Moderne Zeiten
Zu diesem Zeitpunkt war die Akte des FBI über Charlie Chaplin bereits auf 2000 Seiten angeschwollen. Der „Tyrann dieser Welt“ hatte den britischen Geheimdienst MI5 um Hilfe gebeten, nachzuweisen, dass der weltbekannte Komiker und „Salon-Bolschewik“, wie die amerikanischen Kommunistenjäger ihn nannten, Verbindungen zur Kommunistischen Partei in Großbritannien unterhalte. Also hat auch der britische Staat hinter Charlie Chaplin hergeschnüffelt, wie aus Archiven zu ersehen ist, die erst vor wenigen Jahren geöffnet wurden.
Ein Unterschicht-Held
Chaplin war gleichzeitig genialer Regisseur, Schauspieler und Filmkomponist. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „The Kid“, „Goldrausch“ oder „Lichter der Großstadt“. Mit der Figur des „Tramp“, einem Wanderarbeiter oder Landstreicher im schlecht sitzenden Anzug mit dem berühmten Schnurrbart schuf er eine der bekanntesten Ikonen der neueren Kulturgeschichte. Diese traurige und doch immer witzige und rebellische Kunstfigur Chaplins wird auf der ganzen Welt von jedem Kind erkannt. Gerade das herzzerreißende Scheitern und die tiefe Menschlichkeit dieses Archetypen der Filmgeschichte, zusammen mit dem Pathos, den sie erzeugen kann, haben sie unsterblich gemacht.
Ohne Zweifel stellte sich Chaplin in seinen Filmen immer kompromisslos auf die Seite der Armen und der Unterdrückten.
Der „Tramp“ steht in krassem Gegensatz zu den Charakteren, die damals Protagonist_innen in Kinofilmen waren. Normalerweise war eine bürgerliche, gebildete Oberschicht das Milieu in das die Rollen gesetzt wurden. Charlie Chaplins politische Überzeugungen wurden und werden heftig diskutiert. Was aber ohne Zweifel feststeht, ist, dass er sich in seinen Filmen immer kompromisslos auf die Seite der Armen und der Unterdrückten stellte.Diese eindeutige Stellungnahme trug ihm den Hass der politischen Rechten in den USA ein und sorgte dafür, dass er zu einer der vielen prominenten „Zielpersonen“ der Kommunistenhatz der McCarthy-Ära wurde.
Entfremdung und Widerstand
Setzt man „Moderne Zeiten“, der 1936 in die Kinos kam, in einen zeitlichen Zusammenhang mit Äußerungen der US-amerikanischen Arbeiter_innenbewegung, so kann man sagen, „Moderne Zeiten“ kam in Zeiten schwerer ökonomischer Depression heraus, zwei Jahre nach den Massenstreiks von 1934 und ein Jahr vor der Welle der sogenannten „Sit-Down“-Streiks von 1937. Massenarbeitslosigkeit und verschärfte Ausbeutung, kombiniert mit fortschreitender Automatisierung machte das Leben der Arbeiter_innen unerträglich.
Diese Verhältnisse treiben auch den „Tramp“ in die Fabrik. Wenn wir sehen, wie er am Fließband wahnsinnig wird, weil er mit der Arbeit nicht mehr nachkommt, wie die Maschinen den Menschen beherrschen, wie Charlie sogar in die Maschinerie hineingezogen wird, während der Boss es sich gemütlich macht, gibt uns das nicht nur ein Bild von entfremdeter Arbeit, sondern auch vom Funktionieren des Kapitalismus überhaupt.
Den kollektiven Widerstand der Arbeiter_innen thematisiert Chaplin sehr wohl, wenn auch in seiner unnachahmlich komischen Weise: Vor den Fabrikstoren läuft er einem Lastwagen nach, der eine rote Signalfahne verloren hat, eigentlich, um die Fahne zurückzugeben. Doch plötzlich tauchen hinter ihm Massen von Arbeiter_innen auf und es scheint, dass er, die rote Fahne schwingend, eine riesige Demonstration anführt. Die Polizei erscheint und prügelt auf die Arbeiter_innen ein.
„Unamerikanische“ Umtriebe
Schon in den 1920er Jahren war immer wieder gemutmaßt worden, Charlie Chaplin wäre Kommunist. Noch während des Zweiten Weltkriegs, aber besonders nach dessen Ende, galt er dem FBI und dessen notorischem Chef J. Edgar Hoover als gefährlicher Radikaler.
Der Zeitungs-Boulevard arbeitete mit dem FBI zusammen, um Chaplin zu denunzieren. Ed Sullivan behauptete, Chaplin habe vor in die Sowjetunion auszuwandern. Chaplin wehrte sich mutig und fuhr fort, seine Freunde gegen die Anschuldigungen des Komitees für unamerikanische Umtriebe (Un-American Activities Committee, HUAC) zu verteidigen.
Wer ist der Massenmörder?
Sich selbst rechtfertigte er oft mit dem Satz „Ich bin Künstler, kein Politiker“. Dem Komitee spielte Chaplin 1947 zu seiner Verteidigung seinen Film „Monsieur Verdoux“ vor, der von einem Serienmörder handelt. Im Film lässt er den Mörder die folgenden Worte sprechen: „Ermutigt die Welt nicht Massenmörder? Baut sie nicht Massenvernichtungswaffen, die nur dazu dienen, Massen zu töten? Hat sie nicht Frauen und Kinder in Stücke gesprengt? Als Massenmörder bin ich im Vergleich ein Amateur“ – ein Frontalangriff auf den westlichen Imperialismus.
Die rechte Propaganda zeigte allerdings auch Wirkung: In den USA versuchten rechte Veteranenverbände, wie die American Legion, Vorstellungen von Chaplins Filmen zu blockieren und waren in einigen Fällen erfolgreich. An seinem Weltruhm konnten sie nichts ändern. Charlie Chaplins Filme werden noch Generationen zum Lachen, Weinen und Nachdenken bringen.