Deutschnationale Burschenschaften: Die „Tat-Elite“ des Faschismus
Die Gabelle-Offiziere, erbitterte Gegner der Französischen Revolution, schlitzten schwangeren Frauen den Bauch auf, wenn sie die Salzsteuer nicht bezahlen konnten; die Schwarzhundertschaften und die „Weiße Armee“ in Russland massakrierten bei antisemitischen Pogromen Frauen und Kinder auf offener Straße. Die SS ermordete Zivilisten als Teil der Partisanenbekämpfung, verübte Massenmord an Slawen, um „Lebensraum für Deutsche“ zu schaffen, und organisierte die industrielle Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Immer fanden sich besondere Kreaturen, um die Drecksarbeit für die bedrohten Herrscher zu erledigen und soziale Veränderungen zu verhindern.
Burschenschafter waren und sind prädestiniert für die schrecklichsten Aufgaben der Konterrevolution. Sie verstehen sich als (groß)deutsche Elite innerhalb der Elite und vertreten die Ansicht, dass „nur ein seine persönliche Ehre wahrender Student fähig sei, ‚in Zeiten politischer Not genügend Aufopferungsgeist für die Nation aufzubringen‘. Nur der in seiner Korporation zur Wahrung seiner ‚Waffenehre‘ erzogene Student verbürgte danach, im kriegerischen Ernstfall dem Vaterland wirklich und uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen.“
„Mitleid ist Schwäche“ hing über dem Schreibtisch des brutalen SS-Aufsehers Hans Stark. „Tat-Elite“ war die Selbstbezeichnung der SS. Die Burschenschaften sehen sich als Minderheit innerhalb der herrschenden Klasse, die das tut, wovor der weniger entschlossene Teil der Eliten zurückschreckt; die das „Notwendige“ tut, egal wie verabscheuungswürdig diese Taten sind.
Konterrevolutionäre Truppen
Aus dieser Logik sind die österreichischen Burschenschafter in die SS geströmt und haben die Kader der NS-Tötungsmaschinerie gestellt. Der SS-Offizier Ernst Kaltenbrunner (Burschenschaft „Arminia Graz“) wurde Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und war damit Leiter der Naziterrormaschinerie. Der Innsbrucker Arzt und SS-Untersturmführer Irmfried Eberl („Germania Innsbruck“) ermordete als Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka hunderttausende Jüd_innen aus dem besetzten Polen und der Ukraine. SS-Arzt Hermann Richter („Sängerschaft Scalden“) entnahm in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen Lagerinsassen bei vollem Bewusstsein Organe, um zu beobachten, wie lange sie diese Folter überleben konnten.
Die Nazis führten eine brutale Konterrevolution durch. Sie brachten die alte Elite wieder zurück in die Führungspositionen – den Adel, die Junker, Monarchisten, Großkapitalisten – und säuberten den Staat, also die Bürokratie, Polizei und Reichswehr, von den proletarischen und jüdischen „niederen Elementen“ – der KPD, SPD und den mit ihnen verbundenen Gewerkschaften.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 säuberte der SS-Mann Kurt Daluege („Teuto-Rugia“) die sozialdemokratisch dominierte preußische Polizei, stieg später zum Chef der Ordnungspolizei auf und war verantwortlich für die Massaker in den tschechischen Dörfern Lidice und Ležáky, die als „Vergeltungsmaßnahme“ für Partisanenaktivitäten (das tödliche Attentat auf SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich) dem Erdboden gleichgemacht wurden.
Oppositionelle Eliten
Der Widerspruch zwischen einer grundsätzlich „oppositionellen Grundhaltung“ innerhalb des politischen Mainstreams und zugleich einem „ausgeprägten Elitenbewusstsein“ zieht sich durch die gesamte Geschichte der Burschenschaften, verortet der Politologe Bernhard Weidinger („Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen“).
Vor dem Ersten Weltkrieg war man gegen den Vielvölkerstaat der Habsburger, in der Ersten Republik für den „Anschluss“ und nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die „Missgeburt Österreich“ (Jörg Haider). „In der 200-jährigen Geschichte der Burschenschaften waren [wir] selten von der Staatsmacht geliebt, meistens sehr misstrauisch beachtet, und aus dieser Erfahrung heraus machen wir uns nicht sehr viel aus der öffentlichen Meinung über uns“, erklärte Dieter Derntl („Libertas Wien“) 2012 gegenüber dem ORF.
Die Burschenschaften hätten sich immer „dann in relevanter Zahl gegen ihre jeweilige Regierung“ erhoben, so Weidinger, wenn „diese stärker demokratischen als völkischen Maßgaben folgte“. Im Dritten Reich löste sich schließlich der Widerspruch zwischen Opposition und Elitenbewusstsein auf. Hitler hätte „historisch erstmals den real existierenden deutschen Staat einigermaßen mit burschenschaftlichen Vorstellungen von Vaterland in Deckung gebracht“, weshalb er gerade deshalb auf „breite burschenschaftliche Unterstützung zählen“ konnte. Politikwissenschafter Gernot Stimmer stellte unter der NS-Herrschaft in Österreich von 1938 bis 1945 den höchsten Anteil von „national-liberalen Korporationen“ unter den Regierungsmitgliedern fest (70 Prozent).
Völkischer Nationalismus
Der weltanschauliche Angelpunkt der Burschenschaften ist ein völkischer Nationalismus. Das „deutsche Vaterland“, die „arische Herrenrasse“, stehe nach dieser Auffassung über den minderwertigen anderen Rassen, mit denen man sich nicht vermischen dürfe. Ein Klassenverständnis der Gesellschaft wird zugunsten eines Übereinander von verschiedenwertigen Völkern, etwa einem „Europa der Völker“ (ein Code, den die FPÖ-Führung ganz offiziell verwendet), abgelehnt. Werner Kuich von der Burschenschaft „Libertas Wien“ drückte 2010 aus, was Deutschtum immer noch bedeutet: Ein Burschenschafter trage angesichts von Geburtenrückgang und drohendem „Volkstod“ durch Muslim_innen „die Verantwortung, die geistige und biologische Substanz des deutschen Volkes zu erhalten“.
Burschenschaften lehnen den Gedanken der gleichen Rechte aller Menschen ab. Bis heute sind in den Korporationen „Arierparagraphen“ in Kraft. Es war eben die genannte „Libertas“, die den „Arierparagraphen“ in Österreich 1878 erstmals eingeführt hatte. Noch in den 1960er-Jahren rühmten sich Korporationen damit, die „jüdischen Elemente entfernt“ zu haben oder „seit 1882 judenrein“ zu sein.
Elite der Elite
Das burschenschaftliche Elitenbewusstsein beruht dabei nicht vorrangig auf ökonomischem Kapital, sondern auf einer in ihrer Selbstwahrnehmung überlegenen Moral und Leistungsfähigkeit. Die Burschenschaften erheben den Führungsanspruch, so Weidinger, auf verschiedenen Ebenen: Als Akademiker, durch „strenge Korporationszucht“ als „Elite der Elite“ in der Burschenschaft, als Führer der teilnahmslosen Massen und auch der politischen Gegner, die den Interessen des „deutschen Volkes“ entgegenwirken. Die Selektion der Eliten erfolgt dabei schon über die Aufnahme, möglichen Ausschluss und die Pflichtmensur, bei der die hässlichen Gesichtsnarben der Burschenschafter entstehen und die Anwärter ihre Opferbereitschaft unter Beweis stellen müssen.
Die Unterwerfung unter eine strenge Ehrenordnung in der Burschenschaft sollte die moralische Integrität des Burschenschafters sicherstellen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache („Vandalia“) meinte, die Burschenschaft sei für ihn eine Schule gewesen, „denn ganz generell muss man im Leben fähig sein, sich unterzuordnen … und, wenn man so will, auch dienen, um später auch eine Führungsrolle übernehmen zu können.“
Der Delegiertenkonvent der Wiener Burschenschaften kritisierte 1932 die an den Universitäten fußfassenden NS-Studenten – nicht etwa wegen ihres Antisemitismus oder ihrer antidemokratischen Grundhaltung – sondern wegen einer „Proletarisierung der Hochschulen“. Die „Aldania“ rügte rückblickend den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) für sein „präpotentes und rüpelhaftes Benehmen“. Man selbst habe die akademischen Korporationen nach dem „Ausleseprinzip“ erzogen. Wie man sieht, verstanden sich die deutschnationalen Burschenschafter auch innerhalb der Nazibewegung als die absolute Elite.
Politische Erben
Deutschnationale Burschenschafter leugnen ihr nationalsozialistisches Erbe nur, wenn sie im Rampenlicht danach gefragt werden. Untereinander steht man stolz dazu. Der SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Leitbild der deutschnationalen Verbindungen. Der ehemalige FPÖ-Chef Jörg Haider, Mitglied der „Silvania Wien“, ehrte Mitglieder der Waffen-SS als Leute, die „einen Charakter haben und die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“.
Es gab aber immer schon einen tiefen Konflikt darüber, wie ehrlich man sich öffentlich bekennen sollte. Die Burschenschaft „Alemannia“ kritisierte 1962 den „pragmatischen“ Flügel der Burschenschaften, dass sie so tun würden, als „ob sie von vornherein gegen das Deutsche Reich und seinen Aufstieg gewesen wären, obwohl sie vorher fast 100 Prozent zustimmten“.
Symbol für diesen Zwiespalt ist die blaue Kornblume, das Erkennungssymbol der Nazis in Österreich, als sie zwischen 1933 und 1938 verboten waren. Unter Haider wurde sie von FPÖ-Mitgliedern nicht öffentlich getragen, sondern erst im Gasthaus nach den offiziellen Parlamentsfeierlichkeiten. Strache hingegen glaubt, man dürfe sich jetzt offener zum Deutschtum bekennen. Die freiheitlichen Mandatare erschienen seit seiner Übernahme der Partei 2005 mit der blauen Kornblume nicht mehr im Hinterzimmer, sondern zur offiziellen Angelobung im Parlament.
Burschenschaften heute
In Österreich gibt es heute maximal 4.000 Burschenschafter, nicht einmal ein halbes Promille der Bevölkerung. Noch weit weniger gehören wohl zu jenem eingeweihten Führungskreis, der die politische Marschroute vorgibt.
Trotz ihrer gesellschaftlichen Außenseiterrolle kontrollieren die Burschenschaften die Massenpartei FPÖ, die in Umfragen über 30 Prozent erhält. Sie führen sieben der neun freiheitlichen Landesorganisationen an (darunter die mächtige Wiener Organisation), stellen den Bundesparteiobmann und diverse Stellvertreter. Beinahe jeder zweite freiheitliche Abgeordnete im Parlament ist Burschenschafter. Die Burschenschaften sind eine Hauptrekrutierungsquelle des freiheitlichen Kaderstamms.
Die Gefahr geht weniger unmittelbar von der Errichtung einer faschistischen Diktatur in Österreich aus (zu der eine faschistische Massenbewegung nötig wäre), sondern vielmehr in der Vorbereitung der Burschenschaften auf die Verschärfung der Krise, die Verzweiflung der Massen und den damit verbundenen Bürgerkrieg. Die Burschenschaft „Olympia“ schrieb 2010 auf ihrer „Heimatseite“: „Der aufmerksame Zeitbeobachter spürt schon seit längerem, dass sich die gesamte Welt in einem Gärungsprozess befindet: … Geschichte wiederholt sich eben doch … Wir müssen uns durch mentale wie politische Vorbereitung rüsten, um dann, wenn es darauf ankommt, unsere Handlungsfreiheit bewahren zu können und uns zum Wohle unseres Volkes mit aller Kraft in die Waagschale werfen zu können!“
Machen wir uns nichts vor: Die deutschnationalen Burschenschafter, im Parlament mit Nadelstreifanzug bemüht ihre faschistische Ideologie zu verbergen, sind tausend Mal gefährlicher als der bekennende tätowierte Springerstiefel-Glatzennazi.
Die Offensive gegen Rechts ruft zur Großdemo gegen Norbert Hofer am Donnerstag, 19. Mai um 17:30 am Ballhausplatz.