darf ihnen nicht erlauben, zu marschieren, öffentliche Versammlungen abzuhalten, offene Kampagnen zu führen und in den Massenmedien aufzutreten. Ohne entsprechende Anstrengungen, die Faschisten aus der Öffentlichkeit zu verbannen, werden sie den vorübergehenden Druck durchstehen und die liberalen Politiker werden ihnen und ihren Ideen wieder entgegenkommen. Dies weist auf einen zweiten Kampf hin, der aufgenommen werden muss, um eine wirksame antifaschistische Bewegung aufzubauen: keine Zugeständnisse an den Rassismus!
Selbst wenn die antifaschistische Bewegung mit einer radikalen Minderheit beginnt, muss sie versuchen, durch den geduldigen Aufbau einer solchen Einheitsfront Kräfte aus vielen Gesellschaftsschichten zu gewinnen
Sowohl Liberale als auch Teile der Linken können der Versuchung erliegen, zu glauben, dass sie die Anziehungskraft der Rassisten und Faschisten untergraben können, indem sie Zugeständnisse an ihre Argumente machen. Solche Konzessionen an den Rassismus legitimieren jedoch nur die extreme Rechte, indem sie das falsche Narrativ bekräftigen, dass Migranten, Muslime oder andere ethnische Minderheiten das Problem sind, und es ermöglicht der extremen Rechten zu sagen, dass sogar ihre Gegner dieser Meinung sind. Anstatt die Unterstützung für die extreme Rechte zu brechen, stärkt sie diese und macht es möglich, dass sich solche Ideen in Teilen der organisierten Arbeiter:innenbewegung weiter verbreiten. Und solche Zugeständnisse schneiden Antifaschist:innen von den unterdrückten Gemeinschaften ab, die oft die ersten Opfer der Nazis sind. Indem Antifaschist:innen zeigen, dass sie die Faschisten und den Rassismus, aus dem sie sich speisen, herausfordern, gewinnen ethnische Minderheiten das Vertrauen, sich breiten antifaschistischen Bewegungen anzuschließen. Deshalb ist die Feindseligkeit gegenüber allen, die bei antifaschistischen Mobilisierungen ihre Unterstützung für die Palästinenser:innen zeigen, so verhängnisvoll – Palästina ist für die muslimischen Gemeinschaften wie auch für viele Linke zu einem Symbol des Widerstandsgeists und des Kampfes für Gerechtigkeit geworden.
Der Weg zur Einheitsfront, die die Nazis stoppt
Um die Faschisten zu besiegen, sind die Kräfte der Massen erforderlich. Der Weg dorthin liegt in der Errichtung einer Einheitsfront von Menschen, die nicht notwendigerweise in allgemeinen Fragen übereinstimmen, die aber bereit sind, die Faschisten herauszufordern. Sie darf sich nicht nur auf Revolutionär:innen und die antikapitalistische Linke beschränken, sondern muss versuchen, viel breitere Schichten einzubeziehen, vor allem diejenigen, die sich an reformistische Organisationen – wie Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien – wenden.
Selbst wenn die antifaschistische Bewegung mit einer radikalen Minderheit beginnt, muss sie versuchen, durch den geduldigen Aufbau einer solchen Einheitsfront Kräfte aus vielen Gesellschaftsschichten zu gewinnen. Das bedeutet, unnachgiebig die Bedrohung durch die Faschisten darzustellen, betonen, dass sie keine „normale“ Partei sind, sondern eine tödliche Gefahr für Arbeiter:innenorganisationen, die Linke und die Unterdrückten. Es bedeutet die Forderung nach der Vertreibung der Faschisten von der öffentlichen Bühne, nicht durch staatliche Verbote, sondern durch Massenmobilisierungen. Und es bedeutet, aufzuzeigen, dass die Faschisten nicht wirksam bekämpft werden können, wenn nicht auch der Rassismus, von dem sie sich nähren, ständig angeprangert wird. Selbst wenn Revolutionär:innen, die solche Strategien verfolgen, relativ isoliert sind, legen diese Argumente die Basis für eine zukünftige Bewegung, die in der Lage ist, den Faschisten mit massiver Schlagkraft entgegenzutreten.