Debatte in Ägypten: Revolutionäre und die Muslimbruderschaft
Im vorliegenden Dokument ruft der RS die Linke, die sich gegen die Militärdiktatur in Ägypten stellt, dazu auf, mit jenen jungen muslimischen Aktivist_innen zusammenarbeitet, die mit dem brutalen Durchgreifen Abdel Fattah al-Sisis Militärregimes konfrontiert sind.
Sie argumentieren, dass eine Sicht, welche die islamistischen Kräfte als „konterrevolutionär“ sieht, tatsächlich die Linke lähmt und dem Regime in die Hände spielt.
Al-Sisi kam im Zuge des Putsches vom Juli 2013 an die Macht und hatte das Ziel die revolutionäre Bewegung zu zerschlagen, welche 2011 den Diktator Hosni Mubarak stürzte. Al-Sisi benutzt Anschläge von bewaffneten islamischen Militanten auf der Sinai Halbinsel als Vorwand um die Muslimbruderschaft weiter zu attackieren.
Führende Mitglieder der Muslimbruderschaft wurden von Sicherheitskräften am 1. Juli dieses Jahres erschossen, während die regierungsfreundliche Presse Al_Sisis Ruf nach schnelleren Exekutionen von verurteilten Führungspersönlichkeiten der Muslimbruderschaft unablässig veröffentlichte.
Das RS-Statement wurde breit debattiert und hat Kommentare und Analysen in mehreren nationalen Zeitungen und dem Fernsehen hervorgerufen. Medien unter dem Einfluss der Muslimbruderschaft, wie der Internet-Nachrichtendienst Rassd der Millionen Menschen über Facebook erreicht, haben positiv auf die RS-Initiative reagiert
Debattenbeitrag der Revolutionären Sozialisten
Die Reaktionen auf die letzte Welle terroristischer Operationen, wie jene die einen Armeeposten auf der Sinai Halbinsel trafen, haben möglicherweise das Ausmaß der Krise in den Reihen der Ägyptischen Opposition offenbart.
Die Antwort des Regimes war klar und deutlich: Die umfassende Einführung von Ausnahmegesetzen, um die eiserne Hand des Sicherheitsapparates zu stärken und eine neue Welle an Repression, Ermordungen, Hinrichtungen und Folter zu entfesseln, die all jene trifft, die nicht totale Zustimmung mit der offiziellen Darstellung der Sicherheitspolizei ausdrücken.
Terrorismus – Rechtfertigung für Diktatur
Alle, die gegen das Regime sind, zu einem Zeitpunkt wo es im Zustand des „Krieges gegen den Terror“ ist, werden als Verräter und Terroristen behandelt. „Alle die nicht mit uns sind, sind gegen uns.“ Es gibt eine direkte Verbindung von George Bush und seinen Kriegen in Afghanistan und Irak zu Abdel Fattah al-Sisi und seinem offenen und anwachsenden Krieg gegen die ägyptische Bevölkerung und ihre Revolution.
Das ist alles total logisch. Jede Diktatur benutzt Terrorismus als Vorwand um Repression zu verschärfen und damit einen Zustand nationaler Panik und Hysterie quer über alle Bevölkerungsgruppen herzustellen, sodass jede_r zu einem Schulterschluss mit dem Diktator gezwungen wird.
Diese Hysterie weitet sich auf liberale und linke Regimegegner_innen aus, die zumindest theoretisch gegen al-Sisis Putsch und Konterrevolution sind. Das überrascht und empört!
Es gibt jene, die seit der ersten Stunde klar auf Seiten des aktuellen Regimes stehen und dessen Verbrechen verzeihen mit der Begründung, dass diese im Kampf gegen den Terrorismus begangen wurden und aus Angst vor der Muslimbruderschaft. Diese Leute warfen sich, von Beginn an und ohne zu zögern, in die Arme des Militärs und der Konterrevolution, auch wenn sie gelegentlich einige der Übergriffe der Sicherheitskräfte kritisieren, insbesondere wenn sie nicht die Muslimbruderschaft trafen, sondern Außenstehende.
Fraktionen
Aber es gibt auch jene die eine Zwischenposition einnehmen: Sie stellen sich mit gleicher Vehemenz gegen die Konterrevolution und gegen die Muslimbruderschaft und argumentieren, dass beide zwei Seiten der Konterrevolution seien. Sie lehnen sowohl die militaristische Mubarak-Fraktion als auch die Fraktion der Muslimbruderschaft ab.
Sie versuchen dieselbe Distanz zu beiden aufrecht zu erhalten, bilden sich ein dass sie die Kämpfe zwischen den beiden Fraktionen ignorieren könnten und glauben eine dritte Alternative aufbauen zu können, die es schafft, beide zu bekämpfen: die Politik und Repression des Militärregimes und die islamistische Opposition, wobei verschiedene Arten der islamistischen Bewegungen und verschiedene Formen der Opposition, ob gewalttätig oder nicht, vermischt werden.
Demnach seien ein blutiger terroristischer Angriff auf Sinai und ein friedlicher Protest im Dorf Nahia einfach zwei Ausdrücksformen von konterrevolutionären islamischen Obskurantismus, und nicht weniger gefährlich als die aktuelle Militärdiktatur.
Nationalen Schulterschluss
Dieser dritte Weg scheint, oberflächlich betrachtet, gegen das Regime zu sein. Aber in praktischer und inhaltlicher Sicht unterstützt er in Wirklichkeit das Militär.
Angesichts der letzten Terrorangriffe sind die Reihen des dritten Weges zerbröckelt, und viele der Anhänger_innen zeigen sich im Kampf gegen den wahren Feind, ISIS, mit dem Staat vereint. Plötzlich verloren sie jegliche oberflächliche Neutralität, die sie im Kampf zwischen Terrorismus des Staates und Terrorismus der bewaffneten islamistischen Gruppen zu besitzen vorgaben. „Tapfer“ verkündeten sie angesichts des Krieges einen nationalen Schulterschluss.
Sie wiederholen die Volksverhetzung die das Regime betreibt, beklagen die auf Sinai durch die Hand des heimtückischen „religiösen Faschismus“ ermordeten Soldaten, während sie kein Wort über die Morde an friedlichen Demonstrant_innen nach den Opferfesten verlieren.
Terrorismus hilft Regime
Einmal mehr betonen wir, die Revolutionären Sozialisten, unsere Ablehnung von terroristischen Operationen, weil sie die Macht unseres Hauptfeindes, die Miltärdiktatur, welche die Konterrevolution anführt, vergrößern.
Terrorattentate sind Propaganda für die Verteidiger des Regimes, indem durch sie jegliche Verbrechen gegen die Massen und die Revolution gerechtfertigt werden. Wir lehnen Terrorismus ab, auch wenn er sich gegen Symbole des Regimes richtet, da er die Macht des Regimes stärkt und eine fatale Botschaft an die Massen sendet: „Es bedarf eurer Streiks und Besetzungen nicht!“. Aus diesem Grund lehnen wir jegliche Form terroristischer Aktionen aufs Entschiedenste ab.
Gleichzeitig betonen wir, dass die stärkste und gefährlichste Form von Terrorismus der Terrorismus der Militärdiktatur ist.
Der Weg, um ISIS und dergleichen loszuwerden, führt nicht über einen Schulterschluss mit al-Sisis Staat, der Mubaraks Staat ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir eine neutrale Position zu den Kämpfen zwischen Staat und terroristischen Bewegungen einnehmen sollten, was entweder nur naiv ist oder in den meisten Fällen in einer Komplizenschaft mit dem Regime endet.
Der einzig revolutionäre Weg führt über die Wiederbelebung der Kämpfe der Massen durch Streiks, Besetzungen und Proteste gegen die korrupte Militärdiktatur, die uns nichts außer Armut, Repression, Gewalt und Terrorismus bringt.
Die Revolutionären Sozialisten
19. Juli 2015
Um ihren Standpunkt noch detaillierter darzustellen, haben die Revolutionären Sozialisten ein weiteres Diskussionsdokument veröffentlicht, in dem sie unter anderem ausführlicher auf die verschiedenen Ansätze innerhalb des dritten Weges und die Position zur Muslimbruderschaft eingehen.
Auf Englisch nachzulesen auf:
bit.ly/1KV3cRQ
Übersetzung von Judith Litschauer