Frauen und Jugendliche hassen die alten Eliten

Frauen und Jugendliche hassen die alten Eliten Sudan-Interview mit Ishraga Mustafa Hamid
2. August 2025 |

Massenproteste und Streiks stürzten im Jahr 2019, nach drei Jahrzehnten, den islamistischen Diktator Umar al-Bashir. Frauen führten die Bewegung an und die Revolution schritt mit der Entstehung von Widerstandskomitees voran. Die Militär-Junta und ihre internationalen Verbündeten befürchten eine unkontrollierbare Revolution. Mit gemäßigten Oppositionskräften einigten sie sich auf eine Übergangsregierung aus Zivilisten und Militärs. 2021 putschte das Militär unter der Führung General Abdel Fattah Burhan. Die folgenden landesweiten Proteste und Streiks ließ al-Burhan brutal niederschlagen. Sein Ex-Stellvertreter Mohammed Hamdan Dagalo, (Kampfname „Hemeti“), Kommandeur der berüchtigten Rapid Support Forces (RSF), rief eine Gegenregierung aus. Beide Seiten begehen in einem blutigen Bürgerkrieg grausame Kriegsverbrechen und verursachten die größte Hungerkrise der Welt. Über 12 Millionen Menschen sind auf der Flucht.

Linkswende sprach mit Dr. Ishraga Mustafa Hamid. Die österreichische Schriftstellerin und Politikwissenschaftlerin aus dem Sudan leitet den Verein Mendy for Peace Culture and Diversity Management, der sich für Empowerment von Frauen und Jugendlichen am Horn von Afrika einsetzt und einen Sudan-Schwerpunkt hat. Die Mitbegründerin der Black Women Community ist international vernetzte Feministin und Trägerin des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien.

Linkswende: Du hast viele Solidaritätskundgebungen hier organisiert und bist weiterhin aktiv. Was hörst du aktuell aus dem Sudan und wie schätzt du die Lage ein?

Meine Wahrnehmung ist sehr traurig, es hat sich nicht viel geändert, auch wenn die Milizen der RSF aus der Hauptstadt Khartum weg sind. Krieg herrscht ja nicht nur dort. Es gibt zwei Ebenen. Eine betrifft die Menschen im Sudan, die Zweite uns in der Diaspora. Es gibt einen Spalt zwischen Parteien und Zivilgesellschaft im Sudan: wer unterstützt die Armee, die Milizen oder die Islamisten im Machtkampf? In Khartum ist es jetzt ruhiger geworden, höre ich. Aber was ist mit den Bedürfnissen der Menschen, wie sauberes Wasser, Gesundheitsversorgung oder Arbeit? Es braucht Jahre für den Wiederaufbau. Gestern wurde mir erzählt, es stinkt zum Himmel. Immer wieder werden Leichen entdeckt, weil es keine menschenwürdigen Beerdigungen gibt. Umwelt- und Luftverschmutzung sind ein großes Thema. Darüber redet jetzt kaum wer, weil es jetzt ums bloße Überleben geht. Aber ohne Umwelt gibt es keine Zukunft, vor allem mit einer Regierung, die niemand gewählt hat. Sie hat zuvor Hemeti und seine RSF-Milizen groß gemacht hat.

Sind das dieselben Militärs, die den Diktator al-Bashir opfern mussten und gemeinsam mit den RSF-Milizen die Revolution erstickten, um das alte Regime mit neuen Gesichtern zu etablieren?

Es sind nicht mal neue Gesichter. Wir kennen sie. Der neue Premierminister Dr. Kamil Idris ist vom Regime ernannt worden, um eine zivile Fassade aufrechtzuerhalten. Er war Generaldirektor der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) und kooperiert heute mit dem Militär. Was muss das für ein Mensch sein? Er hat ein falsches Alter für seine Karriere bei der WIPO angegeben. Die Schweizer Presse hat darüber berichtet.

Die alten Islamisten wollten die Macht auch nach dem Sturz von Diktator Bashir nicht abgeben. Aber 30 Jahre waren genug! Die Bewegung auf der Straße mit den Frauen und Jugendlichen akzeptieren sie nicht mehr. Es sollte weder ihre, noch eine politische Machtbeteiligung von Militär oder Milizen geben. Wir wollten eine zivile, demokratische Regierung. Die Widerstandskomitees waren sehr stark. Damals haben sie ihre Ziele erreicht, weil sie sich einig waren. Die Verhandlungen mit dem Militär und der RFS-Miliz waren ein riesiger Fehler und haben die Revolution auf Eis gelegt. Und heute sind die Widerstandskomitees gespalten. Das ist das größte Problem in der Linken. Die kommunistische Partei ist gegen den Krieg, super, ich auch. Aber wir bekommen keinen Frieden, wenn wir nur am Tisch sitzen. Ich will nichts mit den alten Islamisten zu tun haben, aber wenn sie bei demokratischen Wahlen gewinnen würden, wäre das zwar nicht gut, aber ich würde einen demokratischen Wahlsieg akzeptieren. Sie würden aber nicht gewählt werden und daher versuchen sie es so. Die Vereinbarungen mit dem Militär und den Milizen waren falsch. Heute ist es egal, wer von den beiden den Bürgerkrieg um Macht und Ressourcen begonnen hat. Es geht um die Vernichtung des Landes, eines Traumes und einer Revolution. Die Widerstandskomitees sind zwar gespalten, aber sie wollen – wie auch die kommunistische Partei – eine radikale Lösung. Die Gespaltenheit und Müdigkeit nach 2,5 Jahren Krieg und Flucht wiegt schwer. Ich glaube weiter an die Revolution im Sudan. Es ist ein Prozess und es braucht eine Strategie vor Ort.

Eine Revolution kann nur mit einer revolutionären Führung vor Ort, die auch Strategien entwickelt und die richtigen Lehren aus dem Kampf zieht, siegen. Was können solidarische Menschen hier tun?

Wir können hier nur Solidarität zeigen und Öffentlichkeitsarbeit leisten. Ich mache gerade einen Workshop zum Thema Rassismus und Privilegien. Der ist für sudanesische und syrische Frauen. Wir schreiben nicht nur über unsere Erfahrungen. Auch darüber, was es mit uns macht, wenn ich beispielsweise sage: Es ist Krieg im Sudan. Krieg gab es ja eigentlich seit unserer Unabhängigkeit. Was machten die Milizen in Darfur? Die Welt schaut weg. Die Vergewaltigungspolitik gegen die Frauen hat dort begonnen. Ich habe mit betroffenen Frauen geredet und wir haben darüber geschrieben. In meiner Arbeit suche ich das Gemeinsame, nicht das Spaltende. Es ist zu leicht, die Menschen aufzuspalten. Darum gibt es ja auch Krieg im Sudan und auch der Rassismus dort ist mit dem Krieg heftiger geworden.

Man hört dort und hier Worte, bei denen man fragt, in welcher Zeit leben wir eigentlich? Auch die Menschen in der Diaspora brauchen mehr Vernetzung. Manche Frauen sind in den Sudan zurückgekommen, haben aber weder Wohnung noch Arbeit oder sauberes Wasser. Wir können nicht ohne Reintegrationskonzept zurück in einen Bürgerkrieg. Die Europäische Union bezahlt Regime, um Flüchtlinge nicht hierher zu lassen. Die Milizen nehmen das westliche Geld und die Waffen gern, bekämpfen für die EU Migrant:innen, und morden gleichzeitig ihre eigene Bevölkerung. Die hochgerüsteten RSF-Milizen gründeten bei einer Konferenz in Kenia ihre sudanesische Gegenregierung. Die tolle Opposition in Kenia hat das massiv kritisiert und Selbstbestimmung für die Sudanes:innen gefordert.

Was machen du und deine Mitstreiter:innen in deinem Verein Mendy?

Unsere Namensgeberin Mendy ist eine Prinzessin aus den Nuba-Bergen im Sudan. Sie war Kämpferin gegen den Kolonialismus. Leider wird Mendy in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht erwähnt. Aber mein Nachbar hat mir als Kind von ihr erzählt und gesagt, ich erinnere ihn an Mendy. Daher wählte ich diesen Vereinsnamen Mendy for Peace Culture and Diversity Management als Symbol für jede vergessene, unsichtbare, kämpfende Frau. Ich habe begonnen mich mit Schriftsteller:innen, Kulturschaffenden und Aktivist:innen zu vernetzen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Friedenskultur und Diversity Management zu etablieren. Unsere Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Wir haben zu Beginn, finanziert von Don Bosco Österreich, in Kairo ein Projekt mit 20 Jugendlichen begonnen. Jetzt unterrichtet eine Medizinstudentin aus dem Sudan Alleinerzieherinnen beim Nähen. Sie landete wegen des Kriegs in Kairo und konnte dort nichts machen. So können die Frauen ihr eigenes Geld verdienen. Sudanesische Jugendliche machen in Wien eine Radiosendung bei Radio Orange und geben anderen in der Diaspora online Workshops, damit die sich hörbar machen können. Ich organisiere Schreibwerkstätten für traumatisierte Frauen, um uns zu befreien und damit unsere Geschichten nicht verloren gehen. Bildung ist ein Menschenrecht und wir helfen online Kindern oder machen Projekte zum Klimawandel und Umweltschutz für Jugendliche. Mehr dazu gibt’s auf unserer Homepage voiceofmendy.org. Wir brauchen Solidarität und Spenden. Bei uns kommt jeder Euro an – und ein Euro ist im Sudan viel wert.